„Frauen – ne?! Also die sind ja so und man fasst es überhaupt nicht und können die überhaupt kommen?“ Nicht nur in den sozialen Netzwerken machen heterosexuelle cis Männer immer wieder reichlich bizarre Aussagen über die Sexualität von Frauen, die dann doch immer mehr Aussagen über ihre eigene Sexualität sind. Nur fällt es da eben besonders auf.
Wenn man also behauptet, man haben mit „dutzenden über dutzenden Frauen“ Sex gehabt und nicht eine wäre dabei gekommen, weil es angeblich biologisch unmöglich sei, dass Frauen einen Orgasmus erreichen, sollte man damit rechnen, dass das Internet entsprechend reagiert.
Immerhin befinden wir uns im 21. Jahrhundert und der Kenntnisstand über die weibliche Sexualität hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht. Eigentlich wäre das alles also ziemlich witzig. Wenn es in der Realität nicht eine Orgasmuslücke zwischen heterosexuellen Männern und Frauen gäbe. Die orgasm gap liegt immerhin bei nicht unbeträchtlichen 30%.
Und um diese eklatante Lücke irgendwie zu rechtfertigen, wird immer wieder gerne behauptet, die Sexualität von Frauen sei irgendwie komplizierter als die von Männern. Anstrengender, überhaupt nicht auf Orgasmen angelegt oder gar irgendwie krankhaft, so dass Höhepunkte überhaupt nicht möglich seien. Es muss also an der Frau liegen, dass sie nicht kommt. Und nicht etwa an einem patriarchal-sexistischen System, das Männer dazu ermutigt, die Sexualität von Frauen zum einen nicht ganz ernst und für voll zu nehmen, und sich andererseits einzureden, dass sie damit überhaupt nichts zu tun haben. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch, beziehungsweise im Bett: Wenn Frauen beim Masturbieren deutlich häufiger Orgasmen haben als beim Sex mit ihrem Partner,
dann müsste es doch eigentlich möglich sein, den gemeinsamen Sex in Richtung dieser Zahl zu verbessern. Nur interessiert man(n) sich leider kaum dafür. Eine unzureichende, stereotype Sexualaufklärung, die penetrativen Sex in den Vordergrund stellt und die Vagina mit der Vulva verwechselt, tut ihr Übriges. Viel zu häufig geht es darum, ein lustvolles sexuelles Miteinander als nicht eigentlich zum Sex gehörig zu definieren, als „Vorspiel“ oder „kein richtiger Sex“, weil wir darauf getrimmt wurden, Sex erst dann als Sex zu werten, „wenn der Penis die Bühne betritt“, wie es die Sexualpsychologin Laura Mintz formuliert.
Die Klitoris wird nach wie vor vernachlässigt. Der Penis gilt immer noch zu häufig als Maßstab aller sexuellen Dinge, die Penetration als der sexuelle Akt an sich und Männer als diejenigen, die immer und schneller kommen. Das ist jedoch nicht nur in Bezug auf den orgasm gap und die Unterrepräsentation weiblicher Bedürfnisse beim heterosexuellen Sex problematisch, sondern auch mit Blick darauf, wie Männer zu sein und zu performen haben. Wo Sex jenseits der Penetration nicht als Sex oder maximal als schlechter Sex wahrgenommen wird, gilt guter, befriedigender, erfüllender Sex ohne Erektion als nicht machbar, obwohl er sehr wohl möglich ist. Das setzt auch Männer unter Druck und schränkt sie in ihrem sexuellen Erleben ein.
Eigentlich wäre die Orgasmuslücke leicht zu schließen, wenn wir aufhören würden, Frauen darauf festzunageln, bei penetrativem Sex kommen zu müssen oder andernfalls dazu nicht in der Lage zu sein. Wir müssten anders aufklären, erziehen und benennen. Andere Pornografie konsumieren. Und letztlich auch Wissenschaft mit einem höheren Anspruch betreiben. Penetration als heiliger Gral der Sexualität gehört gründlich entmystifiziert und ein für alle Mal vom Sockel gestoßen: Kann man machen. Muss man aber nicht. Es gibt unglaublich viele sexuelle Dinge, die man davor, danach oder auch stattdessen machen kann. Und nicht wenige sind deutlich besser geeignet, um einer Frau einen Orgasmus zu verschaffen.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.
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