Die Journalistin Elisabeth Raether geht uns gehörig auf die Nerven. Katrin Rönicke und Susanne Klingner beschreiben in ihrem immer sehr empfehlenswerten „Lila“Podcast (unbedingt abonnieren und keine Folge verpassen!) ausführlich, warum sie viele von uns so anstrengt, aber wir fassen es noch einmal kurz zusammen: Die bekannte ZEIT-Redakteurin und -Kolumnistin wird nicht müde, DEN Feminismus anzugreifen, und zwar von immer neuen Seiten (und es ist jeweils ein anderer Feminismus). Während sie uns alle vor kurzem noch mit Alice Schwarzer gleichsetzte und meinte, wir halten Frauen für die besseren Menschen,
https://www.youtube.com/watch?v=Oa6-p1iLJrs
sind jetzt plötzlich alle Femis langweilige Netzfeministinnen und stehen für gar nichts außer Luxusthemen (das sieht Alice übrigens auch so). Vor allem aber sind wir Schuld am Erfolg der AfD (und, richtig, unsere Kolleginnen in USA am Sieg von Trump). Weil wir auch einfach nichts auf die Reihe bekommen und ein Feminismus fehlt, der sich nicht nur um Queer-Thematiken sondern um die Realität der einkommensschwachen deutschen Frauen kümmert.
Als ich letzte Woche in Berlin vor Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig und Staatssekretärin Elker Ferner zum Ausspruch der Verbände zur ersten Version des SPD-Parteiprogramms geladen war, konnte ich einmal wieder Zeuge der unglaublichen Bandbreite an aktiven, schlauen, gut informierten und sozialpolitisch orientierten Feministinnen werden. Frauen von verschiedenen Gewerkschaften und Interessenverbänden, vom Deutschen Juristinnenbund oder der Arbeiterwohlfahrt sprachen vielfach die gleichen Themen an und forderten deren Umsetzung im Parteiprogramm: Die Abschaffung von Ehegattensplitting und Minijob, der Kampf um Lohngleichheit und die Aufwertung von Pflegeberufen, Förderung von Hebammen und Selbstbestimmung bei der Geburt, Schutz von Frauen vor Gewalt und die Verbesserung der Rente für Frauen. Diese Aktivistinnen sitzen stundenlang in einem anstrengenden Meeting in einem überheizten Raum im Willy-Brand-Haus, werden von Manuela Schwesig und Dr. Carola Reimann (Programmkommission) angehört, es werden Absprachen für weitere Gespräche getroffen und man kann hoffen, dass ihre intensive und monatelange Lobbyarbeit sich im Parteiprogramm niederschlagen wird. Wenn nicht, werden sie weiter agieren, recherchieren, Argumente vorlegen, rumnerven, bei den Parteien vorsprechen, demonstrieren, Unterschriften sammeln und Kampagnen bauen.
Nicht jeder Verband ist medial präsent. Schon gar nicht, wenn sich eine Frau Raether entscheidet, ihn und seine Arbeit nicht sichtbar zu machen. Man wünscht jeder Interessensgruppe eine gute Werbeagentur und mindestens eine erfolgreiche Netzkampagne im Jahr, aber Frauen, die sich seit Jahrzehnten um den Schutz von Frauen oder Lohngleichheit kümmern, haben oft auf ganz anderen Ebenen mehr erreicht als die große Schlagzeile in verschiedenen Zeitungen zu sein. Das müsste Frau Raether wissen. Während Forderungen dieser Frauen tatsächlich Eingang ins SPD- Parteiprogramm gefunden haben (Thema Quote, Elternzeit oder Lohngleichheit), ist unser gigantischer Medienhype um Sexismus in der Werbung im vorläufigen SPD-Parteiprogramm nicht nachlesbar. Ich darf fünf Minuten sprechen und lasse es krachen, danach wird mir versprochen, dass das von der SPD versprochene Monitoring von Sexismus in der Werbung „aufgenommen“ wird. Aufgenommen wohin? In weitere Gespräche oder in das Programm? Das kann noch keine*r genau sagen. Ende Januar wird das Programm redigiert, im März in der SPD diskutiert, im Mai kommt es zur Absegnung auf dem Parteitag. Viel Zeit, um uns bei den etablierten Gleichstellungspolitikerinnen aus den Gewerkschaften einen Zacken Biss abzuschauen und immer wieder nachzuhaken, uns zu melden, laut zu bleiben. Auch im persönlichen Gespräch, nicht nur durch Medienspektakel.
Ich möchte Frau Raether massiv widersprechen: Anstatt rumzumeckern, was wir alles nicht schaffen (mit den paar durch Spenden finanzierte Arbeitsstunden bei uns im Büro), könnte sie doch sichtbar machen, was alles passiert und vor allem, wie zäh die Mühlen mahlen. Wie groß der Widerstand gegen die Etablierung neuer feministisch-sozialer Gesetze durch eine Regierungspartei ist, die von der Union vehement blockiert wird, merkt man hier bei dieser Arbeit und der Aussage der SPD-Programmkommission, das Parteiprogramm müsse „schlank“ sein, um zu überzeugen. Den Konservativen zuzustimmen, dass die Feministinnen eh unproduktiv, unnötig und an allem schuld sind, hilft da nicht besonders.
Ich möchte heute ein großes Danke aussprechen für meine Role Models in der Femi-Politik, allen voran übrigens Henny Engels (früher Geschäftsführerin Deutscher Frauenrat, jetzt Bundesvorstand Lesben- und Schwulen-Verband Deutschland), die mich in Einstellung, Energie und Rhetorik immer wieder beeindruckt. An diesem Meeting betonte sie, als einzige, die Notwendigkeit für eine Erweiterung der Gleichheitsrechte in Artikel 3 des Grundgesetzes auf sexuelle Identität, die es tatsächlich ins Impulspapier der Programmkommission geschafft hatte. Ich musste bewegt schlucken. Aber vielleicht ist auch das für Frau Raether wieder nur ein Luxusproblem. Am ehesten aber weiß sie gar nicht um diese Leistung, die viele Verbände gemeinsam erbracht haben. Hauptsache, es gibt Klicks – für einen Feminismus-feindlichen Artikel. Wie einfach das, gerade in AfD-Zeiten, im Vergleich zu der harten Arbeit der Verbände ist – vielleicht sollte Frau Raether darüber einmal nachdenken.