Abends auf dem Balkon versammeln und sich einfach bedanken. Nicht nur in Köln tun das Menschen während der Coronakrise immer wieder. Sie verabreden sich in den sozialen Netzwerken zu festen Zeiten, um den Menschen ihre Dankbarkeit zu bezeugen, singen, jubeln und vor allem: klatschen.
Beinahe gleichzeitig mit diesem Phänomen ist aber auch Kritik daran laut geworden. Die Sozialwissenschaftlerin Barbara Thiessen nannte dieses Klatsche in einem Interview mit der Zeit „fast zynisch“. Die Gesundheits- und Krankenpflegerin Nina Magdalena Böhmer formuliert es noch sehr viel deutlicher: „Und euer Klatschen könnt ihr euch sonst wo hinstecken ehrlich gesagt…Tut mir leid es so zu sagen aber wenn ihr helfen wollt oder zeigen wollt wie viel wir Wert sind dann helft uns für bessere Bedingungen zu kämpfen!“
Irgendwas fällt da auseinander. Auf der einen Seite Menschen, die ihre Wertschätzung für diejenigen zum Ausdruck bringen wollen, deren Arbeit zwar schon immer systemrelevant war, aber durch die Krise dafür gerade in den Fokus rückt. Auf der anderen Seite diejenigen, die mit Applaus bedacht werden sollen, aber grundsätzlich den Eindruck haben (und haben müssen), dass man ihnen für ihre Arbeit zu wenig Respekt zollt und zu wenig Geld zahlt. Dem Ganzen liegt ein Missverständnis zugrunde, das man ausräumen muss, damit der Blick auf das Wesentliche nicht verloren geht: Nämlich auf die Unterstützung von Pflegekräften, Beschäftigten im Einzelhandel, Mediziner*innen und vielen anderen, die in dieser Krise noch schwerer als sonst arbeiten, weil und damit wir alle zu Hause bleiben.
Mit dem „Klatschen für Systemrelevante“ ist es nämlich so eine Sache.
Zwar ist Applaus eine gängige Währung, wenn es darum geht, Darbietungen und Leistungen als Gruppe zu würdigen. Die Musikwissenschaftlerin Jutta Toelle, die zu Geschichte und Bedeutung von Applaus und Beifall forscht, weist explizit darauf hin, dass das vor allem für Situationen gilt, wo einzelne Danksagungen von Beteiligten komplett den Rahmen sprengen würden. Wer also denkt, dass minutenlange Beifallsstürme nach einem Theaterstück viel zu lange dauern, hat nur die Alternative noch nicht erlebt: Stundenlange persönliche Dankesbekundungen. Toelle zeigt aber darüber hinaus noch eine andere Applausfunktion, wenn sie ausführt, inwieweit er uns die Möglichkeit eröffnet, „Erfahrung einzuordnen, von ihr Abschied zu nehmen und den Übergang zurück in den Alltag zu finden“. Wir tun das also auch und zu Coronazeiten womöglich sogar hauptsächlich für uns selbst. Wenn wir auf die Balkone treten, um zu applaudieren, dann hören uns die Pflegekräfte höchstwahrscheinlich nicht. Wir tun es eben auch mit und füreinander in Abwesenheit derjenigen, an die es gerichtet ist. Für das Gemeinschaftsgefühl und das Wissen, das Richtige zu tun. Wenn eine Teilnehmerin dieser Beifallsstürme anschließend davon schreibt, dass sie in ihrem Leben noch nie so ein Gefühl von Dankbarkeit und Zusammenhalt gespürt hätte, wird das sehr deutlich. Deshalb ist am Klatschen an sich nichts Schlechtes. Es ist vollkommen legitim, das auch als Form der Gruppenrückversicherung zu etablieren. Nur sollte man das dann auch so nennen und ein bisschen von dem „Wir tun das ja nur für euch“ Pferd heruntersteigen. Außerdem ließe sich viel befreiter Beifall spenden, wenn das Klatschen von anderen Wertschätzungsbekundungen flankiert würde. Von besseren Arbeitsbedingungen, mehr Geld und Gesellschaftlicher Anerkennung. Der Applaus wirkt nur dann wie zynischer Hohn, wenn ihm kaum oder nichts folgt.
Wenn der Eindruck entsteht, hier würden sich Leute der Verantwortung entledigen, eigentlich mehr aufbringen zu müssen. Mehr Solidarität, mehr Steuergelder, mehr Wertschätzung. Die Politik debattiert gerade über entsprechende Maßnahmen: Steuervergünstigungen, Prämienzahlungen und dergleichen mehr. Sie diskutiert aber auch über die Zwangsverpflichtung von Pflegekräften und medizinischem Personal. So einfach ist das alles also gar nicht. Und wenn wir nicht alle sehr gut aufpassen, dann ist unser Beifall noch nicht verklungen, wenn der „Markt“ dazu übergeht, Ankündigungen wieder einzukassieren, Gelder nicht zu bezahlen und Aufwertung zu verweigern.
Wir können und sollten die Held*innen der Coronakrise auch weiterhin feiern. Mit Freundlichkeit, Danksagungen, Jubel, Balkonapplaus und vielen anderen Dingen. Aber wenn wir es dabei anstelle von konkreten Maßnahmen wie Lohnerhöhungen, Arbeitserleichterungen und Strukturförderungen belassen, dann wirkt unser Applaus wie das berühmt gewordene unterwältigte Klatschen der demokratischen Sprecherin des US-amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.
Und genau das sollte nicht sein. Denn alle Menschen, bei denen wir uns mit Applaus bedanken wollen, machen einen verdammt guten Job.
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