Der Mann, der sich bedroht fühlt

Sehr geehrter Herr Jessen,

in Ihrer Titelgeschichte in der ZEIT schreiben Sie unter dem Titel „Der bedrohte Mann“, es gehe den Feministinnen heute nicht mehr um Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern nur noch um den „Triumph eines totalitären Feminismus“. #MeToo habe einen „neuen feministischen Volkssturm“ entfacht. Und in diesem Kampf, angeführt von männerhassenden Frauen, würden Männer zu „Menschen zweiter Klasse“ und hätten „keinen Anspruch auf Gerechtigkeit“. Uff!

Zunächst einmal: Es tut mir leid, dass Sie sich bedroht fühlen. Wirklich! Niemand sollte das Gefühl haben, aufgrund des Geschlechtes Benachteiligungen oder Gefahren ausgesetzt zu sein. Denn das ist Sexismus. Frauen* kennen dieses Gefühl gut – mit ein paar entscheidenden Unterschieden: Sie werden den deutlich schlechter bezahlten Job machen, sie werden öfter Übergriffe und sexualisierte Gewalt erleben und sie werden tausende Stunden unbezahlte Care-Arbeit erledigen.

Aber egal – der Verlierer im Game ist für Sie trotzdem der Mann! Schließlich wird er von Feministinnen unter Generalverdacht gestellt und kann, wie Sie sagen, sowieso nichts richtig machen. Kritisiert er feministische Diskurse oder Aktionen, will er nur seine Machtposition stärken, unterstützt er sie, eignet er sich einen Diskurs an, der ihm nicht zusteht. Nun, wenn man beim Positionieren so viel falsch machen kann, wie wäre es dann stattdessen mit Zuhören? Damit habe ich als Mann in den letzten Jahren sehr gute Erfahrung gemacht. Denn obwohl es tatsächlich in erster Linie eine Frauen*bewegung ist, kann ich als Mann sie stärken, indem ich zuhöre und Platz mache, indem ich sensibel bin und mich nicht verhalte, wie ein Platzhirsch. Das funktioniert!

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Wenn ich beispielsweise nachts in einer dunklen Gasse hinter einer Frau laufe und bemerke, dass ihre Schritte immer größer werden, dann habe ich als Mann zwei Möglichkeiten: Ich kann entweder beleidigt sein darüber, dass sie mich für eine Bedrohung hält oder aber ich bin sensibel und versuche, ihr die Angst zu nehmen, indem ich die Straßenseite wechsele. So einfach ist Feminismus für Männer: Einfach kein Arschloch sein.

In Ihrem Text unterstellen Sie, Vorwürfe wie Mansplaining oder Victim blaming seien von Frauen erschaffene Instrumente zur Kleinhaltung der Männer. Kurz war ich geneigt, Ihnen das Prinzip „Victim blaming“ noch einmal zu erklären, aber dann musste ich lesen, dass Sie das Prinzip sehr genau verstehen und gekonnt anwenden: Wenn Sie beispielsweise fragen, in welchen Bars Frauen verkehren, die Angst haben, K.O.-Tropfen in ihren Drink gemischt zu bekommen. Sie könnten auch Männer dazu aufzurufen, nicht zu vergewaltigen anstatt Frauen vorzuwerfen, die falschen Orte aufzusuchen (nach dem Motto: „Geh halt woanders hin, wo es nicht so gefährlich ist“). Oder wenn Sie meinen, das große Problem an der #MeToo-Debatte wäre es, dass Männer nun permanent Angst davor haben müssen, denunziert und getrieben zu werden (als sei nicht das Problem, dass Frauen noch viel zu viel strukturelle und sexualisierte Gewalt erfahren). Beide Beispiele sind ziemlich nah dran an dem, was wir „Victim blaming“ nennen würden. Sorry fürs Mansplainen.

Dass Sie den Feminismus mit kommunistischen Parteien vergleichen, die nur für den Parteisieg kämpfen, statt für die Sache – geschenkt! Aber wenn Sie ausführen, Männer™ erfahren seit #MeToo dasselbe, was Muslim*innen in Deutschland durch Rassismus erleben, dann muss ich mir das nicht lange auf der Zunge zergehen lassen, bis es bitter schmeckt. Und wer diese Männer nun eigentlich genau sind, das ist mir leider auch in Ihrem wirren Interview mit radioeins nicht klar geworden.

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Sie werfen Feministinnen vor, alle Männer über einen Kamm zu scheren und nennen das „totalitär“. Mit derselben Haltung schreiben Sie aber über DIE Männer als Opfer von DEN männerhassenden Feministinnen. Ein Feindbild so alt, wie der Feminismus selbst. Damit schießen Sie sich nicht nur ein argumentatives Eigentor, sondern begehen auch noch einen verhängnisvollen Trugschluss, indem Sie die Verschwörung ausschließlich bei Frauen wittern. Denn es gibt sehr viel mehr männliche Feministen, als Sie denken! Wir sehen sie auf unseren Demos, in den sozialen Netzwerken und sogar rund ein Drittel unserer Spender*innen sind Männer. Keiner von ihnen fühlt sich von uns bedroht. Und Sie, lieber Herr Jessen, brauchen das auch nicht. Im Gegenteil: Sehr oft melden sich bei uns Männer, die sich von uns eingeladen fühlen, über ihre unbewussten Vorurteile und ihre Männlichkeitsideale nachzudenken, ohne dabei als Mann in Sippenhaft genommen zu werden. Auch das gibt es: Feminismus als Freiheit. Sie sollten es mal ausprobieren.