Mein Sohn ist in einem Alter, in dem ich ihm mit den ’30 schönsten Bewegungsliedern’ schon seit Jahren nicht mehr kommen brauche. Bei ihm bzw. bei seinen Freund*innen ist Deutschrap angesagt, und zwar leider der von Leuten wie Capital Bra, Gzuz, Mero und wie sie nicht alle heißen. Die machen genau genommen auch Bewegungslieder. Es geht viel ums Fahren (von sehr teuren Autos), ums Vorbeigehen (von Frauen, die bewertet, belästigt oder beleidigt werden) und ums ambitionierte Zeigen (von Geld, Schmuck, Waffen oder alkoholhaltigen Getränken). Nach meinem Geschmack sind allerdings viele ihrer Songs textlich und musikalisch um einiges schlechter als zum Beispiel „Die Maus auf Weltraumreise“, und wo ich mich eh gerade wie eine US-amerikanische Vorstadtmutti anhöre: Ich will nicht, dass mein Sohn unreflektiert Musik hört, in der Kriminalität ein allseits beliebter Berufszweig ist, Frauen nach Fickbarkeit bewertet werden und Gewalt mehr zu Wort kommt als Menschen auf der Welt Mandarin-Chinesisch sprechen.
Für ein Verbot bin ich trotzdem nicht. Erstens machen Deutschrap ja nicht nur die da oben, und zweitens wird zu Sexismus auch im Schlager geschunkelt, im Indie gerockt – und sogar ganz ohne Musik sind Anreden wie „Stück Scheisse“ und „altes, grünes Drecksschwein“ rechtlich völlig okaye Bezeichnungen für eine Politikerin. Da haben wir nun wirklich andere Probleme, und das frauenverachtende Gedickhose im Deutschrap ist nur eines davon.
Mein Problem ist es, weil der Pimmelrap meinen zehnjährigen Sohn gerade von jeder Seite anrennt und fasziniert, ich aber weder will, dass er auf dem Schulhof Aramsamsam singt, während die anderen BRRRAA rufen, noch, dass er diesen stumpfen Quatsch für bare Münze nimmt. Er ist aber wie gesagt erst zehn und muss noch lernen, wie er Musik ironisch oder mit einer gesunden Distanz hört. Da komme ich ins Spiel: Weil ich Rap UND meinen Sohn liebe, erkläre ich ihm gern die Zusammenhänge. Was Armut und Lebensumstände mit dieser Art von Rap zu tun haben. Dass krasse Texte manchmal nur für lukrative Aufmerksamkeit geschrieben werden. Und, dass es trotzdem immer armselig ist, sich über andere Menschen zu stellen, um das Konto oder das Ego aufzupumpen. Sowas.
Vor ein paar Wochen waren wir in einem Schmetterlingspark. Auf dem Spielplatz fragte er mich, warum Dr. Dre „Nigga what“ ruft, er das aber nicht sagen soll. Ich erklärte ihm, dass alle selbst bestimmen können, wie sie sich selbst bezeichnen wollen, dass das aber nie eine Einladung für uns ist, das auch zu tun. Wie beim Begriff Fotze. Wenn meist männliche Rapper den verwenden, dann als Beleidigung und Abwertung. Aber wenn Rapperinnen wie SXTN „Jetzt sind die Fotzen wieder da“ brüllen, holen sie sich den Begriff zurück, dann wird aus der Beleidigung ein stattlicher Stinkefinger, und schwups, bekommt das Wort einen neuen, klugen Zusammenhang.
Das kann ganz schön kompliziert sein für einen Zehnjährigen und seine Mutter. Er muss die Welt und diese ganzen Ebenen durchschauen, und ich muss so viel erklären und recherchieren, um ihm neue Musik zeigen zu können, die Verschiedenheit feiert, (rap-)technisch gut ist und in der es um mehr geht als: ‚Guck mal, ich stehe breitbeinig neben wackelnden Frauenhintern und zeige mit einem Sack Drogen in der Hand auf mein Auto, das ein Fall für die Soko Autoposer ist.‘
Zum Glück gibt es viel guten, coolen Rap, auch welchen für Kinder. Passend zu meiner Motivation und unserem Gespräch im Schmetterlingspark passt, dass Sookee gerade ein richtig gutes Rap-Album für Kinder rausgebracht hat. Das heißt nämlich Schmetterlingskacke, ist menschenfreundlich, diskriminierungsfrei, lustig und schön und wird von beiden Kinder gern gehört. Und nach dem ganzen Kontextualisieren und Erklären ist es auch mal schön, Raptexte blanko unterschreiben zu können.