Eine Kolumne von Nils Pickert
Wenn man sich lange genug mit Geschlechtergerechtigkeit und Beziehungsdynamiken beschäftigt, kommt man unweigerlich an den immer gleichen Punkt. Selbst Männer, die gerade noch einigermaßen interessiert genickt und etwas im Bereich von „Naja, stimmt schon, sexistische Übergriffigkeit ist auch irgendwie scheiße“ gemurmelt haben, rücken wenig später mit dem raus, was sie für die unumstößliche Wahrheit halten:
Aber Frauen stehen doch auf Arschlöcher!
Manche nennen das auch Bad Boys, Alphas oder Machos, aber im Grunde geht es immer um das gleiche Prinzip: Männer meinen, wenn sie dominant, aggressiv, herablassend, desinteressiert und manipulativ auftreten, hätten sie größere Chancen bei den Frauen™. Sie geben sich als solitäre Einzelkämpfer, die überhaupt niemanden brauchen, sich einen Dreck um andere scheren und von „den Schlampen“ ganz allgemein enttäuscht sind. Aber sie, sie ist ja ganz anders als die anderen, sieht man ja, und deshalb lässt er sich dazu herab, seine Zeit mit ihr zu verbringen, obwohl er echt Besseres zu tun hat. Aber Spaß haben könnten sie natürlich, bisschen ficken und so – natürlich nur, wenn sie nicht zu sehr klammert und bedürftig ist.
Männer begründen das mit persönlichen Anekdoten, angeblichen oder tatsächlichen Studienbelegen und dutzenden Clips irgendwelcher selbsternannter Flirt-Coaches, Alpha-Dullis und Möchtegernverführer, die Profit aus ihrer Verunsicherung und ihrer überforderten Sehnsucht nach Intimität, Sex und, ja, manchmal tatsächlich auch Liebe schlagen. Typen, die anderen Typen sagen, wie Mann sich anziehen, geben und verhalten muss, damit „es bei den Frauen läuft“. Auf Plattformen, die ich hier wirklich nicht verlinken will, wird Männern weisgemacht, wie unfair es ist, dass die Gesellschaft ihnen beibringt „ein guter Junge zu sein“. Denn die harte Wahrheit sei nun einmal, dass Mann lernen müsse, ein Idiot zu sein, damit Frau mit ihm Zeit verbringen und bestenfalls Sex haben will.
Dass diese Herangehensweise nicht nur zutiefst frauenverachtend, sondern auch männerfeindlich ist, kommt den meisten leider nicht in den Sinn. Selbst auf die naheliegendste Frage findet sich keine zufriedenstellende Antwort: Warum? Warum sollte Männer das interessieren? Warum müssen Männer ständig daran interessiert sein, dass es bei den Frauen für sie läuft, sie Zeit mit ihnen verbringen und bestenfalls Sex haben. Ja, Frauen sind super, die meisten sind ziemlich großartige Zeitgenossinnen und oft auch ganz witzig. Aber was soll das denn mit dieser Zwangsfixierung auf Frauen? Wieso müssen wir unser Bedürfnis nach Validierung und Aufmerksamkeit eigentlich immer über Frauen spielen? Es ist wie der alte feministische Witz über „Komplimente“ am Arbeitsplatz. Wenn es Männern wirklich so wichtig ist, anderen „Komplimente“ am Arbeitsplatz zu machen, dann könnten sie das ja einfach untereinander tun: „Hey, du trägst deine Haare heute offen/tolles Outfit/warst du gerade im Urlaub/hast du abgenommen/du siehst heiß aus.“ Wie wäre es, wenn wir Frauen da raus lassen und das einfach untereinander klären?
Nächste Lebenslüge ist die angebliche Schrecklichkeit der Friendzone. Männer wollen da auf gar keinen Fall rein oder auf jeden Fall wieder raus. Was ist eigentlich so schlimm daran, mit Frauen befreundet zu sein? Mit klugen, guten, herzlichen, loyalen, interessanten Frauen, die dir zuhören, dich auffangen, dich verstehen und deinen Rücken haben? „OMG, ich wurde gefriendzoned“ ist nur dann ätzend, wenn man wie selbstverständlich davon ausgeht, dass Männer und Frauen nicht befreundet sein können, weil ihnen immer der Sex dabei im Weg steht. Dieses Harry-und-Sally-Syndrom also, was natürlich kompletter Blödsinn ist.
Selbstverständlich können Männer und Frauen miteinander befreundet sein. Sie können auch miteinander befreundet sein, wenn sie sich attraktiv finden und/oder sexuelle Spannungen zwischen ihnen sind. Sexuelle Liebesbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau sind nicht die höchste Form sozialer Interaktion. Das steht so nur in dem „heteronormativen Drehbuch„, das wir alle ausgehändigt bekommen haben, wie es die Kommunikationswissenschaftlerin Sandra Faulkner formuliert. Die Friendzone ist für Männer nur dann ein Abstellgleis, wenn Mann immer etwas anderes will und Freundschaften mit Frauen als etwas Minderwertiges betrachtet. Aber selbst mit einer sexuell sehr attraktiven Frau kann Freundschaft schlicht und ergreifend das Beste sein, das Mann passieren kann.
Und selbst wenn wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der viele Frauen auf Arschlöcher stehen: Erstens tun sie dies vordringlich deshalb, weil die Gesellschaft ihnen aufdrängt, dass sie sich qua Geschlecht so zu verhalten haben – unterwürfig, leicht zu beeindrucken und mit dem Wunsch, von einem Mann als „ganz anders als die anderen“ entdeckt zu werden, um in seiner umfassenden Arschlochhaftigkeit den wahren Kern zu entdecken, den nur sie kennt, weil andere ihn immer übersehen. Harte Schale, weicher Kern, blablabla, ist das nicht romantisch.
Und warum sollten Männer zweitens Arschlöcher sein wollen, nur weil es ihnen in manchen Situationen nützt? Sich korrekt und freundlich zu verhalten, ist ein Selbstzweck. Sich selbst und andere nicht verletzen zu wollen, ist gut genug. Kein Arschloch zu sein, reicht. Dafür muss man nicht belohnt werden und sollte auch nicht erwarten, dafür belohnt zu werden. Ebenso wenig für Nettsein. Männer, die transaktionales Nettsein betreiben, weil sie sich davon Lob, Aufmerksamkeit, Kekse und Sex versprechen, sind kaum besser als die, die das Arschloch markieren, um an eben diese Sachen zu kommen. In beiden Fällen geht es um potenzielle Gewinnmaximierung innerhalb einer angenommenen Verdinglichung von Frauen.
Es ist ein unauthentisches Schauspiel, das ständig darum kreist, was für ihn dabei herausspringt, wenn er sich ihr gegenüber auf die eine oder andere Art verhält. Was kriegt Mann dafür, wenn er sich so oder so gibt? Unter welchen Bedingungen gibt es Aufmerksamkeit? Was muss Mann tun, damit hier endlich mal gefickt werden kann?
Das sind so ziemlich die belanglosesten Fragen, die Mann sich stellen kann. Die Alternativen sind viel interessanter: Wer bin ich? Wo ist mein Platz? Was ist mir wichtig? Wie kann ich Menschen nahe sein und ihnen zeigen, dass sie mir wichtig sind? Wie kommuniziere ich erfolgreich meine Bedürfnisse? Wann fühle ich mich in der Gegenwart anderer Menschen wohl? Wo möchte ich hin? Wenn Männer sich mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigen, anstatt damit, wie sie sich angeblich verhalten müssen, um das von Frauen zu bekommen, was sie wollen sollen, dann ist die Reaktion auf ein hingeworfenes „Aber Frauen stehen doch auf Arschlöcher“ so einfach wie naheliegend:
„Und selbst wenn – das hat nichts mit mir zu tun!“.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berücksichtigen.
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Bildquelle: istock / Estradaanton