Bild: Unsplash
Bild: Unsplash

Das System Zwangssterilisation

In Berlin fand kürzlich wieder ein sogenannter „Marsch für das Leben“ statt. Abtreibungsgegner*innen aus ganz Deutschland trafen sich dafür, um gegen die ihrer Meinung nach zu lasche Gesetzeslage in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch zu protestieren.

Gleichzeitig demonstrierten Tausende Menschen für reproduktive Rechte und sexuelle Selbstbestimmung. Wir haben über dieses Thema schon mehrfach berichtet. Darüber, wie fahrlässig es ist, dass Abbrüche im Medizinstudium praktisch nicht vorkommen, wie der §219a als „Werbeverbot für Abtreibungen“ entstanden ist, wie Werbung für Abbrüche wirklich aussieht und warum das Recht auf sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen so wichtig sind. Heute wollen wir diesen Punkt noch einmal so deutlich wie möglich herausstellen und werden daher über eines der dunkelsten Themen in dem Versuch, Betroffene zu entrechten und zu kontrollieren, sprechen: über Zwangssterilisation.

Die meisten denken dabei an Verbrechen, die unter der Herrschaft der Nazis verübt wurden. Und das ist auch richtig. Am 14. Juli 1933 verabschiedeten die Nationalsozialisten ein Gesetz, dass ihnen zur „Reinhaltung des Volkskörpers“ dienen sollte, indem „erbkranker Nachwuchs verhütet wird„. Die Idee hatten die Nazis aus der Weimarer Republik übernommen. Die Broschüre „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ bewertete Menschen schon 1920 als „Ballastexistenzen“ und „leere Menschenhüllen“. Bis 1936 wurden fast 17.000 Menschen medizinisch unfruchtbar gemacht, zunächst ohne jede Geheimhaltung. Mit zunehmendem Unmut der Bevölkerung und Widerstand aus der medizinischen Berufsgruppe tat man es heimlicher und bereitete zugleich die Euthanasiemorde vor. Erst 2007 erklärte der Bundestag dieses Gesetz für unrechtmäßig und schändlich. Dass er sich damit so lange Zeit gelassen hat, ist ein Indiz dafür, dass derlei horrende Eingriffe in die reproduktiven Rechte von Individuen und ganzen Gesellschaftsgruppen keinesfalls der Vergangenheit angehören. So wurde erst vor wenigen Tagen bekannt, dass die Krankenschwester Dawn Wooten als Whistleblowerin die USA beschuldigt, in Einrichtungen der Einwanderungsbehörde ICE Betroffene ohne medizinische Indikation und gegen ihren Willen zwangszusterilisieren.

Als Krankenschwester hat sie in mehreren Auffanglagern in Erfahrung gebracht, dass eine ungwöhnlich hohe Anzahl von Hysterektomien (teilweise oder vollständige Gebärmutterentfernung) und Ovarektomien (also die teilweise oder vollständige Entfernung des Eierstocks) vorgenommen wurde.

Den dafür hauptsächlich verantwortlichen Arzt nennt sie „den Uterussammler“ und sagt zudem: „Als ich all diese Frauen traf, die Operationen hatten, dachte ich, dass sei ein experimentelles Konzentrationslager.“ Mittlerweile sind Klagen anhängig. Und diese Praxis geschieht nicht nur in Trumps Amerika als Baustein seiner unmenschlichen Linie gegen Migrant*innen. Sie war und ist schon sehr lange Teil der US-amerikanischen Politik. Einer rassistischen Politik, die sich vor allem gegen Schwarze und PoC richtete. Der „Vater der modernen Gynäkologie“, James Marion Sims, nahm seine medizinischen Experimente ohne Betäubung oder auch nur den Hauch von Anstand an Sklavinnen vor, die ihm dafür „großzügig“ von den „Besitzer*innen“ zur Verfügung gestellt wurden. Oder wie Sims es ausdrückt: „Es gab keinen Zeitpunkt an dem mir nicht, an jedem Tag, ein Subjekt für eine Operation zur Verfügung gestanden hätte.“ Seitdem haben die USA immer wieder versucht, Körpern, die ihnen nicht genehm waren, die Reproduktionsfähigkeiten zu stehlen. Vor allem die schwarze und die indigene Bevölkerung waren davon betroffen, aber auch Arme, unverheiratete Mütter und Menschen mit Behinderung. Und immer wieder auch Inhaftierte. 147.460 Dollar haben kalifornische Steuerzahler*innen für die Zwangssterilisationen in den Jahren 1997 – 2010 in Gefängnissen bezahlt. Dieser Zwang ist nicht immer eindeutig als Zwang zu identifizieren und betrifft auch nicht nur Frauen. 2017 bot ein US-Richter Inhaftierten Haftverkürzung an für den Fall, dass sie sich einer Vasektomie unterziehen oder eine hormonelle Vierjahresverhütung implantieren lassen. Und er ist auch nicht auf die USA beschränkt. In Ungarn, Mexiko, Kenia, Indien und vielen anderen Ländern geschah und geschieht das auch.

Und in Deutschland. Von 1981 bis 2011 mussten sich trans Menschen in Deutschland sterilisieren lassen, um ihren Personenstand ändern lassen zu können. Man muss sich das so konkret wie möglich vor Augen führen: Vor weniger als 10 Jahren mussten Menschen, die einfach nur sie selbst sein wollten, dem Staat beweisen, dass sie es ernst meinen, indem sie sich zwangssterilisieren lassen. Die Fortpflanzung von trans Personen war schlicht unerwünscht. 10.000 Menschen sind davon betroffen.

Um eine Entschädigung dieser Menschen, denen von staatlicher Seite durch medizinisches Personal Gewalt angetan wurde, wird immer noch gestritten. Darüber mischt sich der Staat massiv in die reproduktiven Rechte und die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen mit Behinderung ein. Ihnen wird die Dreimonatsspritze zur Verhütung aufgezwungen und sie werden unter bestimmten Voraussetzungen zur Sterilisation gedrängt. Die Vereinten Nationen halten den zugrunde liegenden Paragrafen 1905 BGB des Betreuungsgesetzes für rechtswidrig. Ändern tut sich trotzdem nichts.

Mit anderen Worten: Zwangssterilisation ist eine Unkulturtechnik, die an viel zu vielen Orten auf der Welt stattgefunden hat und immer noch stattfindet. Die Auswirkungen sind massiv, die Zahl der Betroffenen viel höher als wir uns vorstellen wollen. So wurden in den USA ab 1970 innerhalb von 6 Jahren über 25% der gebärfähigen Frauen indigener Abstammung sterilisiert. Und auch hier in Deutschland schauen wir nicht genug auf dieses Thema – obwohl man es gerade hier sehr viel besser wissen und im Auge behalten müsste. Aber es geht um Macht, Einfluss und Kontrolle wie bei dem ganzen Komplex der reproduktiven Rechte. Es geht um die Unterminierung der sexuellen Selbstbestimmung von Betroffenen. Und deshalb ist es auch so wichtig, für die Abschaffung von §218 und 219a zu streiten. Deswegen ist es wichtig, dass niemand bei der Ausübung dieser Rechte oder der Assistenz zur Ausübung dieses Recht beschimpft und verächtlich gemacht wird.

Es ist alles Teil desselben Rechts. Und dieses Recht sollte nicht verhandel- und verletzbar sein.

Bild: Unsplash