Dieser gezielte Hass gegen mächtige Frauen

TW: In diesem Text zitierten wir Beleidigungen, Androhung von sexualisierter Gewalt und sexualisierte Gewalt an Minderjährigen

Man stelle sich vor, Politikerinnen könnten einfach so ihre Arbeit machen. Ohne auf ihr Äußeres reduziert und permanent abgewertet zu werden, ohne tagtägliche Androhungen von Vergewaltigung und Mord. Was wäre das für eine Welt? Wie würde politische Berichterstattung ohne Formulierungen wie „Kohls Mädchen“ aussehen? Wie würde der Sieg von Renate Künast vor dem Bundesverfassungsgericht im Berliner Tagesspiegel wohl kommentiert werden, wenn zu den Grundfesten unserer Gesellschaft nicht ein zutiefst frauenverachtender Sexismus gehören würde? Leider wissen wir es nicht. Was wir wissen ist, dass es offenbar „schwerfällt, Renate Künast für ihren Aktivismus zu feiern“, weil man „Abscheu auch ausdrücken können muss“ und „es so wirken kann, als wolle sie Kritiker mundtot machen“.

Nun ist selbstverständlich niemand gezwungen, Renate Künast für irgendetwas zu feiern. Aber die Tatsache, dass Beleidigungen wie „Stück Scheiße, „Schlampe“, Drecksau“ und „Drecksf*tze“ einmal mehr dazu herangezogen werden, um vor der Verunmöglichung berechtigter Kritik zu warnen, ist für den internalisierten Frauenhass dieser Gesellschaft mehr als bezeichnend. Abscheu muss man nicht in Formulierungen wie der ausdrücken, dass eine Frau „als Kind wohl ein wenig viel gef*ckt“ worden wäre. Es sollte sogar ausdrücklich verboten sein. Genau aus diesem Grund ist das Bundesverfassungsgericht von den vorinstanzlichen Einschätzungen dieser widerlichen Beleidigungen als „zulässige Meinungsäußerungen“ abgerückt. Denn das sind sie nicht. Auch dann nicht, wenn es sich um eine öffentliche Person in einer öffentlichen Debatte handelt. Gerade diejenigen, die den Raum für mögliche und notwendige Kritik so weit und offen wie möglich halten wollen, sollten ein Interesse daran haben, dass frauenverachtende Beleidigungen, Herabsetzungen und Bedrohungen nicht mit Kritik gleichgesetzt werden.

Wer also beispielsweise die Politik von Annalena Baerbock kritisieren will, sollte nicht nur darauf verzichten, gefälschte Nacktfotos von ihr in Umlauf zu bringen, sondern sich sehr deutlich und konkret gegen derlei übergriffige Form von Frauenverachtung aussprechen. Und wer ein Problem mit der Tatsache hat, dass Ricarda Lang Co-Vorsitzende der Grünen ist, hat das an anderen Dingen festzumachen als an ihrer äußeren Erscheinung und ihrem Gewicht. Und nein: Derlei misogyne Übergriffe betreffen nicht nur Frauen bei den Grünen.

Aber in Parteien mit progressiveren Frauenbildern, in denen Frauen schon länger Teil politischer Machterwägungen sind, werden sie häufiger zur Zielscheibe von Abwertung, Verachtung und Gewaltphantasien. Das ist unzulässig, widerlich und verdient weder Verständnis noch Schutz. Das darf niemals der Preis dafür sein, dass frau in die Politik geht, gestalten will, Macht hat. Und es sollte niemals nur mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen werden. So geht es nicht weiter.

Wenn nicht endlich über Partei- und Lagergrenzen hinweg ein Konsens gefunden wird, dass so etwas nicht zu tolerieren ist, dann werden wir niemals herausfinden, wie es ist, wenn Politikerinnen einfach nur ihren Job machen. Gut oder schlecht. Informiert oder desinteressiert. Erfolgreich oder nicht. Frauenverachtung sollte keine Option sein dürfen. Sexismus keine tolerierte Vorgehensweise. Und verbale Erniedrigung, die viel zu oft mit Gewaltandrohungen garniert wird, keine „zulässige Meinungsäußerung“. Renate Künast hat sich all das nicht bieten lassen und Recht bekommen. Auch die SPD-Politikerin Sawsan Chebli erstritt vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen sexistische „Berichterstattung“ und 10.000 Euro Schmerzensgeld. 2020 war sie erfolgreich juristisch gegen den rechtskonservativen Publizisten Roland Tichy vorgegangen, …

… der sich mittlerweile „über sich selbst ärgert“ und künftig „im Ton mäßigen will“. Dieser Einsicht hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass sich Politiker*innen über Parteigrenzen hinweg mit Chebli solidarisierten. So verließ die damalige Staatsministerin Dorothee Bär aus Protest die Ludwig-Ehrhard -Stiftung, deren Vorsitzender zu diesem Zeitpunkt Roland Tichy war. Auch im journalistischen Bereich reagierte man. Der DJV bezeichnete den verbalen sexuellen Übergriff als das, was er war: Eine Schande für den Journalismus. Auch wenn es schwerfällt und nicht notwendig sein sollte: Vernetzung hilft. Sich Verbündete suchen wirkt. Niemand muss sich derartige Übergriffe bieten lassen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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