Aber die Frauen lieben es!

 

Am 29. September ist Pinkstinks ins Hamburger Rathaus eingeladen, und darf mit den Leuchtwerbeflächen-Herstellern Ströer und JCDecaux sowie mit C&A über die Wirkung von Werbung auf Kinder diskutieren. Genauer gesagt darf ich einen einleitenden Vortrag halten und danach auseinander genommen werden.

Ich werde sagen, dass ein einseitiges, dünnes und zartes Frauenbild für Kinder ungesund ist. Und das Haupt-Gegenargument wird sein: „Aber es funktioniert! An schlanken, jungen Frauen verkauft sich Mode besser (und überhaupt jedes Produkt, das Menschen kaufen)! Und wenn Frauen dünne Models in der Werbung wollen, dann kann es doch nicht schlecht für sie sein, und schon gar nicht für ihre Kinder!“ Und dann noch: „Und haben wir in Deutschland nicht mehr Probleme mit Adipositas als mit Magersucht?“ (Das alte Karl-Lagerfeld-Argument, das er selbst auf der letzten Bambi-Verleihung bei einer Einschaltquote von über 7 Mio. Zuschauern wieder bringen durfte.)

Aber es geht nicht nur um Essstörungen. Es geht um Raum einnehmen, in jeder Hinsicht, und die zart lächelnden Grazien auf Werbeplakaten strotzen nicht gerade von Tatkraft und Initiative, sondern eher von dem Grundgedanken: „Bin ich schön?“, der Kinder heute schon früh genug zu sehr beschäftigt. Während Männer eher aktiv blickend dargestellt sind, blicken Frauen nach wie vor „passiv“, d.h. laden den Blick des Betrachters ein, sie zu begutachten. So lernen Mädchen früh, sich stets mit dem Blick von außen zu kritisieren. Das führt zu Problemen mit dem Selbstbewusstsein, und Essstörungen sind nur ein Teil davon.

Und ja, natürlich haben wir in Deutschland Probleme mit Adipositas, und zwar mit stetig steigenden Zahlen. Doch wie entsteht Adipositas? Es gibt Fakten unserer heutigen Welt, die Dickwerden begünstigen: Wir müssen uns kaum noch bewegen, haben ein viel zu großes Nahrungsangebot und oft, und gerade wenn wenig Geld da ist, werden wir durch die Discounter dazu verleitet, für wenig Geld kalorien- und fettreiche, ungesunde Nahrungsmittel zu kaufen.

Daneben gibt es aber einen anderen wichtigen Grund, warum die Deutschen immer dicker werden: Weil sie sich ständig mit Essen befassen. Auf kaum einer Frauen- oder Fernsehzeitung wird nicht mit Diättipps geworben, überschlanke Models zieren die überpräsente Leuchtwerbung, und als Folge bedenken wir ständig unsere Nahrungsaufnahme. Diese Überwachung bereitet Stress. Versagensängste und Selbsthass führen nicht nur bei Frauen zu wiederholten Fressattacken, die mit immer weiteren bestraft werden. Der Kreislauf des Fressens ist somit im Gang, mit all seinen gesundheitlichen Risiken. Mireille Guiliano, Autorin des Bestsellers French Women Don’t Get Fat (2004), bekräftigt, dass es u.a. die mangelnde Fitness- und Diätkultur ist, die fränzösische Frauen nicht fett werden lässt: Französische Frauen genießen ohne Schuldgefühle, und essen daher gemäßigt.

Bringt das global wirkende, überschlanke Schönheitsideal denn wenigstens ihren Herstellern Erfolg? Geht es H&M, C&A und Konsorten deshalb so gut, weil ihre Models Kleidergröße 34 nie überschreiten und somit „sexy“ im Sinne des 21. Jahrhundert sind? Wollen und lieben Frauen genau das? Was würde passieren, wenn sie ein neues Image begründen würden im Sinne der Dove-Kampagne? Würden die Verkaufszahlen sinken?

Die Dove-Kampagne war vielleicht nie so erfolgreich, wie Unilever behauptete, munkeln Marketingprofis. Mit einer so kleinen Marke hätte Unilever keinen Verlust gemacht, insofern konnte man sich die „realen“ Models erlauben – als PR-Kampagne und Experiment, als politisch korrektes Gegengewicht zu Axe und Konsorten. Auf Nummer sicher gehe man aber mit dem, was wir kennen – perfekter Schönheit.

Ob der geschätzte Misserfolg vielleicht an dem trutschigen Image und Geruch des Produktes gelegen haben könnte? Oder nicht am Gewicht, sondern eher dem kichernden „Oh Gott ich bin nackt!“-Ausdruck der Models? Diese Fragen stellte keiner. Und eine große Studie im Jahre 2009 gab den Skeptikern Recht, dass man lieber bei dünnen Models bleiben sollte. Naomi Mandel (Arizona), Dirk Smeesters (Rotterdam) und Thomas Mussweiler (Köln) argumentierten: Werbekampagnen mit kurvigen Models hätten einen negativen Einfluss auf das Selbstwertgefühl potenzieller Käuferinnen. „Es ist nicht anzunehmen, dass Konzerne ihren Umsatz durch Übergrößen-Models steigern können“, sagte Naomi Mandel, Professorin für Marketing an der ASU.

Dieses Zitat ging ab Februar 2010 in Deutschland von Zeitschrift zu Zeitschrift. Ein Aus für Kampagnen wie Dove, und Brigittes „ohne“-Models, die 2010 starteten und in den ersten Monaten noch Potenzial für „mehr“ zeigten, waren schnell genau so dünn wie die richtigen. Die erwähnte Studie wurde breit zitiert, allerdings nur ein Teil davon: der, der sich gut verkaufen ließ. Ich habe mir die Studie noch einmal vorgeknöpft.

Ich möchte nicht wissen, wie viel Forschungsgelder (und vom wem) in die Studie flossen. Sie ist einseitig in vielerlei Hinsicht. Erstens nahmen ausschließlich Studentinnen an dem Experiment teil. Zweitens wurde nicht hinterfragt, warum sie negativ auf die stärkeren Models reagierten. Natürlich fühlen sich gerade junge Frauen beim Erstkontakt mit einem Frauenbild, das nicht dem Schönheitsideal entspricht, unwohl. Wie wäre es bei einem Zweit- oder Drittkontakt? Diese Frage wird nicht beantwortet. Wie fühlt es sich an, wenn sich das Frauenbild langsam verändert, in einer ganzen Stadt? Es kann gut sein, dass es erst mal auf Ablehnung trifft, dass Frauen sich bedroht fühlen – von einem Bild, das sie als „nicht anerkannt“ im Kopf abgespeichert haben. Doch wenn es wächst? Wenn es kein Einzelfall bleibt? Wenn Frauen, ganz offiziell und anerkannt, mehr Raum einnehmen dürfen?

Hätte man in den 40er Jahren, als Erstkontakt, einer normalgewichtigen Frau ein heutiges, überschlankes, blasses Model gezeigt, wäre die Assoziation eine andere gewesen: Nahrungsmangel, Kriegsstrapazen, „Bohnenstange“. Ein Image, das abschreckt und sicherlich nicht zum Kaufen angeregt hätte. Die Mussweiler/Smeesters/Mandel-Studie wäre ganz anders ausgefallen. Doch in den 60ern, als der Wohlstand sich langsam wieder in Europa ausbreitete und gleichzeitig die Frauen im Zuge der Jugendkulturen und neuen Studienmöglichkeiten und nicht zuletzt der Pille an Mitsprache gewannen, wurde die Bohnenstange erstrebenswert. Sie suggerierte die neue weibliche Generation, die nicht mehr nur am Herd stehen wollte. Die vielleicht Mahlzeiten überspringen, wild zu den Beatles tanzen und einfach mal abheben wollte und, im Zuge der Emanzipation, gleichzeitig ausdrückte: „Eigentlich bin ich ganz klein, zart, und brauche Schutz. So emanzipiert bin ich gar nicht!“ Inzwischen engt uns dieses Bild, im wahrsten Sinne des Wortes, jedoch ein, und wir müssen es verändern.

Was die Studie in keiner Weise erwähnte, ist, was für Plus-Size-Models den Probandinnen gezeigt wurden. Waren sie etwas schüchtern und unsicher dreinblickend wie die Dove-Models? Auch wenn ich Susie Orbach’s Gedanken hinter der Kampagne gut finde – richtig wohl scheinen sich die Frauen nicht zu fühlen, mit ihren „Wie findest du mich?“-Posen. Ganz anders z.B. wirkt das Titelblild oben, in dem das Model sehr entspannt wirkt, und den Betrachter ignoriert.

Oder waren die Models in lasziv-unterwürfigen oder clownesk-dramatischen Posen, die bei dickeren Models zu ungewohnt sind? Nur Frauen, die heutigen Ikonen gleichen, sehen auf den ersten Blick in High Art Fashion gut aus, die normale Frau wirkt hier unpassend – wirft aber gleichzeitig Licht auf genau diese Tatsache, das Frauen in High Art Werbung zu Objekten werden, nicht zu Akteuren.

   

Oder nahmen die kräftigeren Models in der Studie entspannt Raum ein, wie in diesen Darstellungen? Barfuß und natürlich, ein cooler, direkter Blick, der Stärke ausdrückt? Die für den Erstkontakt mit normalgewichtigen Models sicherlich die empfehlenswerteren Posen sind?

Ich werde es nie erfahren, weil Herr Mussweiler meine Anfrage ablehnte. Geben wir der Studie einfach nicht so viel Gewicht – und konzentrieren uns lieber darauf, selbst mehr Raum einzunehmen, in mehr als körperlicher Hinsicht, und uns damit wohl zu fühlen. Es wäre schön, wenn unsere Kinder darin nicht nur von uns, sondern auch von der Außenwerbung unterstützt werden könnten.