Die Kölner Silvesternacht oder DAS HABT IHR JETZT DAVON!

„Ihr wolltet ja nicht hören.“
„Es ist so gekommen, wir wir gesagt haben.“
„Das habt ihr jetzt davon!“

Es ist die Stunde all derer, die es schon immer gewusst haben wollen. Dass mit den „Ausländern“ was nicht stimmt. Dass man Angst vor Überfremdung haben und jetzt endlich mal eine härtere Gangart eingelegt werden muss: Am Silvesterabend kam es in Köln und anderen Städten zu zahlreichen Übergriffen und sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Unter den Tätern befanden sich nach bisherigem Ermittlungsstand Migranten, womöglich auch Flüchtlinge. Aber die genaue Anzahl und die konkreten Tathergänge sind (noch) nicht bekannt.
Denn die Informationen dringen nur spärlich und widersprüchlich an die Oberfläche. Laut Pressemitteilung der Kölner Polizei „gestaltete sich die Einsatzlage entspannt„, später lies sie verlauten, man habe erst durch die Anzeigen erfahren, dass es zu einer Vielzahl von Übergriffen und sexualisierter Gewalt gekommen ist. Zugleich wurde von Seiten der Polizeigewerkschaft konstatiert, dass einer Zivilpolizistin vor Ort von einem Täter in die Hose gefasst wurde. Ja was denn nun? Wusste man davon oder nicht? Wer lügt und wer sagt die Wahrheit? Anstatt den wirklich guten Vorschlägen der Prinzessinenreporter für den Umgang mit dieser komplizierten Gemengelage („Es gibt keine richtigen Schlagzeilen mit den falschen Fakten – lasst das also!“) zu folgen, wurde wild spekuliert, übertrieben, vereinnahmt und gehetzt. Eine Menschenmenge von ca. 1000 Leuten, aus der heraus Täter Frauen angriffen, wurde zu einem tausendköpfigen Ausländermob. Armlängen waren plötzlich wichtig –  wer sie einzuhalten hat und vor wem sie schützen sollen. Schlussendlich sogar aus welchem Zusammenhang sie gerissen wurden. Der zuständige Polizeipräsident wurde  vom Innenminister zurückgetreten, der sich seinerseits wiederum mit Rücktrittsforderungen der Opposition konfrontiert sieht. Und in dieser Situation sollte sich möglichst jetzt, augenblicklich und gefälligst umfassend DER deutsche Feminismus erklären – fand zumindest Birgit Kelle auf der NRW.jetzt Plattform ihres Mannes und wollte wissen, wo denn da bitteschön der #Aufschrei bleibt. Auch andere nutzten die Gelegenheit, um „diesen linken Feministinnen“ endlich mal die Meinung zu sagen.

Was Kelle und ihre Meinungsmitstreiter*innen hier dem, was sie für die deutsche Einheitsfront Feminismus halten, vorwerfen, ist nichts weniger als Doppelmoral. Wenn es um weiße Männer in Machtpositionen geht, dann wird mit der Moralkeule zugeschlagen, aber wenn es um die Ausländer™ geht, dann werden vor lauter Multikultitrunkenheit beide Augen zugedrückt – sogar vor sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Dass ihre Gesinnungsgenossen längst dazu übergegangen sind, kritischen weiblichen Stimmen eben jene Gewalt an den Hals zu wünschen, scheint ihnen dabei entgangen zu sein oder wird bewusst ignoriert. Auch das mit dem Rechtsstaat und der Individualschuld ist noch nicht so richtig durchgedrungen.

Aber all das verblasst natürlich vor dem Umstand, dass Feminist*innen sich ihre Kämpfe selber aussuchen und keine Lust haben, die Knüppel auch noch zu apportieren, die anderen Menschen zwischen die Beine geworfen werden. Wie können sie es nur wagen?! Überhaupt: Was ist los mit dieser Servicewüste Feminismus™? Wann fragt die eigentlich mal, was sie für ihr (Deut)schland tun kann, anstatt sich mit Hashtags über den angeblichen Sexismus älterer FDP Politiker aufzuregen?

Tun wir mal für einen Moment so, als hätten Feminist*innen nicht in zahlreichen klugen, verstörten, besonnenen, wütenden Beiträgen darauf reagiert,

Wizorek: Sexismus ist immer noch Alltag„Es ist 2016 und wir reden immer noch über sexualisierte Gewalt. Sie ist immer noch normal und sie ist immer noch da“, sagt Bloggerin Anne Wizorek in einem Zwischenruf im Heute-Journal.

Posted by ZDF heute on Freitag, 8. Januar 2016

und schauen uns diese Anschuldigungen genauer an.

Zum einen hat Birgit Kelle auch 3 Jahre nach der Aufschrei-Debatte immer noch nicht verstanden, worum es ging und geht. Dabei hätte sie doch verschiedentlich Anne Wizorek, Jasna Strick, Nicole von Horst und all die anderen, die sich unter diesem Hashtag über ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus und sexualisierter Gewalt ausgetauscht haben, fragen können. Denn es ging eben nicht darum, dass tausende Frauen monatelang ihre Meinung über Rainer Brüderle und seine Dirndl-Fantasien kundgetan hätten.

Es ging um Übergriffigkeit, Gewalt, anzügliches Verhalten, Sexualisierung und geschlechtsbezogene Demütigungen, denen Frauen noch immer Tag für Tag ausgesetzt sind. Um den Sportlehrer, der nur bei den Mädchen „Hilfestellung“ leistet. Um den Chefredakteur, der beim Vorstellungsgespräch mit der angehenden Volontärin die Beine auf den Tisch legt und ihr zu ihrem Outfit gratuliert. Um die Gruppe angetrunkener Männer, vor deren Zudringlichkeit sich eine Frau panisch in einen Hauseingang flüchten muss. Kann man wissen. Sollte man wissen. Selbst wenn man Birgit Kelle heißt.

Zum anderen ist es die billigste, mithin die abgefeimteste Strategie, dem Feminismus™  seinen Anspruch auf und seinen Willen zur Intersektionalität vorzuwerfen. Während man die eigenen Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigt ausgerechnet die anzupöbeln, die beispielsweise in harten Auseinandersetzungen darüber nachdenken und streiten, was Geschlechtergerechtigkeit wert sein kann, wenn von ihr nur weiße Frauen profitieren, bedarf schon eines gerüttelten Maßes an Dreistigkeit. Und auf die Idee, Menschen Scheinheiligkeit vorzuwerfen, die sich dagegen verwehren, dass eine marginalisierte, unterprivilegierte Gruppe gegen eine andere ausgespielt wird, muss man auch erstmal kommen. Aber es dient ja alles einem Zweck, nicht wahr?! Nämlich der Legitimation der eigenen, bereits vorhandenen Ressentiments. Die lassen sich bei solchen Anlässen wunderbar bestätigen und konkretisieren. So will sich die Slowakei nun weigern, angesichts der Geschehnisse der Silvesternacht in Köln muslimische Flüchtlinge aufzunehmen. Die seien grundsätzlich schwer integrierbar und außerdem sei doch die Idee von einem multikulturellen Europa sowieso gescheitert.
So schnell geht das. So schnell werden aus noch nicht ermittelten Tätern sexualisierter Gewalt erst „Männer aus Nordafrika und dem Arabischen Raum“ und schließlich Muslime.

Wir nennen das Rassismus. Was in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof geschehen ist, nennen wir sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Und um es abschließend noch einmal klar zu stellen: Feminist*innen schrecken nicht davor zurück, sexualisierte Gewalt zu benennen und zu verdammen, wenn sie von Migranten, Flüchtlingen, Ausländern oder wem auch immer verübt wird.

Zitat

Viele von ihnen lassen sich nur einfach nicht vor den rassistischen Karren besorgter Bürgerinnen und Bürger spannen, die meinen, mit dem Thema hätte man die blöden Gutmenschen voll am Wickel und endlich da, wo man sie haben will. Stattdessen sind Feminist*innen diejenigen, die schon 1997 gegen sexualisierte Gewalt protestierten, als Menschen wie Erika Steinbach und Horst Seehofer im Bundestag noch dagegen stimmten, Vergewaltigung innerhalb einer Ehe als Straftatbestand zu werten. Menschen, die „jetzt Taten fordern, um unsere Frauen zu schützen“. Menschen, die scheinbar der Meinung sind:

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Wohin das führt war und ist abzusehen. Am Samstag sind Pegida-Anhänger mit Reichskriegsflagge durch Köln marschiert und haben dabei „Wir sind das Volk“ skandiert, um von ihrem „Gott gegebenen Recht Gebrauch zu machen, ihre Frauen zu beschützen“.
Daher an alle „Ich hab ja nichts gegen Migranten, aber…“ Leute. An die „Ist schon ne andere, frauenverachtende Kultur“ Menschen und die ganzen „Islamkritiker*innen“, die „schon aus Prinzip“ nicht wissen, was die 5 Säulen des Islam sind und worin der Unterschied zwischen Sunna und Schia besteht. Und ganz besonders an diejenigen, die sich sonst einen Dreck um die Opfer sexualisierter Gewalt und die gesellschaftlichen Vorbedingungen, die diese begünstigen, scheren und jetzt finden, auf dem Rücken genau dieser Opfer könnte man doch ein bisschen Stimmung machen und für „ordentliche Verhältnisse“ sorgen.

Das habt ihr jetzt davon.