Beachte mich – sonst passiert was!

 

Ein Jugendlicher steht in einer Einfahrt und lässt sich dabei filmen, wie er einen Basketball dribbelt. Als eine Gruppe Mädchen hinter ihm vorbei radelt, dreht er sich um und spricht sie an: „Hey Ladies!“

Die Antwort folgt prompt: „F*** dich!“ schallt es ihm entgegen. Daraufhin wirft der Jugendliche seinen  Ball ohne Vorwarnung auf die Gruppe, trifft ein Rad und die Fahrerin stürzt.

https://www.youtube.com/watch?v=XIpFQPPElls

Über eine halbe Million Menschen haben dieses verwackelte Video gesehen. Im Internet wird es heiß diskutiert und die Zeitungen berichten darüber. Worüber eigentlich? Der Fall müsste doch ganz klar sein. Es ist unentschuldbar, jemandem einen Ball ins Vorderrad zu werfen und dabei zu beabsichtigen oder in Kauf zu nehmen, dass er oder sie sich schlimm verletzt. Trotzdem finden viele, dass bei diesem Clip Diskussionsbedarf besteht. Und das klingt dann so:

„Wenn es ein Junge auf dem Fahrrad wäre, würde sich niemand drüber aufregen.“
„Wenn Mädchen sich derartig wie Schlampen aufführen, dann verdienen sie, so behandelt zu werden.“
„Das Mädchen, das ‚F*** dich!‘ gesagt hat, ist arrogant und unhöflich. Sie hätte ihn ja nur ignorieren und weiterfahren brauchen.“

So weit, so unerfreulich. „Gesprächsbedarf“ also. Dann schauen wir uns das doch mal genauer an und reden darüber.Wir lassen beiseite, dass nichts über den Kontext des Videos bekannt ist und dass der Junge seinen Arm bereits hebt, bevor das Mädchen etwas sagt. Wir lassen sogar beiseite, dass das Mädchen vielleicht genau deshalb, weil der Junge zum Wurf ausgeholt hat, so reagiert, und reden über das, worüber sich die Leute dabei wirklich streiten: Über Cat Calling (Hinterherpfeifen, Nachrufen) und Flirten. Über den Unterschied zwischen Übergriffigkeit und Aufmerksamkeitsbekundung. Über das Recht auf Blicke und das Recht, von diesen Blicken verschont zu bleiben.

Cat Calling Gif

Wie man damit umgehen soll, ist schon länger ein Thema. Spätestens seit dem Fall Rainer Brüderle und dem #aufschrei berichten Männer wie Frauen davon, dass sie gar nicht mehr wüssten, wie sie aufeinander zugehen sollen. Man könne ja nichts mehr sagen. Den Männern würden die Komplimente im Mund verdreht und die Frauen müssten vergeblich darauf warten, dass Mann sich endlich traut, sie anzusprechen. Überhaupt seien die Kommentare gar nicht sexistisch, sondern allenfalls die Männer falsch. Wenn Frau der richtige Mann hinterherpfeift oder sagt, dass sie ein Dirndl ausfüllen kann, würde sie sich sogar darüber freuen. Früher war das alles viel unkomplizierter und besser.

Da ist allerdings was dran. Früher hatten Frauen selbstredend auf Avancen zu reagieren und sich natürlich über Komplimente zu freuen. Frauen hatten sich glücklich zu schätzen, dass sie endlich vom männlichen Blick bemerkt wurden. Vorher existierten sie nicht, ihre Interessen waren irrelevant. Erst in der Interessensbekundung eines Mannes wurden sie sichtbar. Das mag vielleicht unkomplizierter gewesen sein, weil alle wussten, woran sie waren, aber es war nicht besser. Und der böse, böse Feminismus hat die Situation auch nicht verschlechtert, sondern lediglich darauf hingewiesen, wie die Machtverhältnisse gelagert sind, und verlangt, dass sie verändert werden. So macht man das mit unerträglichen Situationen.

Die Frage ist nicht, was für eine Gesellschaft das ist, in der ein Junge nicht mehr einem Mädchen ein Kompliment machen kann, ohne dass er damit rechnen muss, dass es ignoriert oder scharf zurückgewiesen werden kann. Die Frage ist vielmehr, was für eine Gesellschaft das ist, in der Frauen und Mädchen gefälligst auf sogenannte Komplimente zu reagieren haben. In der das Sprichwort „Was sich liebt, das neckt sich“ viel zu oft bedeutet, dass ein Junge einem Mädchen nachstellt, ihm an den Haaren zieht, es beleidigt und herabwürdigt, um in einer für seine Peer-Group angemessenen Weise sein Interesse zu bekunden. In der ein Krankenhausmitarbeiter einem vierjährigen Mädchen sagt, dass der Junge, von dem es geschlagen wurde, sie wahrscheinlich mag.

https://twitter.com/CGGuy44/status/654504738050830336

Und in der ein Mann unter einem „No Catcall!“ Schild die Geräusche demonstriert, mit denen er Frauen auf sich aufmerksam macht, um anschließend auf die Frage, wie er denn Hunde rufen würde, zu antworten: „Auf dieselbe Art und Weise!“

Wäre dieser Mann vielleicht ratlos, wie er Frauen sonst ansprechen soll, wenn er DAS nicht mehr machen darf? Kann schon sein. Aber es wird allerhöchste Zeit, dass das sein Problem ist und nicht länger das von denjenigen, die er mit seinem übergriffigen Verhalten belästigt.