Caryn Franklin

Unser erstes Role Model in 2014 ist die britische Modeexpertin Caryn Franklin, die seit über drei Jahrzehnten in den verschiedensten Bereichen der Modeindustrie tätig ist. Darüber hinaus ist Caryn (Foto rechts) eine engagierte Aktivistin, die sich dafür stark macht, die Fixierung der Modewelt auf scheinbar ewigjunge und überschlanke weibliche Körper zu durchbrechen. Dafür gründete sie 2009 mit zwei Mitstreiterinnen die Initiative All Walks Beyond the Catwalk mit der sie darum kämpft, den Menschen innerhalb und außerhalb der Modewelt klar zu machen, dass die Vielfalt des menschlichen Körpers eine Bereicherung für eine Industrie ist, die sich schon viel zu lange auf ihre limitierten Vorstellungen von Schönheit versteift und sich diese auch nicht ohne Weiteres ausreden lassen will. Die Macherinnen von All Walks sehen einen Zusammenhang zwischen den Körpern, mit denen die Modeindustrie unsere Vorstellungen erstrebenswerter Schönheit bebildert und den immer verzweifelteren Bemühungen vor allem von jungen Mädchen, diesem Ideal um jeden Preis gerecht werden zu wollen. Für Caryn ist nicht Mode an sich das Problem, sondern die Scheuklappen mit denen wir die Körper betrachten, die sie tragen. In letzter Zeit beobachtet sie mit Besorgnis, dass diese Scheuklappen zunehmend pornographischer werden.

Für ihr Engagement wurde Caryn mit dem Orden „Member oft he British Empire“ bedacht. Wir hoffen in Zukunft noch ganz viel von ihr und All Walks zu hören. Darüber, was sie antreibt und was sie mit All Walks noch erreichen will, haben wir mit ihr in einem ausführlichen Interview gesprochen.

Interview Caryn Franklin

Hallo Caryn und danke, dass du dir heute für uns Zeit nimmst. Nachdem du annähernd drei Jahrzehnte in der Modeindustrie tätig warst und über Mode und die Menschen, die sie machen und tragen, geschrieben hast, ist 2009 die Initiative All Walks von dir, Debra Bourne und Erin O’Connor gegründet worden. Mit ihr habt ihr euch zum Ziel gesetzt, Sehgewohnheiten und die Körpernormen der Menschen herauszufordern. Erzähl uns doch ein bisschen, wie das alles angefangen hat? Gab es so etwas wie eine Initialzündung?

All Walks begann, als ich mich mit den Mitgründerinnen zusammensetzte und wir feststellten, dass wir Geld für ein gemeinsames Projekt organisieren könnten. Ich hatte mich schon in den 90igern in einer Essstörungsgesellschaft als Schirmherrin engagiert und meine Mitstreiterinnen brachten jeweils ihre eigenen Gründe mit, sich für Körperbilder zu interessieren. Gemeinsam hatten wir angefangen, das zu diskutieren, was wir als wachsendes Problem ausmachten: Die Etablierung von Bildern der sehr jungen, sehr dünnen, sehr hellhäutigen Frau durch die Modeindustrie. Wir sahen eine Verbindung zwischen dem Mangel an Selbstvertrauen, der Unzufriedenheit und in manchen Fällen auch der Verzweiflung, die Frauen über ihre Körper empfinden, und dieser ständigen Zurschaustellung eines unerreichbaren Ideals. Manche Leute in der Industrie verneinen diesen Zusammenhang, während andere außerhalb der Industrie die Modewelt für alleinschuldig an Essstörungen halten. All Walks macht sich beide Standpunkte nicht zu eigen. Aber wir glauben, dass die Modeindustrie über enorme Möglichkeiten verfügt, wenn es darum geht, positive Botschaften rund um Schönheitsideale zu vermitteln.

Wie haben die Leute auf eure Herausforderung reagiert? Habt ihr schnell Verbündete finden können oder musstet ihr eine Weile ganz auf euch allein gestellt gegen Ignoranz und Gleichgültigkeit kämpfen?

Als wir sagten, wir wollen die Sache jetzt anpacken, waren das British Fashion Council und der Ausschuss, dem wir unser Anliegen präsentierten, sehr unsicher, ob wir einen guten Job machen würden. Also musste ich ein bisschen auf meinen guten Ruf verweisen um klarzumachen, dass eine Gruppe von verschiedenen Personen für diese Sache Großartiges in Bewegung setzen würde. Wir haben also von Anfang an sichergestellt, dass wir Topleute dabei haben. Kayt Jones, eine preisgekrönte Fotografin, ist extra auf eigene Kosten aus Los Angeles hergeflogen, um mitzuarbeiten. Wir hatten gleich von Beginn an tolle Unterstützung und niemand hat gesagt, dass er nicht mitmachen will. Alle haben uns ihre Zeit kostenlos zur Verfügung gestellt.

Was waren die nervigsten, am häufigsten gestellten Fragen, mit denen man euch in den letzten Jahren konfrontiert hat?  

Ich denke, die Frage, die praktisch jedes Mal gestellt wird, lautet: „Promotet ihr fette Frauen? Gebt ihr etwa Adipositas eine Plattform?“ Es ist fast so als müsste ich den Leuten versichern, dass diese Angst auf der gesellschaftlichen Fixierung auf limitierte Frauenbilder beruht. Weiblichkeit wird in zwei Körperformen polarisiert. Aber das ist nicht nur unglaublich dünn, quasi anorektisch, auf der einen Seite und kurz vor Fettleibigkeit auf der anderen.  Frauen gibt es in allen Formen und Größen und sie werden von einer Industrie schlecht behandelt, die sie entweder nur dünn oder fett sieht. Daher haben wir in unseren Kampagnen mit Models gearbeitet, die von Größe S bis XL alles repräsentieren. Darüber hinaus wollten wir die ganze Bandbreite an Hautfarben zeigen, an Größen und Altersstufen. Aber sind dafür kritisiert worden, kein klares Statement zu kleinen Frauen gemacht und nicht genug auf Diversität geachtet zu haben. Unsere beiden Kampagnen haben niemanden mit Behinderung gezeigt, das haben wir geändert.

Gab es einen Punkt, an dem ihr gemerkt habt, dass All Walks ein Erfolg wird und eine Menge bewegt.

Nach unserer ersten Kampagne hatten wir viel Presse und stellten fest dass sich die Menschen dazu stark verhielten – durchaus nicht nur positiv, da war viel Wut. Es gab Kommentare wie, „Das ist nur eine Alibiveranstaltung!“ und „Das kommt zu spät!“ Viele Frauen waren von der Modeindustrie enttäuscht, das war keine Überraschung. Wir fühlten das ja selbst, und unsere Kampagne bot die Möglichkeit etwas zu kommentieren, was zuvor zu oft ignoriert wurde.

Gibt es einen geschlechtsspezifischen Unterschied in den Themen, die All Walks wichtig sind? Macht es einen Unterschied, ob ihr Männer oder Frauen ansprecht?

Wir beschäftigen uns mit Frauen, weil Frauen an der Frontlinie stehen und stark von Urteilen über ihre Erscheinung betroffen sind. Aber wir stellen auch fest, dass junge Männer zunehmend unter Druck geraten. Wir wissen, dass geringes Selbstvertrauen und Depressionen bei ihnen auf dem Vormarsch sind. Statt also mit dem Finger auf das eine oder andere Geschlecht zu zeigen, sollten wir positive Wege finden, Selbstwertgefühl zu stärken. Außerdem haben wir festgestellt, dass wenn es keine Diversität hinter der Kamera gibt, auch keine vor der Kamera stattfindet.

Was denkst du über die sexualisierte Darstellung von Frauen in der Mode? Glaubst du, es gibt eine Art immanentes Bedürfnis der Mode danach, Körper zu sexualisieren, weil sich alles darum dreht, Haut zu drapieren? Oder ist das nur eine verdrehte Art, Menschen zu sehen, die verändert werden müsste. Die erste Möglichkeit würde eine permanente Wachsamkeit und einen unnachgiebigen Willen, dagegen anzukämpfen, erfordern. Die zweite wirkt jedoch so, als könnte sie ein für alle Mal beendet werden.

Meiner Erfahrung nach ging es in den 80igern in der Mode sehr um Bestärkung, weil Mode letztendlich ein Gesellschaftsbarometer ist. Als ich jung war, gab es zum ersten Mal massenhaft gut ausgebildete Frauen, die Chancengleichheit am Arbeitsplatz erwarteten. Kleidung reflektierte unser Bedürfnis als intellektuelle Entscheidungsträgerinnen gesehen zu werden, also gab es absolut keine Sexualisierung. Im Hier und Jetzt leben wir allerdings in einer Kultur, in der Frauen dazu ermutigt werden, sich nicht in erster Linie als denkende, handelnde Wesen zu begreifen, sondern als hypersexualisierte. Also stelle ich nicht nur die Mode, sondern unsere kulturelle Sichtweise von Frauen als der männlichen Sexualität verfügbar in Frage. Wir haben diese Sichtweise von Weiblichkeit normalisiert und aufgehört, unsere eigenen Stimmen zu hören, die sie hinterfragen.

Wenn junge Frauen dir erzählen, dass sie Model werden wollen oder irgendeine andere Karriere in der Modewelt anstreben, und dich um Rat fragen – was sagst du ihnen? Ist es sinnvoll, an einer Casting Show teilzunehmen? Deine All Walks Kollegin Erin O’Connor ist gegenwärtig Jurorin/Mentorin in der britischen Fernsehshow The Face. Muss man sich darauf einstellen, in diesem Business bestimmte Dinge zu tun und gibt es Dinge, die man auf gar keinen Fall machen muss? Oder um ein Marilyn Monroe Zitat umzuformulieren: Ist die Modeindustrie immer noch der Ort, wo man dir 1000 Euro für ein (Halb)Nacktfoto zahlt und 50 Cent für deine Seele?

Früher habe ich ohne Probleme gesagt, dass die Modelwelt den Frauen, die aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale Zutritt zu ihr haben, wunderbare Möglichkeiten zu reisen eröffnet. Aber heute würde ich jungen Frauen sagen, dass sie sich sehr genau überlegen sollten, ob sie Teil einer Industrie werden wollen, die ständig etwas an ihrem Aussehen auszusetzen hat. Sie wird sie ziemlich unfreundlich behandeln ohne jede Rücksicht auf die psychischen Auswirkungen, die der Job mit sich bringt.

Und als Model gibt es auf jeden Fall Dinge, die du nicht tun musst. Kate Moss hat 20 Jahre damit gewartet zu erzählen wie es war als man sie mit 17 gesagt hat, sie möge sich doch ausziehen, sich auf einen halbnackten Typen setzen und möglichst erotisch geben. Sie hatte keine Erfahrung damit in einer Beziehung und fühlte sich sehr unsicher und unwohl. Aber mit 17 glaubte sie nicht die Macht zu haben, dazu Nein! zu sagen; sie war ja gebucht worden. Ich denke, jede junge Frau, die modeln will, sollte die Welt verstehen, in die sie sich begibt. Es kann gut sein, dass sie davon ausgeht, dass ihre Persönlichkeit gefestigt genug ist und sie sich durchsetzen kann. Vielleicht riskiert sie zu sagen, dass sie dieses oder jenes nicht tun will und damit auch nicht mehr wegen eines Jobs für denselben Kunden angerufen zu werden, weil wir alle die Wahl haben.

Wie sieht die Zukunft von All Walks aus? Was plant ihr?

Inzwischen wird uns immer häufiger gesagt, dass wir großen Einfluss auf Modeerziehung und die nächste Generation von Kreativen haben, damit sie verantwortungsbewusst handeln und um ihre Macht wissen, weibliches und männliches Selbstbewusstsein über Aussehen zu beeinflussen. Wir wollen unsere Arbeit akademisch evaluieren lassen, damit wir sie in ganz Großbritannien vernünftig einbetten können. Wir arbeiten mit Jo Swinson vom britischen Ministerium für Frauen und Gleichstellung daran, Werbung zu verändern. Firmen müssen dazu angehalten werden, sich zu ändern und sich einen Verhaltenskodex aufzuerlegen, der sich an ethischem Verhalten orientiert. Wir haben es mit einer Industrie zu tun, die einen enormen Einfluss auf junge und zunehmend auch auf ältere Frauen hat. Wir wissen, dass Depressionen und selbstverletzendes Verhalten auf dem Vormarsch sind und wir müssen uns die fundamentale Frage stellen, warum wir darüber als Industrie froh sein sollen, wenn es doch möglich ist, die Dinge zu ändern und Frauen dazu zu ermutigen, sich durch Mode bestärkt zu fühlen.

Das Interview führte Nils Pickert zusammen mit Elspeth Merry.

Foto: Debra Bourne, Erin O’Connor und Caryn Franklin. Fotografiert von Kayt Jones.