Der Stern des Anstoßes

Während wir uns 2022 um eine gerechtere Gesellschaft in der Welt gesorgt haben, um eine lebenswerte Zukunft und bezahlbare Heizrechnung, hat eine Hamburger Volksinitiative andere Prioritäten gesetzt: „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ heißt sie. Geplant ist ein Volksentscheid für ein Verbot in Hamburg, sofern die dafür notwendigen Unterschriften gesammelt werden können. Derzeit wird noch an einem juristisch einwandfreien Abstimmungstext gefeilt.

Wir finden das super. Dieses Gendern sollte endlich aufhören! Denn das generische Maskulinum ist letztlich nix anderes als eine Genderzuweisung. Und zwar eine männliche. Sobald es um Personen geht, finden wir das kritisch. Was wir viel lieber sähen: eine Variante, die gleichermaßen alle Geschlechter anspricht. Wir wollen genau genommen also gar nicht gendern, wir wollen ent-gendern! Verwirrend? Hier kommen ein paar Details:

Die Initiative nennt Befürwortende der gendergerechten Sprache „radikal“. Zu Recht? Wikipedia sagt: „Das Adjektiv ‚radikal‘ […] beschreibt das Bestreben, gesellschaftliche und politische Probleme ‚an der Wurzel‘ zu greifen und von dort aus möglichst umfassend, vollständig und nachhaltig zu lösen.“

Hm. Ist ein Verbot, wie es die Initiative vehement fordert, nicht die viel radikalere Maßnahme? Das sogenannte Gendern ist ja nur eine kleine von vielen Ideen, die sozialen Missstände einerseits aufzuzeigen und gleichzeitig den Ungehörten in unserer Gesellschaft etwas mehr Resonanzraum zu geben. Klar lösen wir 5000 Jahre Patriarchat nicht mit einem Glottisschlag ab. Aber vielleicht kann diese kleine akustische Pause hin und wieder zu einer Denkpause anregen?

Das generische Maskulinum ist zu einer Zeit entstanden, als Männer die Sicht auf die Welt geprägt, vor allem aber: dokumentiert haben. Schrift, und damit die Überlieferung von Sprache und die Entwicklung einheitlicher Grammatik, war jahrhundertelang hauptsächlich Männern vorbehalten. Das ist schon ein bisschen einseitig, oder? Dass wir zur Abwechslung mal ein paar hundert Jahre ein generisches Femininum einführen oder gar ein generisches Neutrum, stieß bei den Wenigsten auf Begeisterung. Bei Bundeskanzlerin Scholz nicht – und bei uns auch nicht: Uns geht’s ja um Gerechtigkeit für die Zukunft, nicht um Genugtuung für die letzten Jahrhunderte. Und da denken wir eben auch an Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. Das Sternchen ist ein Symbol, das anstelle des generischen Maskulinums, tatsächlich alle mitmeint. Ein Platzhalter, aus der Informatik entlehnt. Der Vorteil: Das Sternchen schlägt sich auf keine Seite – es ist inklusiv. Es wird sogar vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. empfohlen, wenn in Kurzform geschlechtergerecht formuliert werden soll.

Und was sagt die Politik?

Während der Bundestagsabgeordnete und Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß sich für ein Verbot stark macht, positionieren sich Grüne wie die Bundestagsabgeordnete Katharina Beck und auch die Gleichstellungssenatorin und zweite Bürgermeisterin Hamburgs Katharina Fegebank gegen die Initiative, welche sich teils aus dem rechten Spektrum speist. Das erinnert an die Kooperationen der CDU mit der AFD, die im Thüringer Landtag im November 2022 tatsächlich schon zu einem Beschluss vom „Verzicht auf grammatikalisch falsche Gendersprache“ geführt hat. Rechtsbindend ist der natürlich nicht. Ein deutliches Zeichen setzt er trotzdem. Andere Politiktreibende wiederum, wie z. B. Winfried Kretschmann, verlagern die aktuelle Diskussion und überdecken die strukturellen Probleme unseres Bildungswesens mit Anti-Gendersprache-Argumenten wie: Die Schulkinder seien doch schon überfordert genug mit der Rechtschreibung. Die Initiative nennt aber nicht unser marodes Bildungswesen oder unsere Sozialpolitik „diskriminierend, integrationsfeindlich und vorurteilsbeladen“, sondern, ihr ahnt es: Das Sternchen ist an allem schuld. Klar ist Hamburg nicht der Nabel der Welt. Momentan sind zwei Drittel der Deutschen gegen das Gendern. Noch. 51 Prozent der Befragten waren aber auch gegen ein ausdrückliches Verbot, wie es die Initiative fordert!1 Solche Verbote machen uns immer erst mal stutzig. Zumal, wenn die Nutzung vorher freiwillig war. So ist’s ja auch mit dem Gendern: Es ist eine von vielen Möglichkeiten, Menschen Sichtbarkeit zu geben und damit Anerkennung. Gerechte Sprache kann superkompliziert oder ganz einfach sein. Ob nun Glottisschlag, substantiviertes Partizip oder geschlechtsneutraler Plural: Es ist für alle was dabei.

Wir wollen anderen nichts vorschreiben. Wichtig ist uns nur, die Initiative nicht uninformiert oder aus allgemeiner Überforderung zu unterstützen. Vielleicht aus Frust zu unterschreiben. Ein Verbot wird unsere sozialen Probleme nicht lösen. Es ist aber ein willkommenes Ablenkungsinstrument für die Rechte, um vermeintliche Wirksamkeit zu demonstrieren. Überzeugen wir gemeinsam das nächste Drittel?

Das können wir tun

Zunächst mal können wir mit den Menschen in unserem Umfeld sprechen. Unsere Familien, Lieben und Bekannten dafür sensibilisieren, was gendergerechte Sprache bedeutet. Dass alles kann und nix muss. Und wenn euch dieses Gespräch zu heikel ist, wenn euch grade die Kraft fehlt für sowas: Unterstützt unsere Arbeit. Mit euren Likes, euren Shares und eurem finanziellen Beitrag werden wir zu eurer Stimme:

Einfach gendern

Diskriminierungsfreier schreiben und sprechen? Mit etwas Übung geht es ganz leicht. Und es gibt gleich verschiedene Möglichkeiten:

All inklusive: Das Gendersternchen (*)

Statt: „Meine Kollegen und Kolleginnen freuen sich auf die 4-Tage-Woche.“, lieber: „Meine Kolleg*innen freuen sich auf die 4-Tage-Woche.“

Beim ersten Beispiel wird die recht übliche Doppelnennung verwendet. Finden wir nicht so gut, weil nur zwei Geschlechter (Mann und Frau) angesprochen werden. Aber mit dem Sternchen schließt du tatsächlich alle Geschlechter mit ein. Den sogenannten „Glottisschlag” sprichst du dann so aus: „Kolleg-” (kurze Pause) „-innen“.

Neutrale Formulierungen

Viele Menschen finden die Sprechpause noch ungewohnt oder wollen sich in Gesprächen nicht dafür rechtfertigen. Leider stolpern auch Screenreader von Menschen mit Sehbehinderungen oft noch über das Sternchen. Darum bieten sich oft neutrale Formulierungen an. Wähle ein Wort mit dem sachlichen Artikel:

„Mein Kollegium/mein Team freut sich auf die 4-Tage-Woche.“

Auch neutral: Verben nutzen. Aus vielen Verben können wir ein Substantiv bilden, das dann im Plural neutral wird (substantiviertes Partizip). Zum Beispiel: studieren – Studierende; pflegen – Pflegende, usw.:

„Alle Mitarbeitenden bei uns freuen sich auf die 4-Tage-Woche.“

Und auch Relativsätze oder die Namensnennung sind oft geeignet:

„Alle, die mit mir arbeiten, freuen sich auf die 4-Tage-Woche.“

„Marie, Aki und Ali freuen sich auf die 4-Tage-Woche.“

Weitere Infos zum Thema

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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Quelle: 1 laut Meinungsforschungsinstitut infratest dimap im Auftrag der Zeitung „Welt am Sonntag“, Mai 2021

Bildquelle: Pinkstinks Germany e.V.