Wenn Nils das Foto zu diesem Blogeintrag sieht, wird er denken, dass ich jetzt komplett meine Murmeln verloren habe. Oder auf deutsch: Ich vielleicht eine Woche länger Ferien bräuchte. Zwischen Spielzeugbergen und Weihnachtsbaum plane ich die kommende Arbeitswoche, höre meine Kinder lautstark um mein Tablet streiten und muss für ein eben angefragtes Interview kurz überlegen, ob Nicki Minaj eine „feministische Ikone“ oder eine „Schlampe“ ist. Dabei war mein Ziel für 2016 doch, wie jedes Jahr: Entschleunigung.
Man hat mir zu Weihnachten ein Achtsamkeitsmalbuch geschenkt, nach dem ich im Dezember einen fast fertig gestrickten Pullunder vor Wut zerrissen (zerrissen!) hatte. Ich hatte mich in den Maschen verzählt, alles wieder aufzuribbeln überforderte meine adventsgeplagten Nerven. Das Ganze endete in einem interfamiliären Lachkrampf, aber der Balanceakt zwischen Vollzeitarbeit und Familienpflege ist für die meisten von uns jeden Tag ein Drahtseiltanz, im Dezember Ausnahmesituation. Ich bewundere jene, die ignorieren, wenn der Fußballverein kurz vor dem letzten Training im Jahr fröhlich emailt, die Kinder sollen doch bitte als Weihnachtswichtel verkleidet und mit den Eltern kommen. Mich stresst so etwas.
Also, zwischen all den kleinen Alltagsdingen: Ist Nicki Minaj nun die feministische Revolution oder eine blöde Kuh, weil sie das Wort Feminismus in den Mund genommen hat? Und ganz ehrlich: Warum müssen wir ständig und zu allem eine Meinung haben? Schon gar eine so krasse? Während ich in Zeitlupe vorgemalte Striche mit Bundstiftfarben fülle, denke ich, wie schön es wäre, wenn die Entweder-Oder-Mentalität in den sozialen Netzwerken reduziert werden könnte. Wenn Nicki Minaj eben für einen Batzen Körperermächtigung und weiblicher Lust stehen darf, trotz auch mal patriarchal anmutender Songtexte und Gangsta-Begehren,
und wir uns freuen können, dass eine schwarze Frau sich darüber ausspricht, dass Frauen, schwarze Frauen insbesondere, es verdammt schwer im Musikbusiness haben.
Und sonst? Im schlimmsten Fall zeigt sie Mädchen, was sie eh schon wissen und überall sehen: Twerken ist in. Im günstigeren Fall zeigt sie Mädchen, dass man auch mit fülligerem Hintern sehr viel Spaß mit dem eigenen Körper haben kann. Und wie halte ich es mit ihrer Sprache? Das Wort „Bitch“, das Nicki, Beyoncé und andere gerne benutzen, kommt in meinem Vokabular nicht vor, ebenso wie „Schlampe“. Ich reagiere höchst empfindlich darauf. Aber ich akzeptiere, dass Wörter, die mich triggern, in anderen Kontexten, z.B. zwischen Zielgruppen einer Sängerin und ihr, anders, sogar als ermächtigend gelesen und verhandelt werden können und ich deren Definition nicht immer verstehen muss.
Ob das Magazin, das mich anfragte, mit diesen Aussagen etwas anfangen kann? Für ein kleines Zitat am Rande ist das sicherlich alles andere als medientauglich. Das ist ein bisschen so, als würde man die Tochter ohne Wichtelkostüm und ohne elterliche Begleitung und mit ein paar Langweil-Spekulatius aus der Tüte zum Weihnachtstraining schicken.
Ich habe es trotzdem so geschrieben und bin gespannt, was die Journalistin daraus machen wird. Meine Tochter hat von selbst das Weihnachtstraining boykottiert, weil sie schon von zehn verschiedenen Schul-Adventsaktionen komplett gestresst war. Und ich verspreche, mein Achtsamkeitsmalbuch zu Hause zu lassen, damit es 2016 ordentlich knackige Meinungen und Online-Proteste aus dem Pinkstinks-Büro gibt. Aber mal in der komplett differenzierten und medienfernen Langsamkeit zu leben, ist einfach herrlich. Ein Hoch auf die Pausen!
Frohes Neues, und euch ganz viele kleine, entschleunigte und unaufgeregte Inseln für 2016!
Eure Stevie
Foto oben: Image courtesy of anekoho at FreeDigitalPhotos.net