Der angepisste Feminismus

Seit der Gründung von Pinkstinks werden wir immer wieder mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert: Feminismus sei ja überhaupt nicht kritikfähig und würde sich zahlreichen Debatten überhaupt nicht stellen. Tatsächlich erleben wir Tag für Tag das genaue Gegenteil. Schon feminismusinterne Debatten werden oft sehr kritisch und mit viel Härte geführt. An den großen Verwerfungslinien wie Sexarbeit, Pornografie, Intersektionalität etc. wird seit Jahren und Jahrzehnten heftig gestritten und gerungen. Aber auch extern ist Feminismus (oder besser: sind Feminismen) durchaus streitlustig. Das lässt sich an der SPIEGEL Kolumne von Margarete Stokowski genauso nachvollziehen wie an im Fernsehen ausgestrahlten Debattenbeiträgen von Theresa Bücker und Anne Wizorek. Oder an dem Spannungsfeld zwischen Shitstorm und Positivpreis, in dem wir mit der Werbeindustrie stehen.

Nur auf Häme, persönliche Beleidigungen und kübelweise Mist hat niemand von uns Lust. Auch nicht auf die bewusste Ignoranz mit der längst eingeführte Thesen und Argument behandelt werden. Wenn wir den drölfzigsten YouTube Empörungskommentar darüber ignorieren, dass Lara-Maria Wichels, die für uns den LuLikes Kanal bespielt, Schauspielerin ist, liegt das nicht etwa daran, dass man „uns jetzt aber voll drangekriegt hat“. Sondern eben daran, dass Lara darauf schon im allerersten Trailer hingewiesen hat. Oh mein Gott, die ist also Schauspielerin?! Ja, ach nee.

Aber das ist ja nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste sind die unfassbaren Entblödungen, für die sich manche leider nicht zu schade sind. Drei Beispiele, um die Ausmaße des Ganzen zu verdeutlichen:

Anfang 2015 machte im Internet ein Text die Runde, in dem eine radikale Feministin namens „Lana“ die Welt wissen ließ, dass und warum sie den männlichen Fötus in ihrem Bauch zu einem relativ späten Zeitpunkt abtreiben ließ. Natürlich weil sie Feministin war und es nicht ertragen konnte, dass ihr Körper „den Feind“ beherbergt und sie „ein neues Monster in die Welt setzt“. Konservative Blogs und Onlinezeitungen wie die Huffington Post griffen die Geschichte auf. Menschen zeigten sich entsetzt, angeekelt und in ihren schlimmsten Befürchtungen über DEN Feminismus bestätigt.

Und genau darum ging es. Um einen makabren, Versuch, Feminismus in Gestalt dieser jungen Frau grundsätzlich zu diskreditieren. Die Plattform, auf der der Text erschien, wurde am selben Tag wie „Lanas“ Beichte ins Netz gestellt. Den reißerischen Beitrag konnte nur zu Ende lesen, wer ihn in den sozialen Netzwerken teilte – so kreiert man einen Hype. Und zu den zahlreichen Ungereimtheiten gesellte sich wie so oft in solchen Fällen der Umstand, dass „Lana“ für niemanden zu erreichen war, sondern nur ein Freund, der für sie sprach.

Ende 2015 kam es dann noch härter: Ein paar Trolle aus dem Imageboard 4Chan wollten Feminismus so lächerlich machen wie sie ihn schon immer fanden und schritten zur Tat. Zunächst erfanden sie den Hashtag #PissForEquality und verbanden ihn mit der Aufforderung, Feministinnen weltweit sollten sich zum Zeichen der Solidarität mit den Opfern sexualisierter Gewalt in die Hosen pinkeln – diese würden ja oft während eines Übergriffs durch den Verlust ihrer Blasenkontrolle noch zusätzlich beschämt. Im zweiten Schritt schufen sie Fake-Accounts in den sozialen Medien und posteten Bilder, die den Vorschlag befeuern sollten. Frauen, die ihren Drink verschüttet hatten oder Hosen trugen, deren Färbung den Eindruck vermittelte, sie wären an den Beinen nass. Pornodarstellerinnen, die in Fetischproduktionen mitgespielt hatten. Egal: Was immer die Bildersuche hergab wurde gepostet.

https://twitter.com/johnqpublican/status/650887533014986753

Um dann endlich im dritten Schritt aussprechen zu können, wie dämlich

und krank

Feministinnen sein müssen, um auf so einen Schwachsinn reinzufallen. Niemand ist darauf hereingefallen. Und niemand, der vorher eine positive oder neutrale Meinung zum Feminismus hatte, wurde durch diese Aktion eines Schlechteren belehrt. Es ging und geht in diesen Fällen immer nur darum, eine mögliche Debattenkultur durch eine Kultur der Verächtlichmachung und der Anfeindung zu sabotieren.

Womit wir bei Femitheist wären. Einer jungen Frau, die vor einiger Zeit auf YouTube und ihrem Blog mit radikalen Ideen zum „Internationalen Kastrationstag“ und zur Eliminierung von 90% der männlichen Bevölkerung des Planeten für eine bessere Welt von sich reden machte.

Der dazu in der Vice erschienene Text wird heute noch auf unserer Facebookseite als Beispiel dafür angeführt, wie irre und außer Kontrolle „diese Feministinnen“ doch alle sind.

Später hat sich die junge Frau von dem, was sie als „satirischen Charakter“ bezeichnet, distanziert und um Spenden für ihre gemäßigteren gesellschaftspolitischen Beiträge gebeten. Noch später verschwinden sämtliche ihrer originalen Beiträge und Onlinepräsenzen aus dem Internet – Hinweise auf eine von langer Hand geplante Betrugsmasche mit Mann im Hintergrund (Da issa ja wieder!) hatten sich verdichtet.

Keines dieser Beispiele und auch keines der vielen anderen ist ein Beleg dafür, dass Feminismus keine Kritik verträgt. Stattdessen zeigen sie, wie weit Menschen jenseits von Debatte und Meinungsaustausch gehen, um Aufmerksamkeit für sich und ihre Anliegen zu erzeugen. Feminismus ist kritikfähig und sollte es auch sein. Wo er als politische Idee nicht kritikfähig ist, verkommt er zur Ideologie und zu sinnentleerter Dogmatik. In diesem Sinne immer her mit Kritik. Gerne auch hart in der Sache. Aber Beleidigungen, Verleumdungen und pauschale Diskreditierungen braucht echt niemand.