Kasia Lenhardt war Model und wurde 2012 als Teilnehmerin von "Germany's Next Topmodel" bekannt. Darüber hinaus entwickelten die Boulevardmedien unvermeidliche wie unerträgliche "Bild"-Zeitung - gesteigertes Interesse an ihr, als sie 2019 eine Beziehung mit dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng begann.

Boateng: Der Mythos der Familienzerstörerin

„Dan Gallagher ist ein erfolgreicher, glücklich verheirateter Anwalt, der mit seiner Frau Beth und Tochter Ellen in Manhattan lebt. Durch geschäftliche Tätigkeiten macht er Bekanntschaft mit Alex Forrest, einer Verlagslektorin. Als seine Frau mit der Tochter für ein Wochenende die Stadt verlässt, schläft Dan mit Alex.“
So beginnt auf Wikipedia die Handlungszusammenfassung des Filmklassikers Eine verhängnisvolle Affäre von 1987. Und so beginnt vor dem Hintergrund des tragischen Suizids von Kasia Lenhardt auch dieser Text. Kasia Lenhardt war Model und wurde 2012 als Teilnehmerin von „Germany’s Next Topmodel“ bekannt. Darüber hinaus entwickelten die Boulevardmedien – allen voran die ebenso unvermeidliche wie unerträgliche „Bild“-Zeitung – gesteigertes Interesse an ihr, als sie 2019 eine Beziehung mit dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng begann. Boateng befand sich zu dem Zeitpunkt noch in einer Beziehung mit Rebecca Silvera, der Mutter seiner Kinder. Ein gefundenes Fressen für jenen Teil der „Medien“, die mit Klatsch und Häme über Prominente ihren Umsatz machen.

Lenhardt und Boateng kamen also zusammen, führten eine Beziehung und trennten sich. „Bild“ und andere „berichteten“ darüber quasi im Minutentakt. Und bedienten sich dabei großzügig an dem patriarchalen Archetyp der Familienzerstörerin. Der Femme fatale, der skrupellosen Frau, die einer anderen – womöglich sogar noch mit ihr bekannten oder befreundeten Frau -, „den Mann ausspannt“. Das ist in der Fiktion wie in der Realität so lächerlich wie gefährlich. In der Fiktion von Eine verhängnisvolle Affäre bleibt unter anderem vollkommen offen, wieso Dan mit Alex Sex hat, wenn er doch so glücklich und erfolgreich ist und außerehelicher Sex nicht Bestandteil der Beziehungsvereinbarung zwischen ihm und seiner Frau sind. Und in der Realität die drängende Frage, warum Jérôme Boateng glaubt, nach der Trennung ernsthaft behaupten zu können, dass er „in Wahrheit diese Art Beziehung mit Kasia nie wollte„. Flankiert von der von ihm betrogenen Ex-Freundin, die gegenüber der Presse festhält, dass „Kasia Lenhardt ihre Familie zerstört hat„. Um mit einem sehr populären Meme zusammenfassend zu fragen:

Was ist passiert? Ist Jérôme Boateng ausgerutscht und in Kasia Lenhardt gefallen? War er nicht mehr Herr seiner Sinne, weil er von den Reizen einer Frau und ihren satanischen Kräften verhext wurde (auch das ist ein gängiger patriarchaler Mythos)? Hat sie ihn mit vorgehaltener Waffe dazu genötigt, eine Beziehung mit ihr einzugehen? Die Aussagen der Boulevardmedien über Lenhardt lesen sich tatsächlich so. Und sie konstituieren nicht etwa, dass eine Frau einen Mann zu einer mehrmonatigen Beziehung genötigt hätte, sondern schlicht und ergreifend einen besonders krassen, in seiner Konsequenz frauenverachtenden und tragischen Fall von Cybermobbing und Demütigung als Geschäftsgrundlage. Die angebliche „Schlampe“, das „Biest“, die „Ex von“ …

… ist aus welchen Gründen auch immer eine Beziehung mit einem erwachsenen, selbstbestimmten Mann eingegangen, dem nach der Trennung viel zu viel Raum dafür gegeben wurde, sich von Verantwortung freizusprechen, indem er auf bekannte und beliebte misogyn-patriarchale Gesellschaftsmythen Bezug nimmt.

Diese Mythen sind sehr tief verankert. Sie werden erzählt, wenn Frauenzeitschriften Texte darüber veröffentlichen, „welche vier Sternzeichen dir deinen Partner ausspannen wollen„. Sie finden sich in der viel zu vereinfachten und Männer aus der Verantwortung entlassenden Frage, ob Frau sich den Mann einer Freundin angeln darf. Sie bezeichnen Frauen als „kalte Geschöpfe“ und Männer als „harmlos und naiv“. Hier ein Auszug aus einem Text von rtl.de:

Aber Männer sind keine Fische und auch keine Kinder. Dieses „Den Freund/Partner/Ehemann ausspannen“-Märchen zahlt auf einen weiteren patriarchalen Archetyp ein: den des Man-Child. Ein Man-Child ist ein erwachsener Mann, der sich selten bis überhaupt nicht wie ein verantwortungsbewusster Erwachsener verhält. Ein gutes fiktives Beispiel für dafür ist die Figur des Douglas Heffernan aus der Sitcom King of Queens. Heffernan drückt sich vor Verantwortung, schiebt unangenehme Tätigkeiten seiner Frau zu, lügt und zieht Mauern aus Schutzbehauptungen hoch, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Er hat die „Ich konnte nichts dafür, der Hund hat meine Hausaufgaben gegessen“-Maschen für das Erwachsenenleben perfektioniert.

Und genau damit muss Schluss sein. Jérôme Boateng ist 32 Jahre alt. In den Redaktionen des Landes sitzen Erwachsene, die dafür Verantwortung übernehmen müssen, Beziehung und Trennung eines prominenten Paares nicht in einer Weise auszuschlachten, die die Frau einseitig als „Familienzerstörerin“ und als „Fatal Attraction“ diffamiert und sich dann – nachdem man sie monatelang mit Scheiße beworfen hat – pfeifend abwendet, als wäre nichts passiert. Und hinter den Social-Media-Accounts, die Lenhardt auf diversen Plattform verächtlich gemacht und beschimpft haben, verbergen sich in den meisten Fällen Erwachsene, die es besser wissen müssten. Männer sind keine Kinder und Frauen keine Süßigkeiten, denen auch liierte Männer gegebenenfalls nicht widerstehen können. Der Mythos der Familienzerstörerin ist eine widerliche Lüge, die darauf abzielt, die Verantwortung von zwei erwachsenen Menschen nur einem zuzuschieben: nämlich der Frau.

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Bild: Pinkstinks Germany e.V.

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