Es gibt Wochen – zugegeben nicht besonders viele – die sind relativ entspannt, ja beinahe beschaulich. Büroarbeit, Texte schreiben, Kampagnen schmieden, Pläne machen, Anfragen beantworten. Die ganz alltäglichen Dinge.
Und dann gibt es Wochen wie die letzte. Wo es knüppeldick kommt und man überhaupt nicht mehr weiß, wo man in dem ganzen Chaos überhaupt anfangen soll. Wo sich zeigt, dass Sexismus eine gesellschaftliche Hydra ist, die, kaum dass man sich mit einem ihrer Köpfe beschäftigt, schon die anderen reckt. Mitten in dieser besagten Wochen bin ich guter Dinge, weil ich (wie fast immer kurz vor knapp) eine vernünftige Pinkwatch gebastelt habe. Ich grusele mich zwar ein bisschen vor diesem Typen, der vor einem Elchkopf brüllt, wie falsch pinke Binden für Männer sind, und frage mich zugleich, ob ich nicht doch noch den Clip hätte verlinken sollen, in dem er einen Männerort unter dem Waschbecken präsentiert. Aber sonst ist alles gut.
https://www.youtube.com/watch?v=TzycOWk3acs
Da aber der ganze Text schon voller „What the Fuck?!“ Produkte und Werbung steckt, lasse ich das – fürs erste. Das Baby qietscht vergnügt auf dem Teppich herum, ich bin ausnahmsweise nur mäßig müde und kann die Social Media Arbeit für Pinkstinks mal halbwegs wach machen. Da retweetet Anne Wizorek (Anne folgen lohnt sich auf jeden Fall!) in unsere Timeline einen Tweet, der die schöne Mittwochsbeschaulichkeit in Stücke reißt.
@marthadear habe dieses T-Shirt bei #SinnLeffers entdeckt. Helfen Sie uns darauf aufmerksam zu machen? #aufschrei pic.twitter.com/hoODymBXq3
— Dave (@Some1HoldMeBack) June 10, 2015
Ich werde (vorsichtig formuliert) etwas unentspannt und ein bisschen wütend, reagiere auf den Tweet und frage, ob das Foto in einem deutschen Laden entstanden ist. Ja, tatsächlich, Sinn Leffers in Mainz verkauft die Dinger. Was nun? Das normale Prozedere bei Pinkstinks ist, dass wir Sachen ausrecherchieren, bevor wir loslegen. Also Fragen klären wie
Wem gehört Sinn Leffers?
Gehören die Kleidungsstücke zu einer Eigenmarke oder nicht?
In wie vielen Filialen liegt das aus und wie lange schon?
Wer ist dafür verantwortlich?
usw.
Ich hab aber Babydienst. Am Telefon professionell Leuten auf den Keks gehen, ist da nicht wirklich drin. Ellenlange Recherche auch nicht. Trotzdem finde ich den Spruch so unfassbar, dass ich auf Twitter zusage, dass sich Pinkstinks so bald wie möglich darum kümmert. Anschließend tue ich etwas, das wir bei Pinkstinks sehr selten machen. Ich fordere auf Facebook unsere Follower auf, der Firma ihre Meinung mitzuteilen und verweise auf die Kontaktdaten. Gewöhnlich versuchen wir selber die Verantwortlichen zu kontaktieren, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Nur bei sehr krassen Fällen bitten wir unsere Community aktiv um Mithilfe. Das ist aber ein krasser Fall… und die Community hilft. Ihr seid nicht nur unserer Aufforderung nachgekommen, sondern habt ganz nebenbei auch noch die Recherchearbeit übernommen: Sinn Leffers gehört mittlerweile zu Wöhrl, die Klamotten stammen von der französischen Firma Boom Bap, die schon häufiger diesbezüglich unangenehm aufgefallen ist. Ein Puzzelstück fügt sich zum anderen. Das Arbeitspensum wächst. Mit dem Ergebnis, dass der Spuk schon einen Tag später vorbei ist. Der Fall rauscht von Spiegel über Bild sogar bis in die Schweiz (wo man auch gleich die Produktionsstätte dieser Kleidungsstücke ausgemacht hat: die chauvinistische Vorhölle), Mitarbeiter*innen entschuldigen sich per Email, schließlich auch der Geschäftsführer offiziell – allerdings mit einer klassischen dementierenden Entschuldigung.
Also im Sinne von: Tut uns leid, wenn sich wer verletzt fühlt.
Nicht im Sinne von: Wir haben richtig Mist gebaut und es noch nicht einmal gemerkt.
Und die Oberteile sind aus den Läden genommen. Läuft also bei Pinkstinks! Ja, aber die Arbeit hört nicht auf. Zum einen bleiben, wenn man so eine Aktion im Schnelldurchlauf macht, andere Sachen liegen, weil man sich nur auf dieses eine Ding konzentriert. So konnten die Leute von fanfeed beispielsweise ihr sexistisches Fußballerinnenquartettspiel, das aus diesem Anlass auch diesen Text verunstaltet, relativ unbehelligt von der Webseite nehmen und aus Twitter löschen – ohne das auch nur mit einer Silbe zu kommentieren. Das hätte eigentlich verdient, dass wir ihnen mit dem Screenshot so lange auf den Keks gehen, bis sie sich mal zu einer Stellungnahme bequemen. Musste aber leider genauso aufgeschoben werden wie „Richtig mit Frauen sprechen“ (Was ein Brüller!) des lokalen Radiosenders RT1.
Und bis ihr erfahrt, was genau ein „Chauvi-Set“ ist, müsst ihr euch auch noch ein wenig gedulden.
Hinzu kommt, dass wir, immer wenn wir einen solchen Aufmerksamkeitsschub durch die Presse bekommen, virtuell von Leuten besucht werden, die so gar nicht mit uns zufrieden sind. Die finden, dass wir uns um die falschen Probleme kümmern (unsere Standardantwort: Na prima, kümmert ihr euch doch um die richtigen!), ihnen die geilen T-Shirts wegnehmen und überhaupt als Feminazis, die wir ja nunmal sind, Markt, Meinung und Spaß kaputt machen. Dass wir auf Facebook lediglich Menschen dazu aufgefordert haben, ihre Meinung kundzutun, ist da nur ein unwichtiges Randdetail. Nee Nee, wir sind mit brennenden Fackeln auf einem Kreuzzug. Weil isso. Diese Leute finden übrigens auch gerne, dass man sich nicht so viel in die Belange freier Bürger einmischen sollte, halten es aber für richtig, wenn der Staat Homosexuellen ihre Rechte verweigert. Na denn.
Und mit denen muss man halt auch umgehen. Moderieren, abwägen etc. Ihr seht, alles nicht so einfach, und manchmal geht es drunter und drüber. Aber es lohnt sich.