Fairness braucht mehr als Betroffenheit

Das sind doch mal gute Nachrichten für die Gleichberechtigung von Homosexuellen: In Finnland wurde die Ehe für alle durchgesetzt, die SPD will daraus nicht nur ein Thema für den Bundeswahlkampf machen, sondern die Sache noch in dieser Wahlperiode angehen und Jens Spahn, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des CDU Präsidiums, spricht sich auch dafür aus und bezeichnet seine eigene Partei in diesem Zusammenhang als „auf eine falsche Art konservativ„.  Da hat der Mann zweifellos Recht. Es ist für die Befürworter*innen der Ehe für Alle eine gute Sache, dass ihr Anliegen innerhalb der CDU/CSU – die einzige im Bundestag vertretende Partei, die sich gegen die vollständige Gleichstellung sperrt – einen Fürsprecher hat. Je früher die ungerechte Behandlung von Schwulen und Lesben aufgehoben wird, desto besser. Je früher man diesem unwürdige Schauspiel, dass sich die Politik über Jahre vom Bundesverfassungsgericht vor sich her treiben lässt, ein Ende bereitet, desto besser für die Demokratie. Es reicht nämlich. Die Ehe für alle und die damit verbundene vollständige rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen ist längst überfällig.

Und trotzdem kann ich mich über die Unterstützung von Jens Spahn nur bedingt freuen. Denn so sehr ich es richtig und wichtig finde, dass er sich für die Ehe für Alle einsetzt, weil er als schwuler Mann von der Thematik selbst betroffen ist, und so sehr ich ihm und seinem Partner die Möglichkeit gönne, Kinder zu adoptieren, so sehr irritiert es mich, wenn sich der Wunsch nach Gerechtigkeit und Fairness in Betroffenheit erschöpft. Dass Spahn konservative Positionen besetzt, die meinen konträr gegenüberstehen, ist sein gutes Recht. Für irgendwas in dieser Richtung wird er ja schließlich mal in die CDU eingetreten sein. Dass er aber blind für so viele andere „falsch konservative Arten“ ist, von denen er eben nicht betroffen ist, macht das Anliegen Ehe für Alle kleiner als es ist. So ist Spahn unter anderem blind für die Reproduktionsrechte von Frauen.

Nein, das muss man nicht immer wieder sagen. Stattdessen müsste man es mit Fairness gegenüber Frauen versuchen, die ungewollt schwanger sind und auf die schnellstmögliche Anwendung einer Notfallmedizin angewiesen sind. Und zuhören wäre auch super.

Man muss auch nicht gegen Abtreibung sein oder als gelernter Bankkaufmann wegen der bösen, bösen Linken um „die Grundlage unseres Wohlstands“ fürchten. Oder die doppelte Staatsbürgerschaft irgendwann auch mal doof finden dürfen wollen.

Oder oder oder. Noch einmal: Selbstverständlich hat Jens Spahn jedes Recht, solche Ansichten zu vertreten. Betroffenheit ist ein legitimer und zumeist starker Grund, politisch aktiv zu werden. Und es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die SPD in puncto Ehe für Alle auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Nichtbetroffenheit sollte einem aber nicht als Ausrede dafür dienen, Menschen ihre Rechte zu verweigern. Probleme sind eben nicht nur dann real, wenn sie einen persönlich betreffen.

Erich Kästner hat mal gesagt, dass man zwar auf seinem Standpunkt stehen kann, aber nicht drauf sitzen sollte. In diesem Sinne wäre es großartig, wenn Jens Spahn seine Parteifreund*innen dazu motivieren könnte, endlich den Arsch hochzubekommen. Das würde allerdings noch überzeugender wirken, wenn ihm das selbst in anderen Punkten auch gelingen würde.