Das „bisschen“ Vergewaltigung

Was ist das alles nur für eine widerliche Scheiße?!
Gewöhnlich fangen meine Texte für Pinkstinks nicht so an. Normalerweise bemühe ich mich um einen konsensorientierten, sachlichen Ton, um irgendwie mit den immer absurderen Sexismen in dieser Gesellschaft fertig zu werden. Heute schaffe ich das einfach nicht. Ich habe keine Lust, nachdenklich-zurückhaltende Bemerkungen über das Thema Vergewaltigung zu machen und so zu tun, als würde auch nur irgendwas davon besser werden, dass man beim Schreiben ein möglichst hohes Abstraktionsniveau erreicht. Bisschen reden über sexualisierte Gewalt und alles ist gut. Nichts ist gut.

Nichts ist gut, wenn mutmaßliche Täter die Vergewaltigung ihres Opfers filmen, es damit erpressen und sich sicher sein können, das deutsche Gerichte ihnen bei der Verhöhnung und Retraumatisierung der Frau, der sie augenscheinlich Gewalt angetan haben, auch noch behilflich sind. Gina-Lisa Lohfink muss sich gerade dafür rechtfertigen, dass sie nicht weiß, welche Substanz sie genau außer Gefecht gesetzt hat. Sie muss Fragen danach beantworten, warum ihr Verhalten an diesem oder jenem Punkt der Ereignisse angeblich untypisch gewesen ist. So als gäbe es ein Handbuch für korrektes Vergewaltigungsopferverhalten, an das Frauen sich gefälligst zu halten haben – und wehe, wenn nicht. Mehrmals „Hör auf!“ sagen reicht halt nicht. Stattdessen wühlt man in ihrer Biografie herum, um die Ereignisse irgendwie relativieren zu können.

Weil ja Brustumfang, Haarfarbe und Skandalträchtigkeit eine Frau von vornherein als Opfer sexualisierter Gewalt disqualifizieren. Was zur Hölle soll das? Was für eine Pressefreiheit ist das eigentlich, die sich herausnimmt, Frauen aufgrund wechselnder Sexualpartner oder ihrer äußerlichen Erscheinung zum Objekt ohne eigene Rechtsansprüche zu degradieren? Der in dieser Gemengelage allen Ernstes nichts besseres einfällt, als die Betreffende als „Blickfang mit dezent geöffneter Bluse“ zu beschreiben? Und immer wieder diese unfassbar beschissenen Andeutungen, sie könnte das alles „bei ihrem Lebenswandel“ irgendwie verdient haben. So wie Ashley Youdan, die Ex-Verlobte des Geigers David Garrett. Es stehen Vorwürfe bezüglich sexualisierter Gewalt im Raum, aber sie ist eine Pornodarstellerin. Sie gibt an, er habe sie geschlagen, aber sie arbeitet im Escortbereich. Deswegen fragt BILD natürlich, was die „Fans“ davon halten. Fanmeinungen wiegen nämlich schwerer als sexualisierte Gewalt. Und außerdem war es ja bestimmt nur eine Spielart von Sex, bei der es etwas grober zugeht.

Wie oft eigentlich noch? Wie oft muss wiederholt werden, dass Sex nichts mit sexualisierter Gewalt zu tun hat, bevor die Presse das schnallt.

Das kann doch nicht so schwer sein: Ich bin auch kein Baseballfan, weil mich ein paar Nazis mit einem entsprechenden Schläger niederknüppeln. Und selbst wenn ich der größte Baseballfan der Welt wäre und schon seit Jahren für die verschiedensten Teams gespielt hätte – inwiefern hätte das irgendwas mit einer Attacke gegen mich zu tun?

Momentan sind die Nachrichten voll von Vorwürfen wegen sexualisierter Gewalt. In den USA wurde ein Vergewaltiger mit Hinblick auf seine Zukunftsaussichten zu lediglich 6 Monaten Haft verurteilt. Er sei ja noch so jung und sein Leben so vielversprechend.

Was ist mit der Zukunft seines Opfers? Was ist mit der Frau, deren Vergangenheit in Stücke gerissen und mikroskopiert wurde, um die Zukunft des Täters zu schützen. Und wieso, wieso verdammt noch mal ist die Zukunft eines Vergewaltigers immer vielversprechender als die der Vergewaltigten? Frauen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, werden behandelt wie kaputte Spielzeuge. Erst werden sie gefragt, warum sie das mit sich haben machen lassen, und anschließend erklärt man sie für überflüssig und nutzlos.

Wir haben uns in dieser Welt eingerichtet, in der die Vergewaltigungen von Frauen Klick-Hits im Internet sind. Wir hinterfragen die Automatismen nicht, die uns die Aussagen von Opfern immer erst anzweifeln und relativieren lassen. Wir finden es überhaupt nicht seltsam, dass wir in diesen Fällen von Journalist*innen verlangen, sie müssten selbst sexualisierte Gewalt erfahren haben, um den Umgang mit ihr kritisieren zu können.

Und wenn das der Fall ist, werfen wir ihnen Befindlichkeit und mangelnde Objektivität vor. Wir erzählen uns 1001 ekelhaftes Märchen darüber, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Während andere womöglich nie mehr zur Ruhe kommen, lässt uns das besser schlafen.
Unabhängig davon, dass die Unschuldsvermutung ein hohes Gut ist und es tatsächlich auch zu Falschbeschuldigungen kommt – die Art wie wir mit dem Thema sexualisierte Gewalt umgehen entlarvt unsere Gesellschaft als eine zutiefst sexistische, bigotte Gemeinschaft, die es billigend in Kauf nimmt, dass die physische und psychische Integrität von Frauen etwas ist, mit der Mann spielen und an der Mann sich vergehen kann. Am 27.06. ist der nächste Verhandlungstag, an dem Gina-Lisa Lohfink erneut der Falschaussage bezichtigt wird. Es ist an der Zeit, sich mit ihr und anderen zu solidarisieren.

#TeamGinaLisa