Dickes Ding

Dick Pics sind aktuell in aller Munde. Nachdem das Moderatorenduo Joko & Klaas seine Sendezeit dazu genutzt hat, sexualisierte Gewalt an Frauen zu thematisieren, lockt das Thema sogar den Spiegel zu der Frage, warum jemand ungefragt Dick Pics versendet. Die Sozialpsychologin Barbara Krahé argumentiert, dass den Absendenden bewusst sei, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist: „Es trotzdem zu machen, bedeutet Mut, Dominanz.“

Es trotzdem zu machen, erzählt vor allem die übliche, falsch verstandene Geschichte von Sexualität in der ein Mensch mit Penis der dominante, sich zeigende und übergriffige Part ist, während der Mensch mit Vulva als bedrängt gilt. Dieses Narrativ zementiert sexuelle Stereotype: Menschen mit Penis agieren, Menschen mit Vulva reagieren. Penisse sind etwas Wunderbares, aber Menschen mit Vulva lernen von klein auf, dass es etwas ist, vor dem sie sich in Acht nehmen müssen. Und auch als Erwachsene gibt es viele, die einen Penis als unschön empfinden, selbst in einer einvernehmlich gestalteten Sexualität nicht gerne in Kontakt mit ihm sind.

Keine Frage, Menschen, die ungefragt Penisbilder erhalten, haben alles Recht genervt, verletzt oder schockiert zu sein. Und das Recht steht auf ihrer Seite: Man kann als Fotze oder Drecksschlampe bezeichnet oder auf der Straße unvermittelt zum Schwanz blasen aufgefordert werden, ohne dass das strafbar wäre. Das Bild eines Penis dagegen kann juristisch geahndet werden. Ganz so als verletze ein gesehener Penis stärker als gehörte Worte.

Wie aber wäre es, die Antwort auf Dick Pics wäre keine Anzeige bei der Polizei, sondern ein schickes Vulva-Foto? Feministischer ließe sich ein Lick-my-Clit kaum formulieren. Aber klar, den Spieß einfach umzudrehen, indem man ungefragt Vulva-Bilder in die Welt setzt, würde kaum funktionieren. Weil Vulven und ihre Besitzer*innen anderen gesellschaftlichen Regeln obliegen als Menschen mit Penis.

In der Dokumentation „Female Pleasure“ stellt Filmemacherin Barbara Miller unter anderen die japanische Künstlerin Megumi Igarashi alias Rokudenashiko vor, deren Kunstwerke einen gemeinsamen Nenner haben: die Vulva. In Japan wurde die 48-Jährige schon mehrfach wegen Verstoßes gegen das Sittengesetz verhaftet – in einem Land, in dem es zahlreiche Feste gibt, an denen Penis-Statuen gehuldigt wird. Wie können allerortens Penisse gezeigt und gefeiert werden, während das Zeigen einer Vulva als obszön gilt? Um diese Frage halbwege zu beantworten hat die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal ein ganzes Buch über das „unsichtbare Geschlecht“ geschrieben.

Aber back to blankziehen. Zeigt jemand den eigenen Penis, entwickelt diese bewusste Grenzüberschreitung ein Gefühl von Macht, die Person fühlt sich in ihrem Geschlecht bestätigt. Ein Mensch mit Vulva zeigt sein Genital, um vom anderen Bestätigung zu bekommen. Das ist der entscheidende Unterschied, weshalb zwar haufenweise Penisbilder verschickt werden, aber eben kaum Vulva-Pics. Weil die Reaktion auf der anderen Seite womöglich weniger Empörung als Begeisterung wäre; weil die Vulva nicht als Provokation denn als Einladung aufgefasst würde und schließlich: weil die Sichtbarkeit weiblich gelesener Nackheit gegen die Zuschausteller*in verwendet werden kann.

Womit wir wieder bei der Sozialisation wären: Menschen mit Vulva und später Brüsten wird von klein auf beigebracht, diese nicht zu zeigen. Ein Teenager, der Vulva-Fotos an jemanden schickt, gilt als Schlampe, ein Teeanger, der dasselbe mit seinem Penis macht als, naja, pubertär. Bloß, dass das bei manchen eben nicht mit 20 aufhört.

Statt das Narrativ zu bestätigen, in dem Penisse ein Zeichen von Macht sind, das strafrechtlich verfolgt wird, wie wäre es Geschlechtsteile neutraler zu bewerten, sie weniger an ein Stereotyp von Sexualität zu koppeln? Sie weniger zu gendern und sie stattdessen als das zu betrachten, was sie sind: simple Geschlechtsteile. Kein Grund, sich über sie aufzuregen, aber noch weniger ein Grund, sie per Messenger in die Welt zu tragen.

Foto von Charles Deluvio on Unsplash

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