Die Lidl-Akte

 

15. April 2014: In den amerikanischen Medien wird eine Studie der Marquette University diskutiert, die aufdeckt, dass Mädchen es als „normal“ bezeichnen, dass sexuelle Übergriffe geschehen. Zu selten stünden Mädchen sich dabei gegenseitig bei. Damit müsse man leben, sei ihr Fazit, so seien Jungen nun mal. Außerdem gelte man schnell als „Schlampe“, wenn man sich über Übergriffe beschwere: Man sollte lieber nicht so ein Fass aufmachen.

16. April 2014: Shitstorm auf die deutsche Facebook-Seite von Lidl: Ein Bierfass wird zur Grillsaison beworben, auf der eine halbnackte Frau – ohne Kopf – zu sehen ist, über der die Worte prangen: „Fass mich an!“ Stern.de berichtet und rügt Lidl öffentlich, Pinkstinks ruft im Pinkwatch zum Shitstorm auf.

Später am Tag entschuldigt sich Lidl auf der Facebook-Seite: Sie hätten niemanden verletzen wollen. Die Werbung verschwindet von der Homepage (und damit auch die Möglichkeit, sich beim Werberat zu beschweren), die Fässer bleiben aber auf dem Weg in den Handel.

17. April 2014: Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung: „Der Feind im Freund“. Nach einer aktuellen deutschen Studie gibt es heute mehr Vergewaltigungsanzeigen als vor zwanzig Jahren, aber deutlich weniger Verurteilungen. Gerade in den letzten zehn Jahren wären immer weniger Vergewaltigungen zur Anklage gekommen. Die Gründe seien hauptsächlich die Scham der Opfer / Überlebenden, anzuzeigen, und eine Rechtslage, die Formen der Ablehnung der sexuellen Handlung zu eng definiert.

Stern.de hakt nach: Die Fässer bleiben wirklich im Handel? Lidl sitzt den Shitstorm aus, männliche Facebook-User bekunden ihre Solidarität zu Lidl – die Anzeige sei „klasse“.

Heute ist Dienstag, der 22. April. Die Fässer werden im Handel angekommen sein. In einem Land, in dem wir seit zehn Jahren gleichbleibend hohe Zahlen von sexualisierter Gewalt haben, die einfach nicht sinken. In Gegenden, in denen nur 8 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen strafrechtlich verfolgt werden: Weil sich Mädchen und Frauen nicht trauen, ein Fass aufzumachen.

Ein Frauenbild in Warenwelt und Medien, das stets verfügbar wirkt, ist diskriminierend. Und Diskriminierung ist die Basis von Gewalt. Ich hoffe, dass heute viel Käufer*innen diese Fässer nehmen und sie aufmachen. Mitten im Lidl.

Wenn ihr aber verständlicherweise das unschuldige Verkaufspersonal schonen wollt, ist hier weiter die Lidl-Facebookseite: Die freuen sich bestimmt weiter zu hören, was ihr denkt. Jessica hat inzwischen hoffentlich Urlaub genommen.