Die Dame zuerst!

Gerade ist es schon wieder passiert: Ich halte einem Mann die Tür auf. Er weigert sich strikt, hindurch zu gehen, greift über mir die Tür und sagt, sehr devot: „Nein, bitte nach Ihnen. Die Dame zuerst.“

Ich habe einen praktischen Hoodie und dreckige Reitstiefeletten an und sehe keineswegs aus wie ein Mensch, der unfähig ist, eine Tür aufzuhalten. Ich trage keinen ausladenden Reifrock, der dabei schaden leiden könnte oder mich daran hindert, die Klinke zu erreichen. Trotzdem: „Damen“ sollten sich nicht überanstrengen. Und Männer müssen ihnen immer helfen, auch (oder gerade?) dann, wenn Frau gar keine Hilfe braucht oder selbst welche anbieten möchten.

Dabei mag ich das Wort „Dame“. Besonders, wenn ein Sternchen dranklebt und andeutet, dass jede*r diese Dame sein darf. Ich mag es, wenn wir „Sehr geehrte Damen* und Herren* angeschrieben werden. Ich ermahne meine Kinder, „die Dame*“ oder „den Herren*“ vorzulassen, wenn wir in einer Schlange stehen und ein älterer Mensch mit seinen Taschen kämpft. Für mich drücken diese Höflichkeitsformen aus, dass wir über Andere nicht als irgendwelche Dinge sprechen, sondern als Lebewesen, die respektiert gehören. Jede*r ist mehr als „der Mensch da“. Warum nicht „eine Dame*“? Oder „ein Herr*“?

Aber leider dürfen Damen* den Herren* keine Türen aufhalten. Dabei möchte ich so gerne diejenige sein, die gönnerhaft einlädt, vor mir zu gehen um von hinten von mir bewacht zu werden, damit kein Säbelzahntiger angreift. Wieso darf ich nicht stark und selbstständig sein, besonders an einem Tag, an dem ich mich genauso fühle? (Säbelzahntiger sind übrigens ausgestorben. Ausgestorben!)

Ich mag auch ungeschminkt und verzottelt gerne als Dame* angesprochen werden. Ich habe zwar noch nicht das Alter von Dame Judy Dench, aber wenn ich ihrer Darstellung von „M“ (James Bond) ähnelte, fänd‘ ich das cool. Ich freue mich auch über Blumen, Menschen, die mir Türen aufhalten und wenn ein Mann mich zum Essen einlädt. Nicht darüber, wenn ich keinem Mann Blumen schenken, keinem Mann die Tür aufhalten, keinen Mann zum Essen einladen darf, weil sonst sein Schwanz abfallen oder ich seine Ehre beschädigen könnte.

Unsere Youtuberin Lara erzählte neulich in der Teamrunde lachend, wie ein Kellner komplett verwirrt schien, als sie das Weizenbier und ihr Freund die Ki-Ba bekam, die sie bestellt hatten. Der arme Herr* bekam den Mund gar nicht mehr zu. Ein Mann, der pinken, süßen Kirsch-Bananensaft trinkt! Und der sich womöglich von Lara auch mal einladen lässt. Dem sie hilft, schwere Kisten aus dem Auto zu laden. Was bleibt denn auch vom Mann, wenn er seine Männlichkeit nicht mehr beweisen kann? Vielleicht ein wunderbar liebenswerter Herr*, dem jeder Respekt gebührt.

Liebe Frauen*, Männer*, Damen* und Herren* oder wie ihr sonst gerne angesprochen werdet (sagt es mir gerne!), können wir das nicht allen Menschen da draußen in den Grundschulen unseres Landes beibringen? „Echte Männlichkeit“ ist so gestrig. Es lebe der Respekt, die Kommunikation, die Rücksicht und der Mut, auch andere einmal führen zu lassen. Vor allem, wenn nichts auf dem Spiel steht außer: der eigenen Identität.

Einen schönen Tag euch! Eure Stevie

Foto Kyle Head / Unsplash