Das Leben ist kein Ponyhof

Habt ihr schon davon gehört, wie gefährlich Bilder von Ponys sein können? Mit denen passieren einem die verrücktesten Sachen. So wie einem neunjährigen US-amerikanischen Jungen, der sich als großer Fan der Fernsehserie „My little Pony – Freundschaft ist Magie“ eine Schultasche und eine Lunchbox mit entsprechendem Ponyaufdruck zugelegt hat und dafür von seinen Mitschülern geschubst, geschlagen und beschimpft worden ist.

Die in North Carolina ansässige Schule des Jungen hat daraufhin nicht etwa Partei für ihn ergriffen, sondern ihm untersagt, ponyverzierte Gegenstände mitzubringen, weil sie die Auslöser für Feindseligkeiten ihm gegenüber gewesen seien. Einmal mehr erfährt ein Kind hier Übergriffigkeit, weil es sich herausnimmt, seine Identität über die Grenzen der tradierten Geschlechtsszuschreibungen hinaus zu leben. Und einmal mehr ist es ein Junge, der sich vorgeblich mädchenhaft verhält und sich damit in den Augen seinen Umfelds lächerlich macht, obwohl es ihm doch ein Leichtes sein müsste, genau das zu verhindern.
Dabei wird nach dem immer gleichen Schema verfahren: Ob sich ein Junge nun ein Kleid anzieht, die Nägel lackiert, eine „My little Pony“-Schultasche trägt oder mit Puppen spielt – stets übertritt er damit vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Weiblichkeit und mit Weiblichkeit assoziiertes Verhalten von der Gesellschaft nach wie vor verächtlich gemacht und als unterlegen markiert werden, eine Grenze. Und da ein solcher Junge in einer Welt aufwächst, in der ihm nicht etwa beigebracht wird, was und wie er sein könnte, sondern was und wie er auf gar keinen Fall sein darf (Nicht schwul! Kein Mädchen!), steht er auch als erwachsener Mann vor diesen Problemen.

Vor ein paar Wochen hat der Sportreporter Dale Hansen zu dem Outing des homosexuellen Footballspielers Michael Sam festgestellt: „Du schlägst eine Frau und zerrst sie die Treppe hinunter, (…)? Dann bist du der Vierte, der in die Auswahl für die National Football League genommen wird. Du tötest Menschen, während du betrunken Auto fährst? Der Typ ist willkommen. Spieler, die der Vergewaltigung beschuldigt werden und die Frau dafür bezahlen, wegzugehen? Soll uns nur recht sein. Du liebst einen anderen Mann? Tja, jetzt bis du zu weit gegangen!“
http://www.youtube.com/watch?v=7hVR9o3N6k8
Schwule Footballspieler und Jungs mit Ponyschultaschen – das sind also die Feindbilder, die es gesellschaftlich zu verhindern gilt. Bei den Erwachsenen dienen unausgesprochene Vorstellungen von Duschszenen mit schwulen Mannschaftkameraden dazu, die eigenen Vorurteile nicht zu hinterfragen.
http://www.youtube.com/watch?v=_FmPUWfwIOg
Und bei den Kindern muss ein Pony, das für Freundschaft steht, als Rechtfertigung dafür herhalten, dass eine Gesellschaft es nicht schafft, ihren Kindern den Wert von Gewaltfreiheit, Mitgefühl, und Respekt geschlechtsübergreifend zu vermitteln. Dazu die Mutter des Jungen: „Zu sagen, eine Lunchbox sei ein Auslöser für solches Verhalten, ist so, wie zu sagen, ein kurzer Rock sei ein Auslöser für Vergewaltigung.“
Ach, aber wie hätte die Schule das denn wissen können? Es ist ja nicht so, dass vor nur wenigen Wochen ein elfjähriger Junge in demselben Bundesstaat versucht hat, sich das Leben zu nehmen, weil ihm die Anfeindungen in der Schule wegen seiner Vorliebe für „My little Pony“ unerträglich geworden sind. Er hat nicht etwa versucht, sich an seinem Bett zu erhängen, und liegt nicht etwa deshalb inzwischen im Krankenhaus, weil er genug davon hatte, dass die Leute gemein zu ihm seien und ihm sagten, er sei „schwul, hässlich und dumm“. Wenn so etwas passiert wäre, dann hätte man natürlich … wie so oft nichts getan und nichts verstanden.

Wir leben in einer Welt, in der ein neunjähriger Junge keine Ponys gut finden soll, und in der ein Elfjähriger kein Junge sein darf, der „nicht läuft, sondern überall tanzt“. Es ist die gleiche Welt, in der ein Gericht sich auf die Seite eines Schülers stellt, auf dessen T-Shirt zu lesen steht: Homosexualität ist Sünde. Islam ist eine Lüge. Abtreibung ist Mord.
Und wenn wir weiterhin zu bequem und zu uneinsichtig sind, um zu verstehen, dass Identität nicht verhandelbar ist und nicht zugunsten anderer erniedrigt werden sollte, dann werden wir als Gemeinschaft fortdauernd darin scheitern, unseren Kindern das Notwendigste über Mitmenschlichkeit beizubringen. Dann werden wir immer wieder Anlässe zu Hass und Verachtung finden: Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Religion. Ein Haarschnitt, ein Spielzeug oder eine Musikvorliebe. Und manchmal sogar ein Pony, das für Freundschaft steht.

Nils Pickert

Der Text erschien zuerst in Die Standard.