Was heißt: Das Private ist politisch?

Wenn man sich mit Feminismus beschäftigt, liest man häufig das Zitat: „Das Private ist politisch“. Woher kommt dieser Satz und was soll er ausdrücken?

Die erste und zweite Frauenbewegung

Der Begriff stammt aus den 1970er Jahren, der zweiten, großen feministischen Welle, die über Nordamerika und Großbritannien nach Deutschland schwappte. Um die zu verstehen, sollte man die erste Welle grob ansehen. Die erste Welle bewegte Europa und die USA um 1900, als Frauen es vor allem satthatten, nicht wählen zu dürfen. Damals ging es also vorrangig um das Recht, als Frau in der Politik mitzubestimmen und studieren zu dürfen. Ihr Geschlecht machte 50 Prozent der Menschheit aus: Warum durften Frauen dann nicht auch politisch aktiv sein und sich Wissen aneignen? Die ersten Frauenproteste der deutschen Geschichte änderten dies: Ab 1900 durften Frauen uneingeschränkt im heutigen Baden-Württemberg studieren, bald im gesamten Land. Ab 1919 durften Frauen endlich wählen. Auch, wenn jetzt einige privilegierte Frauen Zugang zu Bildung hatten, wurde noch wenig hinterfragt, dass nur Frauen Kinder erziehen und für das Häusliche zuständig sind. Die damaligen Forderungen beschränkten sich überwiegend darauf, die Wahl zu haben: Trotz unhinterfragter „Weiblichkeit“ schlau zu sein und eine Stimme zu haben.

Erst in der zweiten Welle ab den 1970er Jahren wurde breit diskutiert, ob das, was als naturgegeben „weiblich“ dargestellt wurde, wirklich so sein musste. Müssen Frauen wirklich mehr im Haushalt machen als Männer? Finden Frauen es wirklich immer so toll, bei den Kindern zu bleiben? Ist es wirklich einfach „weiblich“, sich zu schminken, schön zu machen und die Ehemänner abends mit einem Strahlen zu begrüßen, wenn diese von der Arbeit kamen? Oder, wenn sie arbeiten gingen: Welche Berufe standen überhaupt für sie offen, welche nicht? War es ihre eigene, private Entscheidung, in Teilzeit in diesen zu arbeiten und sonst auf die Kinder aufzupassen, oder hatte das etwas damit zu tun, in welcher Gesellschaft sie lebten und welche Gesetze gemacht wurden?

Man muss bedenken: Nach dem zweiten Weltkrieg waren westdeutsche Frauen überwiegend im Haus und Männer an der Macht. Erstmals fragten sich nun insbesondere Sozialwissenschaftlerinnen, in wie weit eine andere Gesellschaftsform auch andere Verhältnisse in Beziehung, Familie und Haushalt bewirken würden. Was hatte die Industrialisierung und der Kapitalismus mit den heutigen Familienstrukturen zu tun? Die hatten Frauen aus Produktionsstätten weitgehend verbannt, während sie früher im Familiengeschäft oder auf dem Bauernhof an der Produktion beteiligt waren. In wieweit hatte man sie „stillgestellt“?

Gleichzeitig fragte man sich, wie es psychologisch funktionierte, dass Frauen an ihrer eigenen, weniger mächtigen Situation mitarbeiteten und sie nicht hinterfragten. Das erste Mal wurden also Zusammenhänge zwischen der Machtstruktur im Land und den Vorstellungen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ hergestellt: Das Private war also politisch!

Bereiche, die bis hierher streng privat waren, wurden jetzt aus dem Privaten herausgeholt und zum politischen Thema gemacht. Erst jetzt wurde gefragt, ob es wirklich eine private Entscheidung des Ehemanns bleiben durfte, seine Frau zu schlagen oder zu vergewaltigen: Gehörte das nicht gesetzlich geregelt?

Erst 1958 durften verheiratete Frauen ihre eigenen Bankkonten und ihr eigenes Vermögen haben, erst 1977 durften Ehefrauen selbst einen Arbeitsvertrag unterschreiben, ohne ihren Ehemann zu fragen. Es dauerte weitere zwanzig Jahre, bis Vergewaltigung in der Ehe 1997 gesetzlich verboten wurde. Heute ist es für viele von uns selbstverständlich, dass auch Gewalt hinter der verschlossenen Haustür, in der intimen Beziehung von Eheleuten, Thema des Justizministeriums oder Familienministeriums sein muss. Dieses Denken ist aber noch relativ neu in Deutschland.

Das bekannteste politische Thema der zweiten Frauenbewegung, das weit ins Private vordringt, ist sicherlich der Streit um den „Abtreibungs-Paragraphen“ 218, der mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ seit 1971 prominent verhandelt wurde.

Der Stern-Titel vom 6. Juni 1971 (c) www.muvs.org 2013 Vienna

Auch nach einer neuen gesetzlichen Regelung von 1995 ist das Thema für viele Frauenrechtler*innen noch nicht zufriedenstellend gelöst. Auch heute noch müssen Ärzte für das Recht, uns über Abtreibung informieren zu dürfen, kämpfen: §219a wurde 2019 zwar reformiert, aber für viele noch lange nicht ausreichend genug.  

Die dritte Frauenbewegung

Dass viele Väter gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen würden, ist heute belegt – übrigens ebenso, dass es den Kindern gut tut.

In den 1960er Jahren hätte kaum ein Mann gewagt, Sehnsucht nach den Kindern auszusprechen: Sie wären „kein richtiger Mann“ gewesen und diskriminiert worden. In einer Welt, in der Männer herrschen und alleine an der Macht bleiben wollten, war auch der private Wunsch eines Mannes, „weibisch“ zu sein, politisch und musste bekämpft werden. Zum Glück ist im Zuge des Feminismus diese Diskriminierung von Vätern, die Nähe zum Kind wünschen, seltener geworden. Durch die Aufweichung von Frauenrollen dürfen sich auch – sehr langsam – Männer neu erfinden. Väter, die Kindererziehung übernehmen, ermöglichen außerdem Frauen, ihre Karrieren weiter zu führen und sich dadurch vor Teilzeitfalle und Altersarmut zu schützen: Auch das ist ein privater aber politischer Akt. Heutzutage wird im Familienministerium überlegt, wie Männer mehr an der Erziehung ihrer Kinder teilhaben können: Zum Beispiel durch die Möglichkeit, selber Elternzeit nehmen zu können. Oder, wie es unter Manuela Schwesig bis 2017 diskutiert wurde, durch die mögliche Einführung einer Elternarbeitszeit von 32 Stunden für beide Eltern. Die private Entscheidung, wieviel Zeit wer mit den Kindern verbringt, kann somit politisch beeinflusst werden.

Mit einem rein männlichen Bundestag und einer rein von Männern gemachten Politik hätten wir vielleicht andere Entscheidungen, die unsere sehr persönlichen Bereiche betreffen. Ein gutes Beispiel ist die Mehrwertsteuer auf Periodenprodukte, die 2019 endlich gesenkt wurde, weil Frauen jahrelang gegen die Luxussteuer protestiert hatten. Barack Obama wurde einmal von einer jungen Journalistin gefragt, warum die Steuer so hoch sei. Er antwortete: „Nun, ich denke, weil Männer die Gesetze gemacht haben.“ Der Mangel an privater Erfahrung, wie notwendig diese Produkte für einen selbstbestimmten Alltag sind, bewegte diese Entscheidung, die Frauen finanziell benachteiligt.

Das Private im Politischen und das Politische im Privaten zu sehen bestimmt auch die dritte Frauenbewegung, in der wir uns zurzeit befinden. Sie zeichnet sich zusätzlich dadurch aus, dass wir neben „Mann“ und „Frau“ noch mehr Vielfalt sehen und deren Rechte und Sichtbarkeit einfordern. Wir wissen heute zu unterscheiden zwischen dem biologischen Geschlecht und dem gängigen Klischee dazu. Wir fragen uns, warum welche Geschlechterklischees heute noch aufrechterhalten werden und wem sie helfen, Macht zu haben oder zu behalten. Wir haben aber noch mehr Fragen: Wir wollen wissen, warum es Schwarze Frauen noch schwerer haben, als weiße, an die Macht zu kommen, und warum Homosexuelle oder Transfrauen und -männer nochmal anders diskriminiert werden. Wie genau sieht die Machtpyramide aus, die dadurch entsteht? Und wer von ihnen ist sichtbar in der Politik? Wer formt die öffentliche Meinung – durch Reden, Gesetze, das Setzen einer „Norm“ – die uns als Privatpersonen betrifft?

Es gibt noch viel zu tun

Auch wenn es der zweiten Frauenbewegung gelungen ist, die Benachteiligung von Frauen durch die von ihnen zu leistende, unbezahlte Hausarbeit sichtbar zu machen, hat sich diese Benachteiligung dadurch nicht erledigt. Noch immer wird Fürsorgearbeit in erster Linie von Frauen übernommen, vor allem von nicht-deutschen Frauen, die als „Ausländerinnen“ diskriminiert sind. Sie leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Deshalb ist die Frage, wie diese Arbeit in Zukunft gestaltet wird, keine, die privat zu beantworten wäre: sie gehört ins Politische.

Die Journalistin und bekannte Feministin Teresa Bücker rief Anfang 2020 in ihrer SZ-Kolumne „Freie Radikale“ dazu auf, den eigenen Haushalt von nun an selbst zu erledigen und nicht mehr prekär finanzierte, oft migrantische Frauen dafür zu beschäftigen. Erst dann würden wir verstehen, wie anstrengend diese Arbeit ist und allesamt fordern, dass sie besser entlohnt wird. Dieser Appell verdeutlicht nochmal, in wieweit auch unsere persönlichen Entscheidungen politisch sein können.    

Denn auch, wenn der Staat nachhilft, damit der Mann Elternzeit nehmen kann, tun es noch immer die wenigsten: Seine Karriere wird nach wie vor höher gewertet, einen möglichen Knick darin mindestens von ihm, oft auch von beiden Elternteilen als schwerwiegender gesehen. Damit genau das aufhört, wäre es nicht nur privat notwendig, sondern auch politisch, als Vater Elternzeit zu nehmen.

„Das Private ist politisch“ benennt somit Henne und Ei: Wir müssen fordern, uns aber auch bewusst werden, dass unser eigenes Handeln politisch ist.