Vor Kurzem ist mein elfjähriger Sohn mit mir um zwei Seen gewandert. Einfach so. Über 8 Kilometer. Da hat der eigentlich nie Lust zu. Und während wir da so gingen und über vegetarische Lasagne und Fortnite sprachen, fiel mir wieder dieses Video ein, in dem zwei nackte Menschen aus der Pornobranche, Sue und Derek, bei einer Mutter klingeln und nach deren Sohn Matt fragen. Matt wollte nämlich gerade den beiden online beim Sex zugucken. Weil Matt aber noch sehr jung ist, wollten sie ihm lieber mitteilen, dass das, was in den Filmen passiert, nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Das Video ist lustig und hat trotzdem eine ernste, wichtige Botschaft: Eltern sollten Kinder nicht allein damit lassen, dass sie durch das Internet immer früher und mit immer krasserem Sex konfrontiert werden. Dass das schnell geht und auch unfreiwillig passieren kann, habe ich gerade erst wieder selbst gemerkt, als ich nach dem oben erwähnten Video gesucht habe. Mit kindlicher Naivität tippte ich „New Zealand“, „Sex“ und „Video“ ins Suchfeld, und noch während ich die Enter-Taste drückte, schwante mir, dass die Ergebnisse mir nochmal sehr deutlich zeigen werden, warum das neuseeländische Department of Internal Affairs dieses Video in Auftrag gaben.
Während ich in meiner Kindheit allerhöchstens Zugang zu Filmen hatte, in denen so aus der Lederhose gegrüßt wurde, dass kein Penis zu sehen war oder Frauen mit nackten Brüsten Obstnamen sangen, können die Kinder heutzutage absichtlich oder unfreiwillig innerhalb von Sekunden harten Sex finden. Schnell und/oder plötzlich mit Sexbildern konfrontiert zu werden, kann meinen Kindern auch passieren, obwohl ich alle Geräte, die sie nutzen, speziell geschützt habe. Aber erstens ist von uns beiden inzwischen mein Sohn derjenige, der mir Handyfunktionen erklärt und zweitens gibt es auch immer andere Kinder, deren technischen Geräte nicht geschützt sind und die Sex und/oder Gewalt-Bilder zeigen und/oder rumschicken.
Ich kann das nicht vermeiden, und ich kann das nicht unkommentiert lassen. Meine Kinder sollen keinesfalls diese harte Pornografie sehen und denken, das gehört so. Und weil das Verständnis dafür selbst Erwachsenen abgeht, habe ich auf der besagten Wanderung mit meinem elfjährigen Sohn ausführlich über Sex geredet. Ich weiss gar nicht, ob erstaunlicher war, dass wir wanderten oder dass er sich nicht die Ohren zugehalten und laut gesungen hat, als ich fragte, ob er schon mal Sexbilder oder -filme gesehen hat. Wir sprachen über Pornografie und ich erzählte ihm, was Derek und Sue im Film gesagt haben, und dass ich das genau so sehe. Dass es eben im echten Leben absolut nicht darum geht, stumpf (und häufig frauenverachtend) das nachzumachen, was in Pornos passiert, sondern darum, dass Menschen, die sich mögen und/oder toll finden, gemeinsam herausfinden, was ihnen gefällt, was wiederum alles Mögliche sein kann. Und dass, während er dann mit allem möglichen Menschen alles mögliche macht, nicht wichtig ist, was da gemacht wird, sondern nur, dass alle Beteiligten gegenseitig auf sich achten und Neins respektieren. Und dass er mich alles fragen kann, was er will.
Genausowenig, wie ich meine Kinder zum Wandern zwingen kann, kann ich meinen elfjährigen Sohn hundertprozentig von Pornografie fernhalten. Da bereite ich ihn lieber vor und ergänze in Gesprächen, was ich für lebenswichtig halte. Als er in der vierten Klasse Sexualkunde hatte, zum Beispiel, da habe ich mit ihm über einiges gesprochen, das der Lehrplan vergessen hatte. Da hatten die Männer immer fröhliche Erektionen, die zum Geschlechtsverkehr nötig waren, aber weibliche Lust kam nicht einmal vor. Also erzählte ich, dass es beim Sex eben nicht nur ums Kindermachen geht, sondern darum, dass alle Beteiligten (die auch in anderen Konstellationen als Mann und Frau zusammenfinden können) schöne Gefühle haben und mit dem, was gemacht wird, einverstanden sind. Wir guckten uns anatomische Modelle an, sprachen über die Klitoris, Homo-, Inter- und Transsexualität und über Menstruationsprodukte. Das macht aus meinem Kind, wie manche befürchten, übrigens kein frühsexualisiertes Monster, sondern einen aufgeschlossenen Menschen, der sich einen Scheiss für Sex interessiert, aber ganz selbstverständlich in der vierten Klasse meine Menstruationstasse mit in den Unterricht nimmt und der Lehrerin erklärt, wie sie funktioniert. Der mit einem Mädchen online Fortnite spielt und nicht mal auf die Idee kommt, sich zu fragen, ob mit Mädchen spielen cool ist, oder ob Fortnite denn was für Mädchen ist. Er weiss nämlich, dass alles für alle ist, und dass es nicht darum geht, wer was wie mit wem macht, sondern dass es grundsätzlich mit Respekt und Konsens passiert. Das gilt fürs Wandern, für Sex und für das ganze restliche Leben auch.
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