Abtreibung gilt in Deutschland noch immer als Straftat

Ein Schwangerschaftsabbruch ist doch gar keine große Sache mehr in einem liberalen, toleranten Land wie Deutschland, oder? Dabei ist Abtreibung hierzulande nach wie vor strafbar. Noch immer ist die Haltung vieler Menschen sehr akzeptiert, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung von Frauen weiter einschränken möchten, wie uns zum Beispiel gerade erst der „Marsch für’s Leben“  in Berlin wieder einmal schmerzhaft vor Augen geführt hat. Die frisch in den Bundestag gewählte AfD, momentan die wohl größte Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Lebensweise, spricht sich ebenfalls klar gegen Abtreibung aus, wie man unter dem Punkt „Kinder willkommen heißen“ im Wahlprogramm der Partei nachlesen kann. Dass aber nun wiederum auch nicht alle Kinder gleichermaßen willkommen geheißen werden, geschenkt:

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Abtreibung nach wie vor kriminalisiert

Angesichts dieser politischen Bestrebungen könnte man auf die Idee kommen, die gesetzlichen Bestimmungen zur Abtreibung in Deutschland wären sehr liberal. Doch weit gefehlt: Noch immer wird der Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert. Mit dem §218 ist die Abtreibung nach vor verboten und kann mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bestraft werden. Lediglich ein Einschub mit speziellen Ausnahmeregelungen in §218a bewirkt die Straflosigkeit einer Abtreibung. So ist ein Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche möglich. Darüber hinaus besagen die Auflagen, dass sich die ungewollte Schwangere vor dem Eingriff beraten lassen muss. Außerdem muss eine Wartezeit von mindestens drei Tagen zwischen Beratung und Abbruch eingehalten werden.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland also nach wie vor rechtswidrig – wenn er auch unter gewissen Umständen nicht strafbar ist.

Zwangsberatung dient dem „Schutz des ungeborenen Lebens“

Als ob eine verpflichtende Beratungsauflage mit Zwangswartezeit nicht ohnehin schon entmündigend genug wäre, darf die Beratung nach geltendem Recht alles andere als neutral geführt werden. Denn nach §219 des Strafgesetzbuches muss die Schwangerschaftskonfliktberatung dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen: „[Die Beratung] hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen.“ Eine gesetzliche Schieflage, die vielen gar nicht bekannt ist. Die Beratungsstellen sehen sich dadurch mit einem scheinbar unlösbaren Konflikt konfrontiert: Wie eine ergebnisoffene Beratung durchführen, wenn die Entscheidung der abtreibungswilligen Person doch nach dem Willen des Gesetzgebers gleichzeitig beeinflusst werden soll?

Beratungsstelle pro Familia äußert sich kritisch zu Auflagen

Eine der bekanntesten Beratungsstellen für die Schwangerschaftskonfliktberatung vor einer Abtreibung in Deutschland ist der Verband pro familia. Nach Auskunft der Beratungsstelle bemühen sich die Berater*innen, den gesetzlichen Auflagen zum Trotz, die Beratung neutral durchzuführen. Dafür müssen sie sich von Seiten der AfD als „Abtreibungsverein“ diffamieren lassen. pro familia betont, dass jede Beratung auf Vertrauen und Freiwilligkeit beruhe. Deshalb versuchen die Beratungsfachkräfte transparent mit der erzwungenen Beratungssituation umzugehen. Sie bemühen sich Vertrauen zu schaffen, um eine individuelle, an den Bedarf der ungewollt Schwangeren angepasste, Beratung zu ermöglichen.

Berater*innen berichten allerdings davon, dass Frauen im Gespräch scheinbar häufig davon ausgingen, dass die beratende Person darüber entscheidet, ob sie die Beratungsbescheinigung bekommen. Diese wird benötigt, um den Abbruch durchführen lassen zu können. Viele Abtreibungswillige kämen schon mit der Erwartungshaltung zu den Gesprächen, dass sie in ihrer Entscheidung bewertet oder beeinflusst werden sollen, so pro familia. Immerhin: Den zwangsberateten Frauen könne die Bescheinigung über die Beratung zumindest nicht verweigert werden.

Erzwungene dreitägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Abtreibung

Auch die gesetzlich vorgeschriebene dreitägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Eingriff sieht pro familia äußerst kritisch. Die Wartezeit von mindestens drei Tagen ist vor allem aus medizinischer Sicht nur schwer zu rechtfertigen. Schließlich erhöht sich mit jedem weiteren Fortschreiten der Schwangerschaft das Komplikationsrisiko während der Abtreibung. Zudem kann der Zeitraum, der für die Zwangsberatung und -wartezeit in Anspruch genommen wird, dazu führen, dass die Betroffene in ihren Wahlmöglichkeiten zur Abtreibung eingeschränkt wird. Schließlich ist der medikamentöse Abbruch mit der Tablette Mifegyne nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich. Diese Art der Abtreibung wird von vielen Patientinnen als angenehmer und schonender empfunden als der instrumentelle Abbruch der Absaugmethode, der in der Regel unter Lokalanästhesie oder einer kurzen Vollnarkose durchgeführt wird.

Verletzung der Menschenrechte durch gesetzliche Auflagen vor dem Schwangerschaftsabbruch

Eine Abschaffung der Auflagen zur Abtreibung wurde 2016 vom UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gefordert. Der Ausschuss setzt sich regelmäßig für die Verbesserung der Menschenrechtslage ein und spricht dementsprechende Empfehlungen aus. Dass sich ein UN-Ausschuss für Menschenrechte gegen die Auflagen des deutschen Strafgesetzbuches zur Abtreibung einsetzt, sollte zum Nachdenken anregen.

Frauen werden durch die Auflagen vor dem Schwangerschaftsabbruch letztlich zu nur bedingt entscheidungsfähigen Wesen erklärt, die eines Vormundes bedürfen. Ihnen wird zwangsweise bei ihrer Entscheidung „geholfen“, die zudem auch noch beeinflusst werden soll. In dem Zeitraum, der mit dem Prozess der Beratung und Wartezeit vergeht, kann eine abtreibungswillige Frau nicht frei darüber entscheiden, was mit ihrem Körper passiert. Während die Auflagen eingehalten werden, vergehen quälende Tage des erzwungenen Nichtstuns.

Was diese Reglementierungen für eine ungewollt Schwangere in der Praxis bedeuten, hat die Autorin Alwina Mai in einem persönlichen Erfahrungsbericht zusammengefasst:

Dass der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland auch 2017 noch immer als rechtswidrig gilt und mit Auflagen und Barrieren reglementiert wird, ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Wie dieses traurige Beispiel zeigt, hat der Feminismus, entgegen vieler Stimmen, seine Grundlage noch lange nicht verloren. Lasst uns gemeinsam darauf aufmerksam machen, dass eine Novellierung des §218 überfällig ist!