Coach, don’t touch me!

Wie schwer es für Frauen ist, Grenzen aufzuzeigen, bemerkten wir kürzlich bei einer Diskussion um #MeToo mit jungen Auszubildenden und der Führungsetage einer großen Firma. Während junge Frauen erklärten, dass es für sie nicht in Ordnung sei, von männlichen Vorgesetzten Komplimente zu ihrer Attraktivität zu bekommen, kommentierte eine Führungskraft, dass sie doch „keine kleinen Mädchen mehr“ wären: Da zeige man Rückgrat, lache das weg und nähme das Ganze nicht so ernst. Mit anderen Worten: Diese neumodischen Beschwerden wären doch „infantil“.

Noch härter drückte es im Dezember ein aufstrebender Nachwuchsboxer aus, in dem er kund tat, was er von der #MeToo-Initiative „Coach don’t touch me“ junger weiblicher Boxerinnen hielte. Nach Diskussionen um sexuelle Belästigung und Übergriffe hatten Hamburger Boxerinnen die Initiative 2018 gestartet, um auf Chauvinismus und Übergriffigkeit in der Branche aufmerksam zu machen. Spiegel Online berichtete, dass auch Weltmeisterin Susi Kentikian die Initiative unterstütze. Zu seinem 18. Geburtstag kurz vor Jahreswende verkündete der Nachwuchsboxer auf Facebook:

„Eins noch, Vorurteile nicht über Sachen von den man selber keinen blassen Schimmer hat. Denn an alle, die den #Coachdonttouchme benutzt haben, … sind aus meiner sicht Menschen die im Leben zurückgeblieben sind!!!“

Diese Meinung kann man kommentieren, muss man nicht. Sie aber zu feiern, wie es Raiko Morales, der Vorstand des Deutschen Boxsport-Verbandes sogleich tat, ist eine Schelle ins Gesicht jeder Frau, die sich gegen Belästigung ausspricht oder dagegen sensibilisieren möchte.

Als junge Boxerinnen daraufhin die Gleichstellungsbeauftragte des Deutschen Boxsport-Verbandes um Unterstützung baten, antwortete diese, dass sie nicht auf Facebook sei und den Kommentar somit nicht lesen oder kommentieren könne – dabei sind öffentliche Profile auf Facebook für jede*n einsehbar. Die Initiative #Coachdonttouchme hatte in Interviews wiederholt gefordert, Chauvinismus in der Branche solle sichtbar gemacht werden. Jedoch erntete ihr Aufruf jetzt das Gegenteil: Auch Ralf Grabow, Trainer des Phoenix Sportvereins aus Stralsund und Thomas Milster, Trainer vom PSV Rostock kommentierten in der Timeline des jungen Mannes seinen außerordentlichen Mut. Da der Mann noch jung ist, möchten wir seinen FB-Post hier nicht veröffentlichen – Sensibilisierung kommt nicht über Nacht und er mag seine Meinung noch ändern.

Liegt es an der Sportform an sich, dass eine Gleichstellungsbeauftragte der Mut verlässt, ein solches Lob von abwertenden Verhalten zu rügen? Selbst wir sind ein wenig zittrig, über männliche Boxsportler, die teilweise in Hamburg wohnen, zu schreiben: Nachher kriegen wir noch was auf die Nase. Genau das ist ein Vorurteil und dafür gehören wir gescholten. Für so einen Spruch darf uns der Nachwuchssportler gerne zurechtweisen und wir würden auch erröten, wenn… ja wenn er selbst nicht ausblenden würde, dass sexuelle Belästigung ein Erfahrungsbereich ist, von dem er wohl „keinen blassen Schimmer“ hat. Dass es jedem Menschen zusteht, eine Grenze und Gehör einzufordern für das Empfinden, belästigt zu werden. Dass es nicht Männern oder jenen, die keine Belästigung empfinden, zusteht, dieses Empfinden einer Erfahrung zu bewerten. Eine Empfindung mag eine Verletzung ausdrücken – verletzt zu werden ist aber nie „infantil“ oder „zurückgeblieben“. Es ist erwachsen, seine Grenzen zu kennen, sie zu benennen und sie zu verteidigen. Es ist stark, mutig und gewagt. Und genau das alles sollte Boxsport doch sein. Deshalb, Herr Morales: Wir erwarten Ihre Erklärung dazu.