Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch

„Wer bin ich denn, mir anzumaßen, einer Frau aufgrund meiner eigenen Geschichte vorzuschreiben, wie sie zu entscheiden hat?“

Dieser Satz stammt von dem neuseeländischen Labour-Abgeordneten Kieran Mcanulty, der sich in einer sehr ernsthaft und emotional geführten parlamentarischen Debatte dafür aussprach, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und sie endlich als Aspekt der Gesundheitsvorsorge wahrzunehmen. Er ist umso bemerkenswerter, wenn man sich die Biografie dieses Politikers vor Augen führt. Mcanulty ist katholisch, wurde als Kind von seiner leiblichen Mutter zur Adoption freigegeben und wies während seiner Rede darauf hin, dass er, wenn er heute unter diesen Umständen gezeugt worden wäre, statistisch gesehen vermutlich abgetrieben würde. Und trotzdem fragt er: „Wer bin ich, dass ich als Mann meine Lebensumstände einer Frau überhelfe?“

Bei dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch, das innerhalb wie außerhalb des neuseeländischen Parlaments erstritten wurde, ist es nicht damit getan, dass Betroffene medizinische Unterstützung erhalten und „Abtreibungen“ vorgenommen werden. Das war auch schon zuvor in Neuseeland möglich. Aber ähnlich wie gegenwärtig immer noch in Deutschland war es jahrzehntelang eine medizinische Prozedur, die als Verbrechen angesehen wurde. Genau deshalb sind die Menschen dort auf die Straße gegangen

und genau deshalb tun sie es hier. Wie deutlich der Unterschied zwischen der Betrachtung eines Abbruches als straffreies Verbrechen und als legales Mittel der Gesundheitsfürsorge ist, zeigt die aktuelle Pandemie: Der Zugang zu Abbrüchen ist momentan derartig erschwert, dass Expert*innen befürchten, Betroffene könnten zu unsicheren, ja lebensgefährlichen Abbruchmethoden greifen. Eine Pressemitteilung von Doctors for Choice Germany bringt es auf den Punkt:

„Aktuell müssen ungewollt Schwangere drei bis vier persönliche Termine außer Haus wahrnehmen, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können: Die Pflichtberatung, einen gynäkologischen Untersuchungstermin, eine Ultraschalluntersuchung, den Abbruch, eine Nachuntersuchung. Hinzu kommen 3 Tage Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch.“

Wie soll das unter den jetzigen Bedingungen funktionieren? Wer gewährleistet Betroffenen einen sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung? Ministerin Giffey hat zwar schnell reagiert und angekündigt, dass Schwangerschaftskonfliktberatung in den nächsten Wochen auch online und telefonisch möglich sein soll, aber das ändert nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass Straffreiheit und Legalität zwei sehr verschiedene Dinge sind. Die Auflagen, die gemacht werden, die Barrieren, die errichtet werden, der Unwillen der politisch Verantwortlichen, den Betroffenen das Recht auf eine mündige Entscheidung zuzugestehen, rächen sich jetzt bitter. Neuseeland hat eine Form der Klarheit geschaffen, von der wir in Deutschland leider immer noch sehr weit entfernt sind. Mit den bekannten Folgen, über die wir hier auch schon berichtet haben.

  1. Die medizinische Prozedur wird angehenden Mediziner*innen kaum bis gar nicht vermittelt.
  2. Betroffene müssen sehr weite Strecken zurücklegen, um überhaupt jemanden zu finden, der oder die einen Abruch vornehmen kann.
  3. Informationen über Schwangerschaftsabbrüche werden über den Paragrafen 219a als Werbung für Abbtreibung kriminalisiert und strafverfolgt. Und das obwohl diese Informationen nicht weiter von dem entfernt sein könnten, was Werbung tatsächlich ausmacht. Die angeblichen „Nachbesserungen“ am Paragrafen haben mitnichten zu mehr Rechtssicherheit für Betroffene geführt.

Das alles lässt sich nur beheben, wenn wir dem Beispiel Neuseelands folgen, anstatt in Krisenzeiten an einem unzureichenden, übergriffiges Paragrafenwerk mit sehr fragwürdiger Herkunft und Zielrichtung herumzuflicken. Die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist überfällig. Das zeigt auch die Reaktion der Gegenseite, die sich nicht entblödet, dem Pro Choice Bündnis niedrige Beweggründe zu unterstellen.

Wer hier gerade wofür Gründe vorschiebt, hat kürzlich ein Berufungsgericht in New Orleans geurteilt. Mehrere US-amerikanische Bundesstaaten wollten Schwangerschaftsabbrüche vor dem Hintergrund der Pandemie und ihren Auswirkungen nahezu vollständig untersagen. Immerhin seien diese ja „nicht dringend“ und das Gesundheitssystem überlastet. Es sollte also klar sein, worum es gegenwärtig nicht nur in Deutschland geht.
Kieran Mcanulty schloss seine Rede mit der Bemerkung, dass er zum einen an die Fähigkeit von Frauen glaube, die für sie richtige Entscheidung zu treffen, und dass es zum anderen falsch sei, Frauen dazu zu zwingen, sich irgendwelche Gründe (wie die Gefährdung ihrer psychischen Gesundheit) auzudenken, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen zu können.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Foto Credit: Von Charles Edward Miller from Chicago, United States – Rally for Reproductive Rights Chicago Illinois 5-23-19_0756, CC BY-SA 2.0, Wiki Commons

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