Das hat sie jetzt davon!

Das hat sie jetzt davon!

Eine Kolumne von Nils Pickert

„Nichts“, schreibt die Journalistin Mona Eltahawy, „nichts bedroht das Patriarchat mehr als eine Frau, die furchtlos Aufmerksamkeit verlangt“.

Das Patriarchat würde solche Frauen mit dem Begriff „Aufmerksamkeitshure“ belegen, um sie durch dieses Wort zu beschämen und kleinzumachen. Tatsächlich liegt Eltahawy nicht nur verdammt richtig mit ihrer Beschreibung der vorsätzlichen Missachtung weiblicher Ansprüche, Forderungen, Kreativität und Leistungen, sondern macht damit zugleich ein noch viel größeres Problemfeld auf. Es stimmt, dass Patriarchat immer besonders eklig wird, wenn Frauen etwas von anderen wollen oder gar verlangen. Aber um richtig unangenehm zu werden, reicht es schon, dass sie Frauen sind. Es reicht, dass sie bei bestimmten Prozessen nicht mitmachen möchten, Dinge und Gedanken für sich behalten wollen und sich omnipräsenten Verfügbarkeitsansprüchen widersetzen. Nicht bereitwillig zu sein und jederzeit Zugriff auf ihre Körper zu gewähren und sich nicht dauerhaft um die Bedürfnisse anderer zu kümmern, ist vollkommen ausreichend, um als anmaßende Zumutung gewertet zu werden.

Deswegen gibt es seit geraumer Zeit einen Trend dazu, Emanzipationsbestrebungen von Frauen als lächerlich, nutzlos und (ganz wichtig!) „unweiblich“ einzuordnen. Natürlich ist das nicht neu. Das „Feindbild Emanze“ existiert schon sehr viel länger. Unabhängige Frauen werden seit Jahrzehnten, um nicht zu sagen, Jahrhunderten als Bedrohung wahrgenommen.

Aber mit der Digitalisierung dringt diese Strategie tatsächlich in ganz neue Dimensionen vor. „Der Feminismus“ ist zwar immer noch schuld daran, dass Frauen sich von Männern trennen. Aber mittlerweile sind wir an dem Punkt, an dem Männer dutzendfach Compilations auf YouTube und anderen Plattformen erstellen, um zu belegen, wie falsch „die moderne Frau“ mit ihrem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung liegt und wie sehr sie sich damit am Ende schadet, wenn sie beispielsweise ihre Scheidung bereut.

Es ist eine Variation des altbekannten „Was will die Frau denn eigentlich noch, sie hat doch alles“.

Nur eben mit anderen Mitteln. Nach einer Scheidung mit finanziellen Schwierigkeiten, Einsamkeit, Enttäuschung und übergriffigen Tinderfuckboys, die sich für Feministen halten, zu kämpfen, gilt dann als „die Trennung bereuen“. War ja klar, da sieht man(n) es mal wieder. Die wissen gar nicht wie gut sie es haben. Mit wie viel Häme dabei vorgegangen wird und wie viel Angst vor einem möglichen Zugriffsverlust auf Frauen dahinter steckt, lässt sich gut an Melissa Persling veranschaulichen. Sie veröffentlichte nämlich vor ein paar Wochen einen Essay darüber, dass sie nach Jahren der glücklichen Kinderlosigkeit und des Kümmerns um ihre Karriere mit Ende 30 ihre Meinung über Kinder und Familiengründung geändert und Angst vor dem Alleinsein hätte. Kann passieren. Menschen verändern sich, Prioritäten verschieben sich. Als sie dann aber in einem Interview mit dem Sender Foxnews auch noch emotional aufgewühlt davon berichtete, dass sie sich „unglaublich vom Feminismus betrogen fühlt“, waren natürlich gleich alle da.

All jene, die unter ihrem Text kommentiert hatten, sie sei „selbstsüchtig“ und hätte „sich das alles selbst zuzuschreiben“. Dass Perslings Einschätzung unsinnig ist, will ich hier gar nicht groß kommentieren. „Der Feminismus ist schuld an meinen Entscheidungen“ zu rufen, während man sich „ganz sicher nicht als Feministin betrachtet“, ist weder außergewöhnlich noch interessant. Dass sie ausgerechnet auf die Einwände von Männern hört, die sie laut eigener Aussage „entsetzlich beschimpft“ hätten, leider auch nicht. Frauen wird im Patriarchat immer wieder Komplizinnenschaft angeboten. Ein „Dann zieh dich halt nicht so aufreizend an“ oder ein „Hättest du mal früher geheiratet, Kinder bekommen und deine vorlaute Schnauze gehalten“ kommt einfach viel besser, wenn es von Kronzeuginnen vorgetragen wird. Interessant ist, wie alle darauf gewartet haben. In Bodybuilderforen, auf Meme-Seiten, bei ultrakonservativen Nachrichtenportalen: Alle haben es schon immer gewusst und „You get, what you fucking deserve!“. Interessant ist, wie groß die Angst sein muss, die dahinter steckt, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden, was sie wollen – und dass das womöglich Männer überhaupt nicht miteinbezieht.

„Das wird all diesen Frauen passieren“ meint in Wahrheit „Oh mein Gott, was ist, wenn es nicht so ist. Wenn sie rausfinden, dass sie ohne uns klarkommen und uns nicht mehr zur Verfügung stehen?!“. Genau deshalb versucht man(n) Frauen auch rechtlich ihrer Selbstbestimmung zu berauben. Darum ist jede Rückabwicklung von emanzipatorischen Fortschritten auch nur ein Zwischenhalt in die Vision totaler Fremdbestimmung. Deswegen versucht man in den USA gerade ernsthaft, die schuldlose Scheidung abzuwickeln.

In diesem Sinne: Falls der Feminismus wirklich daran schuld sein sollte, dass Frauen sich aus heteronormativen Konstrukten lösen, ihr Ding machen, ihre Karriere verfolgen, sich nicht länger verfügbar halten oder auch selbstbestimmt Kinder bekommen – gern geschehen.


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive “weiblich” und “männlich”. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

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Bildquelle: Pinkstinks Germany e.V.