63 Milliarden Euro für das Patriarchat

Ein Kommentar von Boris von Heesen

Vor noch nicht einmal sechs Monaten wurde mein drittes Sachbuch mit dem provozierenden Titel „Was Männer kosten – der hohe Preis des Patriarchats“ veröffentlicht. Was kurz nach dem Erscheinungstermin begonnen hat und im Grunde bis heute anhält, konnte niemand erwarten. Die Medien stürzten sich auf das Buch als gäbe es kein Morgen. Vier TV-Auftritte, über zwanzig Interviews sowie zahlreiche Buchbesprechungen und Podcasts haben mir einen stürmischen Sommer bereitet.

Was war der Grund für das große Medieninteresse oder besser, worum geht es überhaupt in meinem Buch? Ich habe Schritt für Schritt zusammengetragen, in welchem Umfang ungesunde männliche Verhaltensweisen dieses Land volkswirtschaftlich belasten. Dabei habe ich nur solche Felder einbezogen, die einen gesellschaftlichen Schaden verursachen bzw. soziale Fehlentwicklungen zur Folge haben. Beispiele hierfür sind häusliche Gewalt, Süchte aller Art, Gefängnisaufenthalte, ungesunde Ernährung oder Verkehrsdelikte. All diese Themenfelder werden sehr deutlich von Männern dominiert. Das besondere an meiner Analyse: Die zusammengetragenen Daten speisen sich ausschließlich aus öffentlich zugänglichen amtlichen Statistiken bzw. Kostendaten von öffentlichen Trägern oder Universitäten. So können alle Leser*innen im Quellenverzeichnis leicht nachvollziehen, wie die Zahlen zustande kommen und nachvollziehen, dass nichts davon auf wilden Schätzungen beruht. Heraus gekommen ist ein Betrag von 63,5 Mrd. €, den ungesundes männliches Verhalten dieses Land mehr kosten als das entsprechende weibliche. Ich belasse es dann allerdings nicht bei einer reinen Kostenrechnung, sondern zeige eine Vielzahl an Lösungswegen auf, wie wir dem unnötigen Ungleichgewicht der Geschlechter in so vielen Lebensbereichen entgegenwirken können.

Wie aber kommt ein Mensch und dann ausgerechnet auch noch ein Mann auf die Idee, ein solches Buch zu schreiben? Nun, ich bin Wirtschaftswissenschaftler und arbeite seit vielen Jahren für gemeinnützige soziale Organisationen. Dort habe ich immer wieder erlebt, dass deutlich mehr Männer in den Hilfesystemen ankommen. 94% der Gefängnisinsassen sind Männer, 83% der Menschen, die Einrichtungen der Drogenhilfe nutzen, sind männlich und über 80% der häuslichen Gewalt geht von Männern aus. Kaum ein Mensch in diesem Land wundert sich über solche Statistiken und niemand hinterfragt, warum die Polizeinachrichten zu über 90% von Männern dominiert werden. Ich finde das traurig und auch empörend, weil es am Ende des Tages Einzelschicksale sind, die sich hinter dem Vorhang dieser Statistiken verbergen. Geschlagene Frauen, traumatisierte Kinder, aber auch Männer, die Opfer von Gewalt, Sucht und Geschwindigkeitsrausch werden. Und genau deshalb müssen wir uns der Sprache und des Schmiermittels des Patriarchats bedienen – dem Geld – damit dieses unnötige und ungerechte Ungleichgewicht adressiert wird. Diese Rechnung ist in der Tat aufgegangen.

Wie aber fallen die vielfältigen Reaktionen auf mein Buch aus und hat sich die erwünschte Debatte entsponnen? Natürlich gab es zahlreiche Anfeindungen im digitalen Raum von gekränkten und überforderten Männern, die dass Buch in der Regel nicht gelesen haben und auch nicht verstehen wollten, dass ungesundes männliches Verhalten allen Menschen schadet. Die Medienberichterstattung aber habe ich durchweg als konstruktiv kritisch empfunden. Ich glaube, dass ich die meisten Journalist*innen im Rahmen von Interviews und Gesprächen von der Notwendigkeit der Monetarisierung ungesunder männlicher Verhaltensweisen überzeugen konnte. Aus der profeministischen Männerbewegung, aus der Frauenbewegung und auch von zahlreichen Einzelpersonen habe ich viel Unterstützung und auch Dankbarkeit dafür erfahren, dass die Folgen des Patriachats endlich messbar sind. Nicht eine meiner zahlreichen Lesungen und Vorträge konnte im geplanten Zeitrahmen beendet werden, weil es einen regelmäßig großen Diskussionsbedarf zu dem Thema gab. Ich habe Einladungen von Schulen, Universitäten und einem Verband für Richter*innen erhalten. Besonders gefreut habe ich mich über einen Fachtag zum Thema meines Buches, den ein Sozialverband für Männerarbeit veranstaltet, sowie eine Einladung in ein Landesministeriums, wo ich der Ministerin und den Staatsekretär*innen einen Impuls zu meinem Buch geben darf. Kurz, meine Hoffnung mit dem Buch eine Debatte anzustoßen, hat sich erfüllt.

Weitere Infos und Links

Die Begriffe „Männer“ und „Frauen“ im Text beziehen sich auf die strukturellen, heteronormativen und stereotypen gesellschaftlichen Rollenbilder, die es zu hinterfragen gilt. Der Autor stützt sich dazu auf Statistiken, welche vor allem die gesellschaftlichen Mehrheiten – also heterosexuelle cis Männer und cis Frauen – repräsentieren.