Im 12. Monat der Pandemie hat die Politik Familien immer noch nicht mehr anzubieten als warme Worte, ein bisschen Geld und eine unglaublich dreiste Drohkulisse darüber, was alles passiert, wenn wir jetzt nicht sofort irgendwie die Schulen aufmachen.

Coronaeltern und kein Ende

Lüften. Masken. Abstand halten durch weniger Kinder in Schulklassen und bei Husten zu Hause bleiben.
Das ist also die Strategie, die 50 Expert*innen entwickelt haben, um unter Coronabedingungen die Schulen wieder zu öffnen und Unterricht stattfinden zu lassen. Das ist das Konzept, das Bildungsministerin Karliczek ein „Komplettpaket“ nennt.

Also komplett ohne Schnelltests. Komplett ohne auch nur den Hauch einer Idee, wie Kinder und Jugendliche, die für den Schulweg auf öffentliche Transportmittel angewiesen sind, vor dem Ansteckungsrisiko in völlig überfüllten Bussen und Bahnen geschützt werden sollen. Komplett ohne Impffahrplan für Lehrende, pädagogische Fachkräfte und Schüler*innen. Komplett ohne alles. Außer einem an Peinlichkeit schwerlich zu überbietenden Versuch, sich mit altbekannten Mitteln auf Kosten von Familien bis zum Frühling irgendwie durchzuhangeln, obwohl die zunehmende Zahl an Corona-Mutanten jetzt schon ahnen lässt, dass dort nicht die erhoffte Ziellinie liegt.

Im 12. Monat der Pandemie hat die Politik Familien immer noch nicht mehr anzubieten als warme Worte, ein bisschen Geld und eine unglaublich dreiste Drohkulisse darüber, was alles passiert, wenn wir jetzt nicht sofort irgendwie die Schulen aufmachen. Allenthalben wird von einem Abitur 2. Klasse gefaselt, von uneinholbaren Bildungsrückständen, einer verlorenen Generation und ganz allgemein vor schlimmen Folgen. Baden-Württembergs Bildungsministerin spricht gar von einem „lebenslangen Makel“ eines Corona-Abiturs. Aber klar doch: Druck aufbauen ist in so druckarmen Zeiten wie einer globalen Pandemie natürlich dringend notwendig. Die Menschen haben einfach viel zu wenig Stress. Und während Schulen und Kitas konzeptlos geschlossen bleiben beziehungsweise nicht wirklich zu sind, weil berufstätige Eltern auf Notbetreuung angewiesen sind, um den Anforderungen des Erwerbsleben in – wie wir ja alle wissen – zum Glück vollkommen coronaresistenten Büroräumen nachzugehen, macht die Nachricht von Coronafällen auf einem Tui Kreuzfahrtschiff die Runde, das mit 1000 Menschen an Bord Richtung Kanaren schippert.

Zur Erinnerung: Tui, das ist der Reisekonzern, für den die EU-Kommission gerade die 1,25 Milliarden Euro an Hilfsgeldern zur „Rekapitalisierung“ genehmigt hat, die die Regierung dem Unternehmen zugesagt hat. Das ist aus zwei Gründen wichtig.

Mit Blick auf die Regierung deshalb, weil Mitglieder eben dieser Regierung sich seit Monaten mit Formulierungen hervortun wie:
„Man müsste mal…“
„Jetzt kommt es darauf an, dass…“
„Das sind unhaltbare Zustände…“
„Wir fordern, dass…“
Und die Verantwortlichen sich offenbar weigern, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie, nun ja, verantwortlich sind. Für diese Form der Verantwortlichkeit haben sie sich wählen lassen und werden bezahlt.

Und mit Blick auf das Geld deshalb, weil der Bildungssektor in Deutschland seit Jahrzehnten vollkommen unterfinanziert ist, während die Politik gleichzeitig immer wieder unangenehm durch unkritische Nähe zu Wirtschaftslobbyverbänden und Konzernen auffällt.

Wenn also die Schulausfälle im Zusammenhang mit Corona Billionen Euro kosten werden, wieso bekommt dann die Lufthansa 9 Milliarden Euro, aber Schulen und Kitas kriegen statt mehr Personal, Schnelltests, Luftfilter, Highpeed- Internet, mobile Endgeräte, digitales Lernen nur: Lüften bei Minusgraden?
Wo sind eigentlich die kostenfreien FFP2-Masken für Kinder und Jugendliche im Präsenzunterricht?
Wo bleibt der deutschlandweite Nachwuchspakt, mit dem sich die Politik und alle relevanten Wirtschaftsverbände verpflichtend darauf verständigen, Bewerber*innen aus den Coronajahrgängen nicht nachteilig zu behandeln? Wo die Maßnahmen für eine Ausbildungsoffensive?
Wie sehen die Pläne dafür aus, für Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind, Chancengleichheit herzustellen?
Gibt es irgendwelche Konzepte, die ausgefallenen Schulessen und Mahlzeiten in den Kitas zu ersetzen, damit Eltern nicht auch das noch Tag für Tag leisten müssen?
Und wenn Frau Giffey schon „depressive Verstimmungen und Vereinsamungen“ bei Kindern sieht, dann können wir doch bestimmt davon ausgehen, dass spätestens jetzt mit den Krankenkassen darüber verhandelt wird, wie alle Betroffenen schnell und unkompliziert Zugang zu notwendigen Therapiemaßnahmen erhalten, oder?

Leider nicht. Weil eine der zentralen Lehren aus dieser Pandemie immer noch ignoriert wird und man so tut, als müssten sich alle individuell einfach ein bisschen mehr anstrengen. Aber Kinderbetreuung kommt nun mal nicht nach dem Erwirtschaften des Bruttoinlandsprodukts, sondern davor. Die psychische Gesundheit von Eltern und Kindern ist nicht einfach nur ein vernachlässigbarer Kollateralschaden einer Krise. Wie wir als Gesellschaft mit Familien umgehen, mit denen, die Hilfe brauchen, und mit denen, die sich kümmern und helfen, ist keine nachrangige Frage, sondern eine der vordringlichsten dieser Zeit.
Das Versagen der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen rund um das Thema Homeschooling und Carearbeit sollte eine Lehrstunde dafür sein, wie es nie wieder ablaufen sollte. Woran nie wieder gespart werden darf. Was nie wieder aufs Spiel gesetzt werden kann.

Aber wir sind da leider sehr skeptisch. Aus Gründen.