Frischfleisch

C&A und H&M scheinen sich abzusprechen. Im Mai zierten ihre Bademodenkampagnen die Leuchttableaus, zur Adventszeit verkaufen die Firmen Dessous. Doch wird nicht viel mehr verkauft? Ein Frauenbild, das sexuelle Verfügbarkeit suggeriert. Eine Erinnerung, dass Frauen für jemanden lasziv blicken sollen, ihren Körper darbieten, der beurteilt werden will. Nichts zieht den Konsum weiterer Accessoires zur Verschönerung gekonnter mit sich als Werbung, die erinnert, dass wir sexy sein sollen.

„Das größte Geschenk“ betitelt das Hamburger Alsterhaus seine Schaufenster zur Adventszeit. Darin: Schaufensterpuppen in Dessous und Strapse. Für wen dieses Geschenk sein soll, ist unklar. Soll sie sich über das zarte Gewand selber freuen? Oder schenkt er es, damit sie ihm eine Freude macht? Klar ist, dass sich jeder in den U-Bahn Stationen darüber freuen darf, dass das H&M Model ihr Hinterteil lasziv kippt, in freudiger Erwartung seines Tatendrangs.

Nein, Frauen dürfen nicht als „sexuell verfügbar“ dargestellt werden, sagt der Deutsche Werberat. Und wirklich finden wir, dass C&A ein Lob verdient hat für die Bemühung, sich zu bessern. Das Model der Kampagne, die Deutschland weit zu sehen ist, hat einen relativ neutralen, fast selbstbewussten Blick und geht aktiv auf den Betrachter zu. Damit steht es im Gegensatz zur lasziven Bikini-Schönheit, auf die wir im Mai aufmerksam machten. Und im Gegenteil zu dieser hat sie etwas mehr Rundung, was der Diversität in der Werbewelt entgegen kommt.

Trotzdem fährt man an ihr vorbei und hat den Instinkt, sie schützen zu müssen – schon alleine, weil ihre Nacktheit bei der Novemberkälte unpassend wirkt. Das Unbedarfte, mit dem sie auf den Betrachter zugeht: Würde man seine Tochter im aufreizenden Dessous durch die Welt gehen lassen? Wir sprechen hier von Außenwerbung, nicht seiner Printvariante in Zeitschriften. Sie spricht sowohl Kinder als auch Erwachsene an mit einem Bild, das in dieses Außen nicht passt. Auf meinem Schreibtisch liegen die Flyer von TERRE DES FEMMES, die Aufenthaltsrecht für die Opfer von Zwangsprostitution fordern. Das nackte weibliche Fleisch wirkt in beiden Fällen verletzlich.

Es ist verwirrend, wie die körperliche, sexuelle Attraktivität der Frau – in der Form von jung, schlank, einladend – ein Stadtbild bestimmen kann in einer Zeit, in der wir über Quoten in Vorstandsetagen diskutieren und uns bewusst ist, dass Mädchen sich um ihre Karriere kümmern sollten, um nicht in verletzlichen Abhängigkeiten zu stehen. Statt dessen kümmern sie sich, wie die Studien zeigen, leider viel zu sehr um ihr Aussehen, mit psychischen Folgen. Dabei schrieb der Spiegel (38/2012, St. 127) gerade, dass es in Ländern mit höherem Bildungsgrad längst nicht mehr das Aussehen ist, was die Partnerwahl bestimmt. In Deutschland wollen nicht alle Männer schlank, blond, jung, gut kochen könnend, sondern Grips im Hirn. Würde das aber über die Leuchtwerbung suggeriert, und würden Frauen eines Morgens aufwachen und sich sauwohl in ihren Körpern fühlen, hätten wir ein echtes Problem. Laurie Penny zitiert in „Fleischmarkt“ die Bloomberg Business Week vom Februar 2005: 80% der Produkte und Dienstleistungen in der ersten Welt werden von Frauen gekauft.

Wo fängt „sexuelle Verfügbarkeit“ an: Bei einem engen T-Shirt? Sind Sommerkleider okay, Bademoden nicht? Was ist mit tiefen Dekolletés, die für Waschmittel und Eiscreme werben? Im Streit um den Begriff kann man sich arg verheddern, und so lang es keinen Gesetzesentwurf gibt, der die Grenzen ein für allemal festlegt, hat die Werbeindustrie freie Fahrt. Zeit für eine Arbeitsgruppe von Juristinnen, Medienwissenschaftlerinnen und Politikerinnen, das Thema neu aufzunehmen. Wir sind dran.