Elternschaft ist eine zutiefst private Beziehung, die sich vor den Augen der Öffentlichkeit abspielt. Elternschaft wird bewertet, hinterfragt, kommentiert, abgewertet, glorifiziert und vor allem bis in die letzte Pore kapitalisiert. Das war schon vor 20 Jahren bei der Geburt meines ersten Kindes so. Gerade als frisch gebackenes Elternteil ist man anfällig für jede Kritik und jede Versprechung. Auf dem Rücken schlafen lassen, nicht auf dem Rücken schlafen lassen? Tragen oder schieben? Wie lange stillen, ab wann zufüttern? Ich hatte schnell das Gefühl, dass eine ganze Industrie sehr viel Geld mit dem Eindruck verdient, dass man es mit Eltern ja machen kann. Höhepunkt der »Lass mal aus verunsicherten Eltern Kapital schlagen«-Industrie waren für mich Babyüberwachungsmatten. Gerätschaften also, die eigentlich in Krankenhäusern eingesetzt werden, um die Vitalfunktionen von Babys zu überwachen, aber mittlerweile mittels Angstmacherei an Eltern von Babys ohne Gesundheitsbeschwerden verhökert werden – inklusive Fehlalarme, die unfassbare Panik schüren.
Das Druckmittel der »schlechten Mutter«
Inzwischen vergrößern soziale Netzwerke das Problem noch. Das Beeltern von Kindern wird in Hochgeschwindigkeit verdinglicht und Trends unterworfen. Fast immer schwingt dabei eine unterschwellige Drohung mit. Es geht weniger darum, wie bereichernd, erleichternd und ziemlich super dies oder das wäre, sondern mehr darum, wie schlimm es ist, wenn du dies oder das nicht tust, nicht kaufst, nicht bereist. Gerade als Frau. Die Figur der »schlechten Mutter« ist im patriarchalen Kapitalismus eine der wirkmächtigsten Mittel, um Frauen habhaft zu werden, sie zu manipulieren und zu vereinnahmen. Dafür muss man heutzutage nicht mal mehr Sprüche wie »Frauen gehören an den Herd« klopfen.
Zum Weiterlesen
- Bücher für Erwachsene zu Elternschaft & Pädagogik findet ihr in unseren »Bücherempfehlungen«.
- Gleichberechtigt Eltern sein? Wo stehen wir und wie kann das gehen? Antworten aus der »Schule gegen Sexismus«.
Stattdessen werden Tradwives durch den Instafeed gespült, die normschön in makellosen Leinenkleidern blendend weiß ästhetische Hausarbeit performen, bis man sich unweigerlich fragt, was man eigentlich falsch gemacht hat.
Dabei ist die Frage, warum man nicht in der Lage ist, zwei Stunden lang Cupcakes mundzuklöppeln, oft einfach zu beantworten. Zum Beispiel wenn man in der Nacht zuvor das Zimmer schlaftrunken von Speisebröcken befreien musste, weil das kranke Kind pflichtbewusst nicht auf die Matratze gekotzt, sondern vom Hochbett aus den kompletten Raum beregnet hat.
Zwischen Anspruch und Erschöpfung
Also beginnt man sich schon allein aus Selbsterhaltungsgründen gegen Vorschläge und Kritik zu immunisieren. Anders lässt sich das alles auch überhaupt nicht aushalten. Aus dem Strom an ungerechtfertigter, übergriffiger Kritik die Dinge herauszufiltern, die berechtigt und wichtig sind, scheint unmöglich und nur noch eine Aufgabe mehr auf der nicht enden wollenden To-do-Liste zu sein. Mir jedenfalls geht es so. Das Problem daran ist, dass man darin erstarrt. Denn in allem, was man sich vorgenommen hat, wird man zwangsläufig auch scheitern: geschlechtergerechte Erziehung, gleichberechtigte Beziehung, Aufteilung von Care-Arbeit, Bindungsorientierung – all diese Themen sind zwangsläufig Teil eines Disziplinierungsprozesses, bei dem Aufmerksamkeit, Wille und Kraft in unschöner Regelmäßigkeit nachlassen werden. Sie sind mit einem hohen Aufwand verbunden, weil sie gegen das System gerichtet sind. In einem sexistischen System antisexistisch zu sein, ist immer mit Anstrengung verbunden. Gegen die Schwerkraft einer normativen Masse anzuarbeiten ist ermüdend und auslaugend.
Sich in die konstruierte Normalität fallen zu lassen, wirkt hingegen unglaublich einladend und naheliegend. Einfach mal nicht die Person sein, die sich über den Elternbrief beschwert, in dem wieder einmal nach »zwei starken Vätern« gefragt wird, die beim Tragen helfen können. Nicht die Person sein, die anmerkt, stört, aneckt, einfordert und kritisiert. Nicht die Person, die an Beziehung und Erziehung arbeitet, weil sie sich wie in meinem Fall zwar viel Care-Arbeit leistet, aber sich dabei »aus Versehen« Tätigkeiten gesucht hat, für die es viel Applaus gibt (Kochen, nicht Spülen.) Oder die »rein zufällig« ihre Töchter immer zum Mitkochen einlädt und mit ihre Jungs vor dem Essen draußen schnell noch kicken geht. Huch! Die Immunisierung gegen jede, auch die eigene Kritik, führt leider dazu, Dinge zu übersehen, die man angehen sollte. Also was tun?
Auf einen Blick
7 Strategien gegen das Zurückrutschen
- Vernetzung hilft. Beziehungen führen, denen man so vertraut, dass mein Gegenüber mich hart kritisieren kann – gerade auch bei Dingen, die mir zutiefst unangenehm sind. Wenn mein Kind in der Schule ständig andere Kinder herabsetzt, muss es Menschen geben, denen ich gestatte, mich ins Hinterfragen und Handeln zu bringen. Ob es in einem privaten Gespräch ist, in einem Buch, einem Reel oder einem Newsletter.
- Den Prozess der Desillusionierung aufwerten. Der ist zwar sehr schmerzhaft, aber am Ende hat man sich buchstäblich seiner Illusionen entledigt. Zum Beispiel der Illusion, dass Liebe genug ist und sich Gleichberechtigung schon irgendwie von selbst ergeben wird, wenn man sich nur genug mag.
- Verzeihen – sich und anderen. Gerade Menschen mit hoher sozialer Verantwortung und einem unbeirrbaren Störgefühl bei Ungerechtigkeiten aller Art gehen oft sehr unverzeihlich und hart mit sich um.
- Realismus. Es gibt keine elterliche Ansprache, kein Meme, keinen Beitrag, keine Aktion, mit der alles besser wird. Es gibt kleine Schritte. Wenn es gut läuft, in die richtige Richtung. Unsere Handlungen kartographieren nicht das Ziel der Gleichberechtigung, sondern unseren Weg dorthin.
- Allyship. Andere Eltern machen es anders. Queere Eltern stehen vor anderen Problemen als Eltern, die mit dem normativen Bild von Familie identifiziert werden. Alleinerziehende kämpfen andere Kämpfe als Eltern, die im Team agieren. Kein Grund, diese und andere Konstellationen abzuwerten – im Gegenteil: Patriarchat funktioniert auch und vor allem über das »Teile und herrsche!« Prinzip, mit dem Menschen immer wieder aufgefordert werden, andere auszugrenzen, statt sich mit ihnen zu verbünden. Verbünden ist besser. Verbünden ist gefährlicher. Verbünden ist Revolution.
- Lernen. Viele von uns haben in Bildungseinrichtungen gesessen, die Lernen zu einer unangenehmen Erfahrung deformiert haben. Mit Leistungsdruck, Bewertungszwang, Übergriffigkeiten und problematischen Lerninhalten. Dabei ist Lernen großartig. In deinem Tempo, mit deinen Mitteln.
- Und am Ende immer auch: Humor. Ja gut, manchmal bin ich ein prätentiöser Hampelmann, der sich selbst zu wichtig nimmt und Sachen wie prätentiös schreibt. Ich hätte über das kotzeberegnete Kinderzimmer heulen können. Lachen war dann aber doch besser.
Disclaimer
Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive »weiblich« und »männlich«. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.
Der Beitrag erzählt aus hetero Elternsicht – aber das ist natürlich nur ein Teil der Realität. Queere Familien, Alleinerziehende, Co-Parenting-Konstellationen und viele weitere Familienformen werden in unserem System noch immer ignoriert und benachteiligt. Damit sich das endlich ändert, braucht es ein solidarisches Mitdenken – also Allyship. Heißt: Nicht wegsehen, sondern mitdenken, zuhören, unterstützen.