Feminismus – eine Verteidigung Teil 2

„Ich bereite gerade einen Unterrichtsblock zum Thema Feminismus vor, den sich meine Klasse gewünscht hat. Leider kann ich den zweiten Teil der Feminismusverteidigung nicht finden. Gibt es dazu einen Link?“

Diese und viele andere ähnlich lautende Nachrichten haben uns erreicht seit ich mir im Sommer vergangenen Jahres ein paar Standardkritikpunkte am Feminismus vorgenommen hatte, um sie mit den entsprechenden Erwiderungen zu versehen. Versehen war das Ganze mit einem Versprechen auf Fortsetzung, weil noch viele Fragen offen waren. Aber wie das so ist: Bei Pinkstinks kommt nichts eins zum anderen, sondern 26 laufende Projekte zu 58 weiteren. Und deshalb gab es bislang auch keinen Link zum zweiten Teil. Denn der kommt hier. Fangen wir mit dem Kritikpunkt an, der in den vergangenen Monaten am nachdrücklichsten geäußert wurde und auch zuvor in der ein oder anderen Form kursierte.

Feminismus hasst Männer.

Diese Kritik wird gerne von Männern vorgebracht, die prinzipiell nichts gegen eine gleichberechtigte Gesellschaft haben und sich selbst als „gute Typen“ verstehen, vor denen Frauen nichts zu befürchten haben. So nachvollziehbar sie anhand überspitzter, pointierter Hashtags wie #menaretrash sein mag, so substanzlos ist sie im Kern. Mit Sicherheit gibt es Menschen innerhalb des feministischen Spektrums, die Männer aus welchen Gründen auch immer hassen. Aber die überwiegende Mehrheit hat Probleme mit spezifischen Aspekten von Männlichkeit, nicht mit Männer an sich. Und im weiteren Verlauf eben sehr wohl mit Männern, die Sexismus für Unfug halten, Feminismus für die Emanzenweltverschwörung und Privileg für ein Konstrukt, um andere zu diffamieren und sich selbst in den Vorteil zu setzen. An der Debatte um #menaretrash lässt sich das gut nachvollziehen. Die überspitzte Formulierung in einem satirischen Gedicht der Journalistin Sibel Schick, dass „Männer strukturell Arschlöcher sind“, verleitet zahllose Männer dazu, sich wie besagte Arschlöcher zu verhalten und Schick mit Beschimpfungen, Vergewaltigungen und Todesdrohungen einzudecken. Warum sind wir nicht darauf wütend?

Und selbst wenn man den Verweis auf die Satire weglässt, gibt es genug Gründe zuzuspitzen. Bei allem Verständnis für persönliche Wut und Betroffenheit darüber, als Müll bezeichnet zu werden. Bei all den nett gemeinten Aufrufen zu Mäßigung und den Hinweisen darauf, dass man damit nichts erreicht außer der Spaltung der Gesellschaft:

„Gute Typen“, das sind immer noch die, die sich mit einem Schild in die sozialen Netzwerke stellen, dass sie nicht wie Vergewaltiger aussehen, weil sie keine Lust auf den Kurs über Einvernehmlichkeit an der Uni haben.

Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, dass Vergewaltiger eben auch das sein können: Nette, harmlos aussehende Jungen von der Uni. Die können aussehen wie er. Aussehen wie ich oder jeder andere. Das ist ja Teil des Problems.
Das bedeutet weder, dass Feminismus einen Freifahrtschein hat alles und vor allem jeden zu beleidigen, noch dass Feminismus nur derart zugespitzt daherkommen sollte. Siehe Pinkstinks als eher gemäßigte feministische Organisation. Es bedeutet lediglich, dass man gegen sexistische, patriarchale Strukturen mit vielen Mitteln angehen muss. Auch mit kompromisslosen. Inwieweit die dann sinnvoll sind oder zu weit gehen, kann man gerne diskutieren.

Feminismus spaltet mit Identitätspolitik.

Tübingens Grüner Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich gerade über sie aufgeregt: Mit ihrer jüngsten Werbekampagne betreibe die Bahn Identitätspolitik. Das sei gar nicht „unsere Gesellschaft“, die da abgebildet wird.

Mit seiner Kritik ist er nicht allein. Die Autorin Thea Dorn spricht sich beispielsweise sehr deutlich dafür aus, dass Emanzipationsbemühungen auch zu weit gehen können und so die Gefahr besteht, dass die Mehrheitsgesellschaft irgendwann abblockt. Und der Journalist Jochen Bittner findet, dass Identität kein Argument sein sollte.
Sie alle haben in einem Punkt Recht: Feminismus, zumal intersektioneller Queerfeminismus, betreibt per se Identitätspolitik. Identitätspolitik, die anstrengend ist, zu weit gehen oder auch missbräuchlich verwendet werden kann. Aber sie alle lügen sich zugleich in die Tasche. Denn ausnahmslos alle betreiben Identitätspolitik. Politik ist immer auch Identitätspolitik. Und lange Zeit erschöpfte sie sich in der Identitätspolitik weißer Männer, die befanden, dass ihre Identität alles abdeckt und alle mitmeint. Identität wurde also schon immer zum Argument gemacht. Nur dass jetzt vermehrt identitätspolitische Gegenargumente angeführt werden. Identität war und wird immer ein gewichtiges Argument sein. Und genau jetzt geht es darum, dieses Argument besser und vielfältiger zu formulieren. Das ist weniger spalterisch als vielmehr die Antwort auf eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, die zu lange auf marginalisierte Gruppen herabgeblickt, sie diskriminiert oder ignoriert hat.

Feminismus ist nicht kritikfähig.

Die Hälfte dieses Kritikpunktes hat sich schon mit dem Vorwurf, Feminismus sei zerstritten, erledigt: Es gibt große Verwerfungslinien wie Prostitution, Kopftuchverbot und andere innerhalb des Feminismus, entlang derer sehr hart und gestritten und kritisiert wird. Was Kritik von außen anbelangt, ist Feminismus nicht besser oder schlechter als andere politische Ideen. Politischen Ideen hängt man zumeist aus Überzeugung an. Das bedingt, dass man in Debatten nicht leicht vom Gegenteil zu überzeugen ist. Sei es nun aufgrund des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments oder der eigenen Starrköpfigkeit. Darüber hinaus verwechseln viele Kritiker*innen Kritikfähigkeit mit Kritikübernahme. Als Autor beweise ich Kritikfähigkeit nicht dadurch, dass ich mich mit allen Einwänden gegen meine Formulierungen und Argumente gemein mache, sondern dadurch, dass ich sie erwäge und dann entscheide, sie umzusetzen oder zu verwerfen.

Feminismus ist humorlos.

Stimmt teilweise. Feminismus hat grundsätzlich ein Problem damit, wenn Menschen humoristisch nach unten treten und nicht nach oben. Wenn das Private politisch ist, dann ist es der Humor schon lange. Deshalb findet man Vergewaltigungswitze nicht witzig. Nicht weil die Oberbefehlshaberin der feministischen Weltverschwörung das so verfügt hat, sondern weil man die unfassbaren Ausmaße sexualisierter Gewalt irgendwann nicht mehr ignorieren kann. Also ja: Bei Vergewaltigungswitzen ist Feminismus „unentspannt“. Er hat aber trotzdem Humor. Wenn Margarete Stokowski einen Rant über den deutschen Spargelkult schreibt und ihn als den „alten weißen Mann der Kulinarik“ bezeichnet, mag man das witzig finden oder nicht.
Aber spätestens wenn Christian Lindner sich auf dem Parteitag der FDP über ihren Text aufregt und beklagt, dass Deutschland nicht „Spargelweltmeister“ ist und in der „Spargeltechnologie“ gegen China verliert, dann ist das urkomische Realsatire, weil der Mann rückwirkend eben jenen Spargelkult betreibt, der Spott auf sich gezogen hat.

Feminismus ist irrelevant.

Der letzte und zugleich langweiligste Kritikpunkt dieser Liste. Feminismus die Relevanz abzusprechen ist ziemlich irrelevant. Klar, vielen Menschen ist Feminismus vollkommen gleichgültig. Das sind dann aber eher nicht die, die ihm Irrelevanz unterstellen. Warum sollten sie mit derlei Unterstellungen ihre Zeit verschwenden? Feminismus ist irrelevant ist letztlich nur eine verbrämte Feminismus ist doof Version. Gerne von Leuten vorgebracht die „Ich kenne keine feministischen Texte weil Feminismus irrelevant ist.“ mit „Weil Feminismus irrelevant ist, kenne ich keine feministischen Texte.“ kombinieren. Außerdem schlägt sich Feminismus zumindest in den weltweiten Google Trends der letzten 12 Monate ganz gut. Nicht so gut wie Demokratie aber doch besser als Humanismus.

Feminismus ist und bleibt wie alle politischen Ideen kritikwürdig. Daran ändert auch dieser Text nichts, der sich noch um viele Punkte ergänzen ließe. Aber gerade für seine intersektionelle, inklusive und antirassistische Version lohnt sich eine Verteidigung allemal.

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