Wenn ich die Geschichte von Pink schreiben möchte, meine ich das Gesamtkonzept Pink, wie wir es bei Pinkstinks definieren: niedlich, zart, modeverrückt, aufs Äußere konzentrentriert, sexy. Vielleicht könnte ich damit im Jahr 1960 starten. In diesem Jahr war Twiggy, das erste magere Supermodel, zum ersten Mal auf dem Cover der britischen Vogue. Es war das Jahr, in dem die Antibabypille auf den Markt kam.
Natürlich startet Pink nicht hier. Pink startet way back, bei den Pharaonen, bei den Isrealiten, bei den Griechen. Aber 1960 ist ein spannender Meilenstein.
Die Frauen hatten sich seit Anfang des Jahrhunderts mehr erkämpft, als Ihnen in den letzten 6000 Jahren zuteil war. Bildung, Wahlrechte, Menschenrechte – alles in fünfzig Jahren. Nun kam der Riesendurchbruch: Sie konnten selber entscheiden, ob sie Kinder haben wollten, oder nicht. Denn Kinder bedeuteten damals weitgehend noch ein Ende der Karriere – ohne Krippenplätze und mit vielen Ratgebern auf dem Markt, wie eine perfekte Hausfrau zu sein hatte, war Mutterwerden für viele noch die absolute Falle.
War es eine Verschwörung? Sind die von Männern geführten Medien auf die Idee gekommen, niedliche, Puppenartige Magermodels einzuführen, um die Frauen anders im Schach zu halten? Diäten und Hungern anstatt Rechtlosigkeit und Mütterfalle? Große Augen und Maxiwimpern, Baby Dolls und Mode, in der man sich nicht vernünftig fortbewegen kann, weil Frauen nicht mehr geschlagen oder nicht mehr (seit 1997) von ihren Männern vergewaltigt werden durften? Das wäre eine gute Geschichte.
Die Frage ist eher, warum wir es zugelassen haben. Und immer noch mitmachen. Und die Antwort ist einfach. Nicht, weil es in unseren Genen liegt, zu gefallen. Sondern weil die Angst, uns dieser Identität zu entziehen, riesig gewesen sein muss und immer noch ist. Jahrtausendalte Werte liegen in unserer Erziehung. Frauen, die sich von Geburt an um die Schönheit ihrer Tochter sorgen, damit sie einen Mann findet, während sie hoffen, dass ihr Junge stark genug wird, um sich und eine Familie zu ernähren. Als diese Einbahnstraße durch die Antibabypille gesprengt wurde, muss die Angst in jener Generation groß gewesen sein – die erste, die nicht auf Sex verzichten musste, um weiter arbeiten und ihr eigenes Leben leben zu können.
War es da nicht viel einfacher, sich dem Lust an einer vorgegebenen Identität hinzugeben, die sie bei jedem Blick in eine Illustrierte wiedererkannten als die, die schon ihre Mutter ihnen vermittelt hatte? Versteht mich nicht falsch: ich glaube nicht an „Die Feigheit der Frauen“, so modern es auch ist. Wir leben in der Matrix, und nur die wenigsten bekommen die Chance, die rote Pille zu schlucken. Und selbst dann ist der Weg nach Zion kein Kinderspiel.
Der Wunsch, anerkannt zu sein, eine sinnvolle Identität zu haben, entsteht bei Kindern schon im ersten Lebensjahr. „So sollst Du sein“, suggeriert ihnen ihr Umfeld, und auch nach Einführung der Pille war dieser Spiegel sicher keiner, aus dem ein starkes, unabhängiges kleines Mädchen herausschaute. Freiheit ja, aber nicht auch noch laut und durchsetzungsstark dazu – so viel auf einmal war nicht gewünscht, und konnte deshalb auch kaum eine Frau aushalten. Freiheit wird auch heute noch mit Leichtigkeit in Verbindung gebracht – es sind die zarten, femininen Frauen, die in der Werbung fliegen dürfen.
Wenn wir heute das pinke Spielzeug für Mädchen sehen und es kaufen, weil wir es selbst so niedlich finden, steckt darin oft genau der Wunsch, selbst geborgen und anerkannt zu sein. Die Erinnerung an die Wünsche, die an einen selbst getragen wurden, verpflanzen sich weiter von Generation zu Generation. Als Kindheit als Markt entdeckt wurde, konnte genau diese Wunschmaschine genutzt werden, und sie funktioniert hervorragend.
Und die Farbe? Nein, es gibt kein Rosagen. Das ganze wäre auch mit gelb möglich, und dann würden uns diese Farbe stinken. Nachdem das kleine, royale Rot abgedankt hatte (die militärischen Uniformen wurden Anfang des letzten Jahrhunderts blau, und in den neuen Fabriken trug man Blaumänner), wurde die Farbe einfach frei, und amerikanische Textilfirmen kamen in den 30er Jahren darauf, Jungs und Mädchen diesen Farben zuzuordnen. So einfach ist das.
Doch erst seit den 80er Jahren hat die Farbe Pink den universellen Stellenwert, den wir heute kennen. Was ist da passiert? Nachdem wir eine starke Madonna kennengelernt hatten, mit Lederjacke und frechen Gesten in „Into the Groove“, posierte sie ein paar Monate später als Material Girl, blondgefärbt und pink. Sie zeigte sich wählerisch, aber in einer Identität, die dem Gesamtkonzept Pink zollte. Anfang der 90er Jahre wurden die ersten Supermodels Cindy Crawford, Linda Evangelista, und Naomi Campbell bekannt, damals alle noch nicht hager, eher groß, etwas furchteinflößend und sportlich, aber noch im gleichen Jahr kam Kate Moss auf den Markt, die den Trend wieder nivellierte.
Seit dem sind wir niedlich geblieben, zarter und sexualisierter denn je. Manche glauben, der Zenit sei schon überschritten, aber alle Ankündigungen, man wolle Verantwortung übernehmen, sind nur vordergründig. Die Brigitte-Models sind noch genau so dünn, nur nicht mehr so teuer, und die Bilder aus Mailand noch immer erschreckend. Es ist ein Double-bind: Selbst wenn wir den Mut aufbringen würden, laut zu werden, erinnern uns die Medien stets an den Wunsch, den wir schon als Kind so stark spürten: dazu zu gehören. Aus dieser Maschine alleine auszubrechen, ist fast unmöglich. Es geht nur, in dem der Spiegel sich verändert – und dafür gibt es Pinkstinks!
Stevie Schmiedel