Die Shitstormfabrik

 

In der letzten Woche, bevor Pinkstinks in die Sommerferien geht, wollen wir die Gelegenheit nutzen, um ein bisschen auf die vergangenen Monate zurückzuschauen und über ein Thema zu sprechen, dass nicht nur uns sehr bschäftigt. Vielleicht habt ihr es ja mitbekommen: Der Kabarettist Dieter Nuhr hat für die FAZ einen Artikel geschrieben, in dem er anhand eigener Erfahrungen seinen Eindruck schildert, die digitale Gesellschaft sei auf dem Weg zurück ins Mittelalter – wenn sie sich da nicht bereits befindet. Was Nuhr damit meint, sind die angeblich unzähligen Internetpranger und die geradezu hämische Lust am Shitstorm. Den hat Nuhr nämlich diverse Male am eigenen Leib erfahren. Und abgesehen davon, dass er einige durchaus interessante Beobachtungen darlegt, liegt er mit vielen seiner Anmerkungen daneben. Warum das für uns von Belang ist? Weil wir zum einen (unter anderem) im Internet Protest organisieren und uns zum anderen immer dann, wenn wir damit erfolgreich sind, Vorwürfe darüber anhören müssen, wir würden mit den sprichwörtlichen Mistgabeln und den brennenden Fackeln durch die sozialen Medien ziehen, um unschuldige (Werbe)firmen an den Pranger zu stellen. Uns liegt also etwas an Differenzierung. Daran, dass es etwas zwischen wüsten Beleidigungen/Gewaltandrohungen (gegen die sich Dieter Nuhr völlig zurecht wendet) und dem absoluten Stillschweigen in vorauseilendem Gehorsam gibt.

In letzter Zeit ist uns dieses „Dazwischen“einige Male gelungen. Wir haben uns mit SinnLeffers auseinandergesetzt und uns mit den Verantwortlichen einer Werbung für ein Münchener Weinlokal gestritten. Wir haben gegenüber der Zeitschrift Bravo mehrfach angemahnt, dass sie mehr Sorgfalt auf eine geschlechtergerechte, nicht klischeebehaftete Ansprache von Jugendlichen verwenden soll, und Spreadshirt darauf hingewiesen, dass ihre Prüfung von T-Shirt Motiven nicht bei Pegidaliebesbekundungen halt machen sollte. Man kann also mit einiger Berechtigung sagen, dass wir und befreundete Aktivist*innen in den genannten Fällen unseren Einfluß genutzt haben, um Stimmung gegen Kampagnen, Produkte und Zeitschriften zu machen. Ist Pinkstinks also eine Shitstormfabrik, die das Empörungspotential von Internetnutzer*innen mal hierhin und mal dahin lenkt?

Nein, sind wir nicht – und zwar aus mehreren Gründen, die Dieter Nuhr zu übersehen scheint wie Hannah Beitzer in einem klugen Artikel für die Süddeutsche festgestellt hat. Da ist zunächst die Machtfrage. Dieter Nuhr, der Mann der den Ausspruch „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“ geprägt hat und von sich weiß, dass er nicht „der König des Internets“ ist, übersieht die Machtfrage. Übergeht die Tatsache, dass nicht alle mit einem Gastbeitrag in der FAZ gelesen werden und sich vor großem Publikum über „die Masse da draußen“ beschweren können. Zudem wird der Begriff Shitstorm inzwischen fälschlich für eine ganze Bandbreite an Negativreaktionen gebraucht. Hannah Beitzer dazu:

Vielleicht wäre es ein erster Schritt, den lästigen Begriff „Shitstorm“ endlich sein zu lassen und die Bestandteile bei ihrem Namen zu nennen: (scharfe) Kritik ist (scharfe) Kritik, Beleidigungen sind Beleidigungen, Drohungen sind Drohungen, Hass ist Hass und eine Debatte ist eine Debatte. Hoffentlich. Irgendwann einmal.

Diese Differenzierung ist ungemein wichtig, gerade für Aktivist*innen, die schier darüber verzweifeln, dass sie tagtäglich Beleidigungen, Drohungen und Hass ausgesetzt sind, und das mit dem gleichen Begriff benannt wird wie die Mittel, derer sie sich mit ihrem Aktivismus bedienen: (Scharfe) Kritik und Debattenengagement. Das sind aber verschiedene Dinge. Meinung zu kritisieren, Produkte und Werbemaßnahmen als sexistisch zu markieren, Gegenvorschläge zu machen und Klarstellungen zu verlangen, ist nicht das gleiche wie jemandem die Intelligenz abzusprechen, ungefragt seine/ihre Sexualität zu kommentieren und ganz allgemein zu drohen.

In Bezug auf Dieter Nuhr heißt das: Teilweise diskreditiert er zumutbare Kritik als unzumutbares Verhalten, ohne dabei zu hinterfragen, wie er eigentlich mit Kritik umgeht. Laut Nuhr wird der Andersmeinende (in diesem Fall er selbst) wie im Mittelalter mit dem Begriff „wahnsinnig“ stigmatisiert und für argumentativ unzurechnungsfähig erklärt. Zugleich benutzt Nuhr zur Stigmatisierung der Gegenseite einmal den Begriff „irre“, einmal „Irrsinn“, zweimal „irrsinnig“. Könnte da wohl ein Zusammenhang bestehen?

In Bezug auf uns heißt das: Auch nach der Sommerpause sind wir neben anderen Projekten und Kampagnen wieder mit (scharfer) Kritik und Debatten am Start. Ohne Beleidigungen, Drohungen und Hass. Falls wir uns doch mal im Ton vergreifen, entschuldigen wir uns und versuchen es besser zu machen. Und wir bemühen uns weiterhin nach Kräften, offen für Kritik zu sein. Kritik ist und bleibt keine Einbahnstraße.

Nils Pickert