„Fotografien können jeden Augenblick der Zeit einfangen und für immer bewahren. Vielleicht wollen deshalb alle für die Kamera perfekt aussehen. Wir glauben, dass jede*r perfekt für die Kamera aussehen kann.“
So beginnt ein Artikel der Lifestyleplattform Brightsight, der anhand von Beispielen zeigt, welche Posen man vermeiden und welche man einnehmen sollte, um auf Fotos besonders gut rüberzukommen. Eigentlich eine schöne Idee. Das Problem ist, dass die Tipps von Brightsight ein Etikettenschwindel sind. Sie richten sich in Wirklichkeit gar nicht an alle, sondern ausschließlich an Frauen. Und „perfekt aussehen“ wird hier mit harmlos wirken, mit besänftigen und sich zurücknehmen gleichgesetzt.
„Lass die Schultern hängen und versteck deine Hände nicht.“ Soll das ernsthaft der Schlüssel zu einem perfekten Foto für alle sein? Ein mächtiger männlicher Politiker wie Barack Obama scheint das selbst auf einem offiziellen Foto nicht für notwendig zu halten. Und dabei hat der einen ganzen Beraterstab, der ihm sagt, welche Pose die richtige für so einen Anlass ist.
Es wäre nämlich die falsche. Wer das Kreuz durchdrückt und die Schultern strafft, der strahlt Tatkraft aus und zeigt, dass er im wörtlichen wie übertragenen Sinn in der Lage ist, alles zu schultern. Und wer Macht ausstrahlen will, der muss zum Zeichen dafür, dass er unbewaffnet ist, auch nicht seine leeren Hände vorzeigen. Der kann ruhig etwas in der Hinterhand haben. Das ganze lässt sich natürlich noch zuspitzen.
Was denn noch? Ach ja: Den Kopf leicht schräg legen und die Kamera von unten angucken. Angeblich sieht man damit „besser in praktisch jedem Foto aus“.
Stimmt aber gar nicht. Tatsächlich ist das nur ein optischer Aufguss der Nummer 38 von Bravos berüchtigten „100 Tipps für eine Hammer Ausstrahlung“:
„Guck Jungs eher immer leicht von unten an. Das wirkt am süßesten auf Typen!“
Bloß keine Selbstsicherheit ausstrahlen, das mögen Jungs nicht. Am besten so harmlos wie möglich.
Was aber, wenn frau gar nicht harmlos ist/aussehen will? Wenn sie geradlinig und zupackend wirken möchte und nicht sorglos und übermütig?
Ist das etwa nicht perfekt für die Kamera? Womöglich stimmt dann ja etwas mit der Kamera oder mit demjenigen, der das Foto macht, nicht. Und vielleicht sollten wir dann besser an unseren Sehgewohnheiten und unserem Rollenverständnis arbeiten, statt Frauen zu sagen, dass sie gefälligst zu lächeln und machtlos zu wirken haben.
Frauen haben Macht.
v. l. n. r.: Park Geun-hye, Angela Merkel, Saara Kuugongelwa-Amadhila
Frauen sollten nicht beschwichtigend wirken, lächeln und sich klein machen müssen, um anderen zu gefallen. Wenn sie diese Posen gerne einnehmen wollen, prima. Wenn nicht, wird das Foto jedoch mindestens genauso perfekt.