Die Eiskönigin

In einem mehrere Meter hohen Kleid, das ein wenig so aussah wie ein Zirkuszelt, schwebte Heidi Klum gestern Abend über den vier Finalistinnen der diesjährigen Staffel von Germany’s Next Topmodel (GNTM). Ihre „Meeedchen“ blickten ehrfürchtig, aber demonstrativ selbstsicher zu ihr auf. Wer Schwäche zeigt, verliert. 

Es war ein seltsames Bild, das an Kinder erinnerte, die am Rockzipfel ihrer Mutter hängen. Aber auch an das extreme Machtgefälle zwischen Heidi und den Finalistinnen. Wenig später kam die Band Tokio Hotel mit Heidis Ehemann an der Gitarre unter diesem lächerlich gigantischen Rock hervor. Beeindruckend. Mit so viel „Cringe“ schon in der ersten Viertelstunde hätte ich wirklich nicht gerechnet. Man spürte es: Das ist ihre Show. Sie ist die strahlende Gestalt, die Eiskönigin, die über ihre „Meeedchen“ bestimmt. Dieses Bild kühler Distanz wurde noch dadurch untermauert, dass sie wegen der Corona-Maßnahmen immer auf Abstand blieb. 

„Nur eine kann Germany’s next Topmodel werden.“ Diesen Satz von Heidi Klum hören wir seit unglaublichen 16 Jahren. Trotzdem sollte dieses Mal alles anders sein. Die Staffel stand unter dem Motto Diversität. „Allen Mädchen – ob groß oder klein, jung oder alt“ wollte Heidi diesmal die Chance geben, sich bei ihr vorzustellen.

Die Siegerin der Staffel steht seit Donnerstagabend fest: Die 23-jährige Alex ist jung, groß, schlank und entspricht dem westlichen Schönheitsideal – insofern hat sich also rein gar nichts geändert. Alex ist aber auch das erste transgender Model, das die Show gewinnt. Sie setzte sich gegen die 20-jährige Dascha durch, die es als Plus-Size-Model auf den zweiten Platz schaffte, gegen Soulin, eine junge Frau, die ursprünglich aus Syrien stammt und gegen Romina, die mit 1,68 m die kleinste Kandidatin ist, die es jemals in einem Finale der Sendung gab. Eigentlich hätte Heidi auch gerne die Jura-Studentin Ashley im dabei Finale gehabt – aber die Schwarze junge Frau entschied sich dazu, freiwillig aus der Show auszusteigen. 

Die fünf Finalistinnen hätten das Bild, das GNTM in dieser Staffel unter dem Label Diversity zeigen wollte, perfekt inszeniert. Flach und perfide ausgedrückt hieße das: Transgender, Plus-Size, die Geschichte einer Geflüchteten, klein und Schwarz. Das Problem daran ist, dass es in der Sendung genau so flach rüberkam, wie es klingt, denn die Kandidatinnen wurden viel zu oft auf diese Eigenschaften reduziert. 

Ich habe seit Jahren kein komplettes Finale der Show gesehen. Warum auch? Die Sendung bestärkt das Konkurrenzverhalten unter Frauen, propagiert hartnäckig zweifelhafte Schönheitsideale und ist nach wissenschaftlichen Studien für zahlreiche Essstörungen mitverantwortlich.

Pinkstinks setzt sich schon lange dafür ein, dass GNTM kritischer betrachtet wird. Proteste und Demonstrationen, eine Petition, in der wir mit vielen von euch gemeinsam versucht haben, die Sendung ins Spätprogramm zu verlegen, ein Gedichtwettbewerb oder die Aktion „Not Heidis Girl“ – wir setzen uns seit Jahren mit den Inhalten der Sendung und deren Wirkung insbesondere auf Mädchen und junge Frauen auseinander.

Die von GNTM auffällig oft genannte „Diversity“ in einer Branche, in der es ums Aussehen geht und mit der in dieser Staffel so viel geworben wurde wie noch nie, wäre schön und wünschenswert, ja sogar ein Schritt in die richtige Richtung, um Vielfalt sichtbarer zu machen und gegen alte Normen zu rebellieren. Stattdessen nutzt das Format die Forderungen nach mehr Diversität, um sich selbst als offen und modern zu präsentieren und dem Zeitgeist zu entsprechen.

Das, was divers ist, wird allerdings bis ins letzte Detail seziert. In dramatischen Erzählungen werden emotionale oder traumatische Erlebnisse wiederholt und die Person oft auf diese reduziert. Soulin sollte während der Staffel beispielsweise mit ihrer Geschichte als Geflüchtete bei möglichen Kund*innen punkten und wurde dafür kritisiert, als sie es nicht tat. Dascha wird immer wieder durch ihre Kurven definiert und ist „sogar“ dabei, „obwohl“ sie Kleidergröße L trägt. Alex, die laut Heidi für Diversity steht, ohne das „Anderssein“ hervorzuheben, wird im Finale wiederholt durch ihr „Anderssein“ beschrieben. Romina, die während des Umstylings unfreiwillig feuerrote Haare verpasst bekommen hat, und abgesehen davon einfach nur unter 1,70 m groß ist, wird ebenfalls penetrant als divers gelabelt.

Die jungen Frauen haben gelernt, dass sie sich durch die Merkmale, die sie „divers“ machen, verkaufen sollen. Dieser Umgang damit ist doch aber eigentlich etwas, das jede Person für sich entscheiden sollte. Wer aus seiner Biographie erzählen möchte oder traumatische und emotionale Erfahrungen teilen will, soll das tun. Niemand sollte sich allerdings dazu genötigt fühlen. Wenn es darum geht, etwas aus der eigenen Lebensgeschichte zu picken, um in das Diversity-Marketing von GNTM zu passen, geht es um Druck, um gut verkäufliche Emotionen und um ein frisches Label für ein vielfach kritisiertes Format. 

Selbst wenn sich diese Staffel eigenhändig den Stempel „Diversity“ verpasst hat und es dieses Jahr zum Beispiel eine gehörlose Kandidatin gab, woraufhin das Finale online mit Gebärdensprache-Dolmetscher*innen verfolgt werden konnte, ist es gefährlich, GNTM als fortschrittlich und inklusiv zu bezeichnen. Dass sich etwas ändert, ist gut. Einfach nur Diversity-Washing zu betreiben, reicht aber nicht. Obwohl in der Staffel mehrere Schwarze Kandidatinnen und Women of Color dabei waren, wurde Rassismus beispielsweise überhaupt nicht thematisiert. Vielmehr ging es um die roten Haare einer Kandidatin, wegen der sie Nachteile erfahren hatte. Wahrscheinlich, weil sich die mit Schwarzsein verbundenen Erfahrungen nicht so gut inszenieren ließen und schwerer konsumierbar wären als eine knallrote Haarfarbe, schreibt Ellen Kollender, die an der Sozial- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg forscht, in der „Zeit“.

Kann GNTM es überhaupt richtig machen? Solange es eine Sendung ist, die als Konkurrenzshow unter Frauen funktioniert, bei der es ums Aussehen geht und darum, zu gehorchen, sich ständig zu überwinden, das eigene Bauchgefühl zu ignorieren und fertig machen zu lassen, um meist männlichen Fotografen und Juror*innen zu gefallen, ist GNTM nicht zeitgemäß. Auch wenn die Sendung versucht, sich divers zu geben, um damit zu gefallen und in die heutige Zeit zu passen. Man könnte in einer Sendung wie GNTM Frauen eigentlich zeigen, wie man selbstbewusst ist, ohne sich zu verbiegen, wie man schlau das Business meistert und dabei gesund bleibt oder wie man sich gegen aufdringliche Fotograf*innen und Designer*innen wehrt. Stattdessen geht es um Gehorsam, Passivität, Konkurrenz und um Ideale. 

Dass Alex die Staffel gewonnen hat, ist eine wunderbare Message und großartig für die Sichtbarkeit der trans-Community. Eine Schwalbe macht aber noch keinen Sommer – und ein Model wie Alex, das groß, schlank und mit hübschem Gesicht genauso aussieht wie die Siegerinnen bisher, macht aus GNTM keine Show, die wirklich etwas an problematischen Schönheitsidealen und den damit einhergehenden Auswirkungen verändert. 

Bildquelle: Glenn Francis, www.PacificProDigital.com

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