Eine Person mit breitem Kreuz ist von hinten zu sehen, wie sie eine Allee entlang geht. Auf ihren Schultern sitzt ein Kind, das die Arme in der Luft hat.

Die gefährlichen Cheerleader toxischer Männlichkeit

Eine Kolumne von Nils Pickert

Contentnote: Der folgende Inhalt behandelt das Thema Gewalt gegen Frauen und toxische Männlichkeit

Für gewöhnlich neige ich nicht zu vorsorglichem Pessimismus. Womöglich nicht einmal jetzt. Denn meine Befürchtungen haben weniger mit Ahnungen zu tun als mit schlichten Erfahrungswerten. Und meine Erfahrung nach über 10 Jahren Jungen- und Männerarbeit sagt Folgendes:
Es wird nicht einfacher. Im Gegenteil: Wer das Gefühl hatte, wir hätten in den letzten Jahren den #MeToo-Peak erklommen und die Untiefen von Sexismus, Objektifizierung, Herabwürdigung und sexualisierter Gewalt ausgelotet, wird enttäuscht werden. Wir sind noch lange nicht am Ziel und die nächsten vier Jahre unter Trump werden zäh und ziemlich furchtbar.

Und nicht nur unter Trump. Weltweit sind antifeministische, misogyne Gruppierungen und Personen als Teil einer globalen emanzipatorischen Gegenbewegung auf dem Vormarsch. Das ist so unangenehm wie vorhersehbar. Nachdem Feminismus den Status quo (Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Objektifizierung, sexualisierte Gewalt, Rape Culture und Femizide) sehr deutlich als untragbar markiert hat, gab und gibt es einen Backlash, der den Status quo nicht nur erhalten, sondern auch rückabwickeln will. Reproduktionsrechte stehen auf dem Spiel. Das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und Verhütung. Schuldlose Scheidung, freie Berufswahl, Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Sogar am Wahlrecht für Frauen wird gerüttelt. Über 100 Jahren nach dessen Einführung auf allen Ebenen der USA denken MAGA-Konservative laut darüber nach, dass die freie Wahl einer Ehefrau für eine andere Option als die, die ihr Ehemann wählt, einer Affäre oder Schlimmeren gleichkommt.

Aber warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte doch so nahe liegt: Das Kölner CDU-Mitglied Gundolf Siebeke wollte auch gerade erst „inoffiziell über das Frauenwahlrecht nachdenken„.

Zur „Begründung“ postete er einen Verweis auf einen Artikel der Bild-Zeitung, in dem über Streitigkeiten innerhalb der Grünen wegen Habecks unabgesprochener Kanzlerkandidatur vor dem Hintergrund der innerparteilichen Frauenquotenregelung berichtet wird. Das war dann allerdings sogar der Bild-Zeitung zu plump – also berichtete sie wie andere Medien auch über Siebekes „Geschichtsverständnis„, nach dem Frauen „wohl zurecht als emotional, als labiler, als wesentlich leichter zu beeinflussen“ gelten.

Aber selbst dabei bleibt es nicht. Keine 24 Stunden nach dem Wahlsieg von Donald Trump geisterte der Slogan „Your body, my choice“ durch die sozialen Netzwerke. Ausgehend von einem Clip des „White Supremacy“ Aktivisten Nick Fuentes wurde er insbesondere von jungen Männern tausendfach gepostet und geliked. Mit der Rückkehr eines verurteilten Sexualstraftäters, von dem seine Dudebro-Freunde hoffen, dass er jetzt als „Daddy dem bösen Mädchen Amerika den Hintern versohlt„, wird Frauenhass in aller Öffentlichkeit zelebriert. Um das Viertausendfache sind Hassnachrichten an Frauen in der Woche nach der US-Wahl gestiegen. „Geht zurück in die Küche!“ und „Euer Körper gehört uns!“ schallt es ihnen entgegen, während hier in Deutschland die laut Umfragen zweitstärkste politische Kraft „deutsche Kinder von deutschen Frauen“ fordert. Ganz unverhohlen kommen die Frauenhasser aus ihren Löchern gekrochen, weil ihr orangenes Maskottchen wieder die Macht übernommen hat und sogar verstärkt bei Gruppen punkten konnte, die Trump bislang massiv ablehnten. Kein Wunder, dass sich US-amerikanische Frauen nach der Wahl vermehrt über die südkoreanische 4B-Bewegung informieren. Deren vier Neins beinhalten auf Männer bezogen: Kein Dating, keine Ehe, kein Sex, keine Kinder.

Aber ganz unabhängig davon, wie Frauen und andere marginalisierte Gruppen auf diese neuerliche Zusammenballung und Zurschaustellung faschistoider Kräfte reagieren – die Frage bleibt, was Männer nun tun. Insbesondere junge Männer. Was machen wir mit all den Jungen und Männern, die zwar kein originäres Interesse daran haben, Frauenhass in ihre Persönlichkeit zu integrieren, aber schwer beeindruckt von der Macht und der Rücksichtslosigkeit dieser Drecksackparade sind? Wie erklären wir Jungen jetzt, dass Lügen falsch ist? Dass Gewalttäter geächtet werden? Dass Frauen gleichberechtigt sind und Güte ein starker Charakterzug? Während auf der Weltbühne gerade Arroganz, Frauenhass, Grausamkeit und Gewaltverherrlichung hofiert werden, müssen wir Mittel und Wege finden, uns in Wort und Tat, in Erziehung und Vorleben dagegen zu stellen.

Was aber haben wir jungen Männern anzubieten? Nicht nur in den nächsten vier Jahren, sondern grundsätzlich und darüber hinaus. Männlichkeit, darüber rede ich mir mittlerweile auch schon seit Jahren den Mund fusselig, kann nicht nur in Verneinungen erzählt werden. Das reicht einfach nicht. „Männlichkeit ist scheiße, was ist bloß los mit dir!“ ist keine Option. „Hör auf… Sei nicht… Tu nicht so… Mach nicht auf…“ auch nicht. Selbstverständlich kann und sollte man Jungen und Männern ihre Grenzen aufzeigen. Aber daraus lässt sich keine Identität formen. Männlichkeit kann nicht nur in Ab- oder Ausgrenzung entstehen – das ist eine Lektion, die die progressiveren Kräfte innerhalb der Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten auf die harte Tour lernen mussten. Und ich fürchte, die Lektion ist noch lange nicht verinnerlicht. Denn nach wie vor bieten vor allem rechtskonservative Milieus den Großteil von Männlichkeitsidentifikationen an. „Mach dein Bett, halt dich gerade, nimm dir, was du willst! Sei ein Anführer, kein Anhänger, ein Ficker und kein Gefickter, ein Krieger und kein Heiler!“

Ich habe Verständnis für alle, die vollkommen zu Recht feststellen, dass die Messlatte wirklich niedrig ist. Die keinen Bock haben, Männer nach drölftausend Jahren Patriarchat auch noch „mitnehmen“ zu müssen. Aber wenn wir gerade jungen Männern im Austausch für ihre zutiefst sexistischen Privilegien keine Freiheit anbieten, dann werden sie in dem Eindruck verbleiben, dass diese Privilegien eigentlich schon ganz geil sind. Dass es ok ist, so mit Frauen umzugehen.
Also was sollten wir anbieten? Gewaltfreiheit. Trost. Wertschätzung. Die Chance auf Selbstverwirklichung und identitäre Selbstbestimmung. Sexuelle Freiheit statt tumber Fickerkonzepte. Die Freiheit, Vater sein zu dürfen – mit allem, was dazugehört. Die Freiheit, sich nicht tot schuften oder qua Geschlecht in den Krieg ziehen zu müssen. Die Freiheit, anders zu sein. Kunst. Nähe. Liebe. Mitgefühl. Je mehr die Privilegien locken, umso genauer müssen wir in unseren Männlichkeitsangeboten und Freiheitsbegriffen werden. Weg von „Das lohnt sich nicht!“ hin zu „Schau mal, wie großartig DAS ist!“. Das ist viel Arbeit gegen unzählige Widerstände. Es ist der schwierigere Weg. Der, bei dem wir ständig zurückgeworfen werden und zu oft am Rand von Verzweiflung und Scheitern operieren. Aber gerade weil wir nicht jede Bühne stürmen können, auf der Frauenhasser ihre Widerwärtigkeiten verbreiten, müssen wir Gegenbühnen schaffen. Wie klein sie auch immer sein mögen. In Vereinen, Schulen und Kitas. Bei unseren Freunden. Auf der Arbeit. Zu Hause vor unseren Söhnen. Egal wo. Egal wann.


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit fast 140.000 Menschen teilen!

Bildquelle: Unsplash, Nellie Adamyan