Das Bisschen Home-Office!

Den ersten offiziellen Corona-Tag begann ich mit Optimismus bis unter die Haarwurzeln. Ich wollte die Einschränkungen als Chance sehen. Bereits am Abend zuvor teilte ich meinem Mann mit, dass ich jeden Tag etwas Nettes machen möchte, zum Beispiel einen Kuchen backen und in der Nachbarschaft verteilen. Am nächsten Tag fiel mir beim Backen allerdings auf, dass diese Pandemie eben nicht nur die Chance in sich trägt, mal zu leben wie eine Eremitin mit Internet, sondern zuallererst die, zu merken, dass die Gleichberechtigung viel mehr Hilfe braucht als meine Nachbarschaft.

Nehmen wir unsere Familie. Ich arbeite als Freelancerin ohnehin von Zuhause. Mein Mann gerade ebenfalls. Wie die meisten Hamburger*innen haben wir die Kinder auch Zuhause, unser Sohn ist schulpflichtig und wurde bereits ausgiebig mit Schulaufgaben versorgt. Während ich also erwerbsarbeite, will mein Sohn wissen, was das mit den Dezimalzahlen soll, was ich auch erstmal verstehen muss, während er sich zu Recht eingesperrt fühlt, meine Tochter auch Hausaufgaben will, oder ein Brot, und fragt, wer jetzt alles sterben kann. Mein Mann kommt noch gar nicht vor? Der macht ja auch Homeoffice. Für einen Fussballverein. Und wer einmal aus Versehen in die BILD-Zeitung guckt, weiß, dass sich Deutschland nicht zuerst fragt, wann der Impfstoff gegen Corona fertig sein wird, sondern wann wieder Bundesliga ist. Dass sein Job seiner Meinung nach wichtiger ist als meiner, zeigt sein ernstes Gesicht und die Tatsache, dass er meine Frage, wann ich denn wie er ein bisschen kinderfreier meine Bezahlarbeit erledigen kann, ignoriert und mir stattdessen mit noch ernsterem Gesicht aufzählt, was ER noch alles zu tun hat. 

Anscheinend geht neben ihm auch sonst niemand davon aus, dass ihn die Situation der Kita- und Schulschließung irgendwie betreffen könnte, weil er hat ja eine FRAU, die freelanct ja NUR. Väter in Homeoffice winken die nach Dezimalzahlen fragenden Kinder mit einer Handbewegung aus dem Zimmer. Zu den Müttern.

Klingt wie früher, oder? Ich bin so wütend, wenn ich meine Arbeit nicht brauchen und so mögen würde, würde ich am liebsten die nächsten Anfragen absagen mit „Leider habe ich aufgrund von Corona eine Zeitreise in die 70er gemacht und muss meinen Mann um Arbeitserlaubnis bitten. Er kann mir aber gerade nicht zuhören, weil er seit Tagen in der Telko steckt, die die Frage „Wann ist wieder Bundesliga“ nicht beantworten kann.“

Währenddessen geht mein Mann, sein Umfeld und ein großer Teil der restlichen Gesellschaft davon aus, dass ich (genau wie so viele andere Mütter) den irritierten Kindern nicht nur eine souveräne, starke Mutter bin, sondern ihnen auch noch die Lieblingserzieherin, die coole Mathelehrerin und die besten Freund*innen ersetze. Dabei dachte ich, wir wären so gleichberechtigt, wie uns das brillante Ergebnis des Mental Load-Tests aus dem Internet angezeigt hatte. Aber wenn Kita, Schule, Freunde etc. wegfallen, ist Care-Arbeit anscheinend doch wieder Frauensache. Und zwar für ohnehin privilegierte Familien wie uns, aber noch viel krasser für zum Beispiel Alleinerziehende, die um ihren Job zittern müssen, weil sie als Selbständige gerade genau NULL Einkommen haben oder weil es keine gesetzliche Sicherheit gibt, wenn sie Zuhause bleiben müssen, weil Kita und Schule geschlossen sind. Oder für Frauen, die ehemals nur schlecht-bezahlte und -angesehene, aber plötzlich systemrelevante Jobs machen. Oder oder oder.

Was jetzt? Bei aller derzeitigen solidarischen friedlichen Kuchenbackigkeit sollten wir wütend werden, bleiben und fordern. Für uns und für die, die keine Ressourcen dafür haben. Ich habe meinem Mann deshalb sehr laut mitgeteilt, dass seine Einstellung nochmal reinkommen muss, und wir uns ab sofort die Aufgaben so teilen, dass es für alle ok ist. Ich unterstütze andere Mütter, indem ich Geschenkgutscheine für ihre Läden kaufe, die sie nicht öffnen dürfen und schreibe Texte wie diesen.

Mir ist übrigens selber peinlich, dass er sich anhört wie das Beste aus den 60ern, 70ern, 80ern, 90ern und 2000ern, eben nur für das Patriarchat. Oder, wie es auf einem Demoschild stand, das ich seitdem nicht vergessen konnte:

I can’t believe I still have to protest against this shit.

Foto Credit: FreePik

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