Geht Feminismus und Kapitalismus überhaupt zusammen? Werden Frauen in kapitalistischen Systemen nicht immer ausgebeutet?

Feminismus und Kapitalismus – geht das zusammen?

Seit der feministischen Welle, die mit den Studierendenprotesten der 1968er Jahre begann, ist eine wichtige Frage: Geht Feminismus und Kapitalismus überhaupt zusammen? Werden Frauen in kapitalistischen Systemen nicht immer ausgebeutet?

Wenn wir ins Jahr 2020 springen – mit den Theorien der 68er beschäftigen wir uns später – ist das eine spannende Frage. Wir leben seit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert im Kapitalismus. In diesem haben Menschen, vor allem in westlichen Industrienationen, insgesamt an Wohlstand gewonnen, Sterberaten (insbesondere beim Gebären) sind gesunken und Frauenrechte haben zugenommen. Seit 1977 haben verheiratete Frauen in Deutschland vollen Zugang zu Konten und Kapitalerwerb. Durch die generelle Steigerung an Wohlstand und Gesundheit wurde es mehr Menschen ermöglicht, Schulbildung und Studium wahrzunehmen, so dass der Bildungsgrad in Deutschland stark anstieg. Dies führte auch zur Forderung nach mehr Rechten und Teilhabe, insbesondere von und für Frauen. Immer mehr Frauen finden Zugang zu Führungsetagen von großen Unternehmen und in die Politik. Man könnte also meinen: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Aber auf diesem sind noch große Distanzen zu überwinden. Weiterhin arbeiten die meisten Frauen in Teilzeit und verdienen im Durchschnitt insgesamt deutlich weniger als Männer: Vor allem, weil die Tätigkeitsbereiche, die ihnen schon in der Kindheit nahegelegt werden (Soziales, Pflege, Dienstleistungen), weniger wertgeschätzt und entlohnt werden als traditionell männliche Berufe. Frauen sind nach wie vor eher von Altersarmut betroffen und die meisten Alleinerziehenden sind Frauen, was Überlastung und mangelnde Karrierechancen bedingt. Wenn ein heterosexuelles Paar zusammenlebt und Kinder hat, leistet die Frau bis zu 50% mehr Haushalts- und Care-Arbeit als der Mann. In den meisten systemrelevanten Berufen, in denen man direktem Menschenkontakt und somit gesundheitlicher Gefährdung ausgesetzt ist (Supermarktkassierer*innen, Pfleger*innen), arbeiten zu 80% Frauen, oft migrantisch.

Auch ist das Frauenbild, mit dem im Kapitalismus für Konsum geworben wird, oft darauf ausgelegt, Frauen zu ständiger Optimierung in Form von Attraktivität und Verschönerung zu bewegen. Im Spätkapitalismus, in dem wir leben, werden 80% der Waren und Dienstleistungen von Frauen konsumiert. Somit ist er vom Drang von Frauen, zu konsumieren, abhängig. Es herrscht in vielen männlich dominierten und geführten Unternehmen nach wie vor eine klare Vorstellung davon, wie diese zum Konsum bewegt werden sollen. Diese Vorstellung ist geformt von gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, in denen Männer Firmen leiten oder sonst wie Geld machen können, weil ihre Frauen die unbezahlte Care-Arbeit zu Hause übernehmen. Da sie ihrem Mann den Haushalt führen, können Frauen oft nur Teilzeit arbeiten. Sie bleiben somit von ihm und seinem Geld abhängig.  

Anstelle eines Bildes der Frau als „Macherin“ oder Chefin findet sich in der Wirtschaftswerbung eher das als Dekoration und Hilfe des wieder. Es kann durch seine Abwertung und Objektifizierung von Frauen auch sexistische und übergriffige Handlungen wie Gewalt gegen Frauen begünstigen. Insbesondere da unsere heutige Wirtschaftsform und ihre Werbung viel Druck auf Männer ausüben, als Hauptverdiener, „Macher“, als erfolgreicher und starker Mann die als eher zart und inkompetent gesehene Frau durch den Lebensdschungel zu leiten. Männer kompensieren ihre Überlastung öfter mit Gewalt als Frauen. Der TV-Zweiteiler „No More Boys and Girls“ von ZDFneo zeigte 2019, wie heutige Kinderwerbung Jungen und Mädchen in stereotypen Geschlechterrollen bestärkt, die beide in ihrer Einseitigkeit überfordern und zu psychischen Problemen führen können. 

Ein weiteres Problem unseres heutigen Kapitalismus‘, das sich auch auf die Gleichberechtigung auswirkt, ist die Zerstörung der Umwelt zugunsten des Wirtschaftswachstums. Denn auch im globalen Süden, der vom Klimawandel besonders betroffen ist, sind Frauen von Armut stärker betroffen als Männer. Weiterhin führt die geringe Wertschätzung von Care-Arbeit (reproduktiver Arbeit) gegenüber wirtschaftlichen Tätigkeiten (produktive Arbeit) zu einer Verschiebung: Selbst, wenn Frauen von Care-Arbeit „aufsteigen“ in den produzierenden Sektor, müssen sie zuhause Menschen einstellen, die diese übernehmen. Das sind meist migrantische, prekär arbeitende und gering verdienende Frauen. So verschiebt sich die Ungleichgewichtung von weißen Männern auf weiße Frauen, dann von weiße auf migrantische Frauen.

Verbesserung im Kapitalismus

Gleichzeitig kann gesellschaftlicher Protest durch die freie Marktwirtschaft auch Verbreitung finden. So hat seit den 1968er Jahren jede Jugendkultur Proteste hervorgebracht, die sich irgendwann auf T-Shirts von großen Firmenketten wiederfanden und somit auch ein kleines Stück Fortschritt bewegten – auch, wenn die Proteste damit als jederzeit an- oder abzulegende Ware verharmlost wurden. Von einem Eis-essenden, revolutionären Che Guevara auf T-Shirts in den 80er Jahren zum heutigen „Feminist“-Schriftzug auf H&M-Socken: Während „Feministin“ vor wenigen Jahren noch ein Schimpfwort war, kann man nach der durch prominenten Hollywood-Stars lancierten #MeToo-Debatte sich immerhin öffentlich so nennen. Feministische Debatten sind präsenter geworden.

Es gäbe also Möglichkeiten, die Kanäle des Kapitalismus zu nutzen, um Frauen zu ermächtigen und ihre Rechte einzufordern. Dabei müssten Wege gefunden werden, die Abhängigkeit des Kapitalismus von einem devoten Frauenbild zu stoppen, sowie die Ressourcenvernichtung und Umweltzerstörung durch ständiges Wachstum zu unterbinden. Das sind große Fragen für volks- und betriebswirtschaftliche Debatten, die über medial-gesellschaftlichen Druck vorangetrieben werden müssen.

Kann das gelingen? Oder müssen wir den Kapitalismus gleich ganz abschaffen?

Die Proteste der 1968er bezogen sich auf sozialistische Argumente, die unter anderem aus den Schriften von Friedrich Engels entwickelt wurden, dem engen Freund und Finanzier von Karl Marx. In „Der Ursprung der Familie, des Eigentums und des Staats” argumentiert Engels, dass Frauen in dem Moment, in dem Privateigentum vorliegt und angehäuft wird, Menschen zweiter Klasse werden. Denn männliche Besitzer wollen wissen, wer ihre Kinder sind, somit, über welche Arbeitskräfte sie verfügen und wem sie ihren Besitz vererben können, damit sie im Alter von den zukünftigen Erben betreut werden. Die Produktion wird in die männliche Sphäre verlegt, Frauen in die Heimarbeit (mit Kindern und in soziale Dienstleistungen) verbannt, die monogame Ehe wird unabdingbar. Die evolutionäre Entwicklung vom Nomaden zur sesshaften Agrarwirtschaft hätte somit das Patriarchat begründet. Friedrich Engels und Karl Marx‘ Schlussfolgerung hieraus war die Notwendigkeit der Kontrolle von Ressourcen und Produktion durch viele oder alle, nicht den einzelnen Mann.

Seiner Grundtheorie widersprechen würde die Schrift „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ des Ethnologen Claude Lévi-Strauss, der die Unterdrückung und den Handel mit Frauen als Basis jeder Form von Kultur beschreibt – und zwar schon in nomadischen Gesellschaften. Das größte „Geschenk“, das zur Befriedung von und langfristigen Beziehung mit feindlichen Völkern oder Stämmen gemacht werden konnte, war die Gabe der eigenen Tochter, die wiederum Kinder gebären konnte. Auch in evolutionär späteren Gesellschaftsformen (wie Königreichen) waren Töchtertausch oder Töchtergabe stabile Mittel, um Frieden zu schließen.

Nun könnte man argumentieren, dass Kulturen zwar mithilfe von Unterdrückung und Nutzung von Frauen als „Ware“ aufgebaut wurden, wir diese heute aber nicht mehr brauchen (wir haben diplomatische Dienste, Twitter, weibliche Staatsvorstände und Raumfahrerinnen). Ebenso kann die Kontrolle von Produktion und Ressourcen Staaten und Unternehmensvorständen übertragen werden, die divers und paritätisch regiert oder besetzt werden. Dies kann unter Zwang (Quoten) oder durch gesellschaftlich-medialen Druck geschehen. Für letzteres brauchen wir Bildung, Partizipation und Initiativen, die in den Medien laut werden. Da uns bei Pinkstinks bisher kein real gelebtes System bekannt ist, in der mehr Meinungsfreiheit möglich ist als in der sozialen Marktwirtschaft, arbeiten wir erstmal weiter innerhalb des Systems, das wir kennen. Bei unserem steten und lauten Bemühen, den Spätkapitalismus so zu verändern, dass diverse Geschlechterrollen und sexuelle Identitäten lebbar, Frauen ermächtigt und transidente Personen sichtbar sein können, schauen wir insbesondere, dass wir dies nicht nur für weiße Menschen tun. Vor allem aber verfolgen wir gespannt Debatten um Grundeinkommen oder Quoten, die die Gefahren des Kapitalismus für Frauen begrenzen und ihn gerechter machen könnten.  

Bild: Unsplash

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!

Bloomberg

BMFSFJ