Das ist mir zu billig!

Der Elektronik-Onlineshop Redcoon hat 88.000 „Gefällt-mir“-Angaben (Likes) auf Facebook, seit ihren letzten Flitzer und Schlammschlachten-Videos steigen die Likes rasant. Pinkstinks und TERRE DES FEMMES haben jeweils um die 8.000 Likes, die, da wir keine Soft-Pornos schalten, zurzeit auch nicht exponentiell ansteigen. Von den Kommentaren auf Redcoons Facebook-Seite ausgegangen sind es sehr viele junge Frauen, die Redcoon liken. Vielen Menschen gefällt also, was sie dort zu sehen bekommen. Und wenn es uns nicht gefällt, besteht offensichtlich Klärungsbedarf.

Wo fangen wir am besten an?

Vielleicht damit, dass bei Redcoon die meisten Gefällt-mir-Angaben von 13-17-Jährigen gemacht werden, bei Pinkstinks von 24-35-Jährigen. Das heißt: Redcoons Likes kommen weder von mündigen Wählern noch von verständigen Durchschnittsverbrauchern. Sie kommen von Teenagern, für die „Feministin“ ein fast so schlimmes Schimpfwort wie „Hippiezicke“ ist. Also lassen wir uns von den Zahlen nicht beeindrucken.

Redcoon wird geliebt – aber nicht unbedingt von Menschen, die ihre Produkte toll finden (13-Jährige kaufen selten Stereoanlagen). Und beliebt wollen sie bleiben, auch, wenn ihre Werbung wiederholt kritisiert wird. Nach Aufruf zur Stellungnahme durch den Werberat vor einem Jahr hat Redcoon seine „Billig“-Kampagne mehrfach überarbeitet, immer mit der Hoffnung, dem Vorwurf der „entwürdigenden Darstellung der Frau“ (also Rüge durch den Werberat) damit zu entgehen. So waren erst nicht mehr die Frauen billig, sondern sie „mochten“ es billig. Inzwischen werben sie mit dem Ort Billig und dem ansässigen Fußballverein, kein Wunder also, dass sie „Billig“ gut finden (dürfen).

http://www.youtube.com/watch?v=avrl7vuF6gQ

Das Marketingmagazin Horizont.net schreibt: „In den Commercials wirken die Bewohner von Billig als Statisten mit. Gedreht wurde auf den Geländen der örtlichen Vereine. Wie schon in den ersten Spots setzt Redcoon gezielt auf das ‚Billig-Image‘ seiner Markenbotschafterinnen, die laut Mitteilung selbstironisch und ‚deutlich überzeichnet‘ ihr ‚selbst gewähltes‘ Medienimage auf die Schippe nehmen.“

Und genau hier fängt unser Problem an.

Egal, wie wir es drehen und wenden, ob Michaela Schäfer von Gina-Lisa Lohfink als „billig“ bezeichnet wird oder Michaela es gerne „mega billig“ mag, und dann ein günstiges Elektronikprodukt angeboten wird: Dass hier mit dem Image des „billigen (leichten) Mädchens“ gespielt wird, ist auch dem Werberat klar. Gina-Lisa, Michaela, Jordan und Konsorten kriegen dafür aber gutes Geld. Sie finden sich selber gut so, stehen zu ihrem überzogenen Image, und sehen darin kein Problem. Trotzdem bezieht sich die meiste Wut in Foren, die dieses Problem beschreiben, auf die vier Models, und das ist Slut-Shaming per excellence. Wer sind wir, ihnen vorzuwerfen, sie müssten sich dagegen wehren, billig zu wirken? Womit sollte eine Gina-Lisa, die ihre Ausbildung für Germanys Next Topmodel schmiss, dort rausflog und dann in C-Prominenz machte, sonst ihr Geld verdienen? Oder anders und weniger übergriffig: Was ist das Problem damit, wenn sie an dem ganzen Medienrummel Spaß hat? Und ganz ehrlich möchte ich keine Kommentare freistellen, die diese Fragen beantworten. Sie gehen uns nichts an. Unser Anliegen ist es nicht, Frauen zu erklären, was sie tun dürfen, und was nicht.

Eine Argumentation, die mit der „Würde der Frau“ argumentiert, ist hier leider zu billig. Es ist die gleiche Argumentation, die meint, für Sexarbeiterinnen sprechen zu dürfen. Und dieser Ansatz ist unseres Erachtens falsch. Um Würde geht es hier nicht. Es geht um Gleichberechtigung. Und das sind zwei verschiedene paar Schuhe.

Das Problem sind nicht Michaela Schäfer und ihre Mitstreiterinnen, die wie wir alle ihren Lohnerwerb suchen, und hier auf legale Weise verfolgen. Das Problem ist eine Medienindustrie die mit dem allzeit-bereiten Image dieser Damen ein Produkt verkauft, dass mit Sexualität wenig gemein hat. Hier verkauft nicht Max Mustermann ein Gerät, in dem er lobt, wie gut das Preis-Leistungs-Verhältnis ist. Wer bitte würde auf die Idee kommen, dass hier ein Elektronikfachhandel beworben wird?

http://www.youtube.com/watch?v=crvOcHlbYAY

Der Werberat braucht dringend ein Kriterium, das die unsachliche Vermengung von der oft fast nackten, zum Sex einladenden Frau als reine Dekoration und einem Produkt, zu dem sie in keinster Weise in Bezug steht, verurteilt. Und zwar auf Grundlage des Gleichstellungsgebotes Art. 3 Abs. 2, das in seiner Ergänzung von 2010 lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Die Nachteile, die Frauen betreffen, stehen mit ihrer medialen Darstellung in engem Bezug. Frauen, die leicht sexuell verfügbar (also billig) wirken, werden als machtvolle und handelnde Individuen nicht ernst genommen, sondern wirken eher als Dekoration. Das Bild der dekorativen Frau überwiegt im medialen Frauenbild. Die Wirkung dieses Bildes erkennen wir in der gleichbleibend hohen Zahl an sexueller Gewalt gegen Frauen, an einer Gehaltsschere von 23% und an einer hohen Zahl an psychischen Krankheiten unter Frauen, insbesondere essgestörtem Verhalten, das in engem Bezug zum medialen Frauenbild steht. Perfekt ausargumentiert wurden diese Zusammenhänge auf der Demo gegen Sexismus in der Werbung am Brandenburger Tor, insbesondere in der Rede der Soziologin Anna-Katharina Meßmer und der Politologin Julia Schramm.

Wir fordern also die Absetzung dieser Kampagne aufgrund der negativen Auswirkung auf ein gesamtkulturelles Frauenbild, das dringend mehr Kraft ausstrahlen muss. Nicht, weil wir Gina-Lisa Lohfinks Würde oder die einer anderen Frau, die diese Werbung witzig findet, in Gefahr sehen. Im Gegenteil: Die Achtung ihrer autark gewählten Selbstdarstellung muss hier ins Hintertreffen geraten gegen die mediale Ausbeutung dieses Bildes, das der Gleichstellung der Frau zuwiderläuft.

Lasst uns in dieser Diskussion also bitte sachlich bleiben und klar argumentieren. Um klar argumentieren zu können, braucht aber gerade auch der Werberat klarere Kriterien. An denen sind wir dran.

Der Werberat hat übrigens Redcoon zu einer weiteren Stellungnahme aufgefordert – wir sind gespannt. In der Vergangenheit hat der Werberat schon öfter Werbung abgemahnt, die Körper oder Körperteile von Frauen neben ein Produkt platzierten, mit denen sie nicht in Zusammenhang standen. Ihr Kriterium „Vor allem dürfen keine Aussagen oder Darstellungen verwendet werden, die Personen auf ihre rein sexuelle Funktion reduzieren und/oder deren ständige sexuelle Verfügbarkeit nahelegen“ kann also so ausgelegt werden – muss es aber nicht. Dass der Werberat es oft in unserem Sinne auslegt, begrüßen wir. Öfter wäre besser. Genauer definiert wäre am besten.