Der Regenbogen schlägt zurück

Es herrscht Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine überfallen, der Westen braucht einige Tage, um sich zu koordinieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Unter anderem auch deshalb, weil die Europäische Union nicht die Vereinigten Staaten von Europa sind und Entscheidungen in zumeist langwierigen, drögen, wenig zielführenden Verfahren herbeigeführt werden müssen. Weil die Zivilbevölkerung demokratischer Nationen kein Interesse an kriegsfördernden Maßnahmen hat und Militarisierung ablehnend gegenübersteht. Weil jeder und jede am liebsten etwas ganz anderes tun würde, als sich ausgerechnet mit Krieg zu beschäftigen. Genau jetzt scheint die Stunden der „Wenn wir doch nur mehr richtige Männer hätten“-Fraktion gekommen zu sein. „Richtige Männer“ bräuchte es, dann wäre der Westen wehrhaft genug, um Putin die Stirn zu bieten. Denn als richtiger Mann versteht Putin nur die Sprache richtiger Männer. Und nicht dieses verweichlichte Genderwischiwaschi.

Putin habe keine Angst vor dem Westen, weil der Westen so schwach geworden sei, meint Ulf Poschardt als Chefredakteur der Welt und wünscht sich die Männer von früher zurück. Wortkarge Kriegshelden, die noch richtig krasse Ficker sind und im Bedarfsfall Angst und Schrecken verbreiten. Denn Freiheit, so Poschardt, „wird nicht an Tampon-Behältern in der Männertoilette verteidigt„. Schon gar nicht von einem „luschigen passiv-agressiven Wohlstandszersetzungsaktivismus“. Sein Schweizer Pendant Roger Köppel sieht Putin gar als „den Missverstandenen“, der im Westen so gehasst werde, weil er als Verkörperung robuster Männlichkeit gegen den „woken Westen“ und dessen „Cancel-Culture“ stehe. Überall in der so genannten freien Welt melden sich vor allem weiße, konservative Männer zu Wort, die Russland und sein politisches System immer abgelehnt haben, aber jetzt voller Bewunderung für den großen starken Mann Putin sprechen und voller Verachtung für „Schneeflocken“ und marginalisierte Menschen.

Der „echte Mann“ Putin sei ja auch irgendwie schon genial, ließ Donald Trump beispielsweise verlauten. Und auf seinem ehemaligen Lieblingssender Fox fragt man sich, ob man Putin wirklich hassen müsse, wenn er einen doch nicht als Rassisten beschimpfe oder Hunde esse.

Was all diese Männer an Putin bewundern, ist seine angebliche Führungsstärke. Seine Brutalität, sein Kompromisslosigkeit, seinen unbedingten Willen zur Macht. Der lässt sich nicht demütigen und beherrschen, der demütigt und beherrscht. Der führt. Wie ein richtiger Mann. Die Sehnsucht nach starken Führern und „kraftstrotzenden jungen Männern“ ist nicht neu. Sie spricht aus Björn Höcke und anderen Mitgliedern seiner Partei, die „Männlichkeit wiederentdecken wollen, um wehrhaft zu sein“. Sie spricht auch aus Adolf Hitler, der in Mein Kampf einen „jüdisch-demokratischen Sumpf allgemein um sich greifenden Verweichlichung und Verweibung“ beschrieb, den er mit „stahlharten Körpern“ austrocknen wollte. Heute heißt es nicht mehr „jüdisch-demokratischer Sumpf“, sondern „degenerierter, verweichlichter Westen„. Und wird von Männern kritisiert, die alle Vorzüge eben jenes Westens genießen und ihre Ärsche schon so lange im Trockenen haben, dass ihnen die eigene Verlogenheit beim Einfordern von Menschenleben für die Verteidigung einer Ideologie, die sie für westliche Werte halten, nicht einmal sauer aufstößt. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck sind es gerade zwei Politiker*innen der angeblichen Schneeflockenpartei Die Grünen, die in Krise und Krieg die deutlichste Sprache finden, die Dinge beim Namen nennen und handeln. Die Menschen, die gerade in Berlin und anderswo für Frieden und gegen die russische Aggression auf die Straße gehen, …

… tun dies auch unter der Regenbogenflagge. Es ist gerade ihre angebliche Dekadenz, ihr scheinbar verweichlichter Lebenswandel, der sie Verantwortung für ihre Mitmenschen übernehmen lässt.

Mit Wolodymyr Selenskyj findet gerade in der Stunde der Not ein Mann seine Stimme und seine Rolle als Präsident, der seinen Mut und seine Überzeugung ganz offensichtlich auch aus Dingen zieht, die ihm rechte Männer als Schwäche auslegen würden.

Und da ist noch eine Sache: Kurz bevor der europäische Luftraum für russische Flugzeuge komplett geschlossen wurde, erfolgte der Exodus der Privatjets.

Wer es sich leisten konnte, floh in Länder, in denen Politik darin besteht, um demokratische Aushandlungsprozesse zu kämpfen. In denen marginalisierte Menschen lautstark und mit zunehmendem Erfolg für ihre Rechte kämpfen und Solidarität erfahren. Sie flohen in den dekadenten Westen, in dem Menschen so frei sind, dass sie Pandemiebekämpfungsmaßnahmen für Diktatur halten können und Zeitungen damit vollschreiben dürfen, wie verweichlicht ihre Nationen sind, weil sie sich um die Anerkennung von trans Menschen bemühen, um inklusives Sprechen, Antirassismus, Frieden und Klimaschutz. Diejenigen, die mit Verachtung auf die „woke Schneeflockengeneration“ blicken, sind nicht die, die jetzt auf die Straße gehen, Geld sammeln, ihre Wohnungen öffnen und harten Einschnitten zustimmen. Auf der Straße sind Fridays for Future. Geld sammeln Menschen, die von rechtskonservativen Männern nur Häme und Verachtung erfahren.

Ihre Wohnungen öffnen Menschen, die fast keinen Platz haben. Da, genau da liegt unsere Hoffnung. Nicht in einer Spirale der Verhärtung, in der Männer aus reiner Lust an Brutalität und Macht Gewalt ausüben, wann immer es ihnen passt. Sondern in einer Verabredung zu Zärtlichkeit und Mitgefühl, die als letztes Mittel auch nicht vor Gewalt zurückschreckt, um Zärtlichkeit und Mitgefühl zu verteidigen.

Ich möchte helfen. Was kann ich tun?

Wir sind in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine. Wenn du möchtest, geh auch du auf Kundgebungen und Demos, in denen es um den Frieden geht. Regional organisieren Gruppen Hilfe und Wohnraum für geflüchtete Menschen. Vielleicht kannst du dich dort einbringen.
Spende für Hilfsorganisationen wie Aktion Deutschland hilft oder „Bündnis Entwicklung hilft“. Hier geht es zum gemeinsamen Spendenkonto.

Wenn du in der aktuellen Situation auch insbesondere Frauen und Kinder unterstützen möchtest, die in der Ukraine oder auf der Flucht sind, kannst du auch direkt dafür spenden.
Zum Beispiel über:

Du kennst weitere Spendenmöglichkeiten? Schreib uns auf Instagram, Facebook oder Twitter oder schicke uns eine Mail an info@pinkstinks.de

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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Bildquelle: jacoblund/iStock