Fette Werbung für Gillette

„Meine Güte, das geht ja Schlag auf Schlag – anscheinend will es Gillette jetzt wirklich wissen.“ Das waren so ungefähr die Gedanken, die wir hatten, als wir uns den neuesten Social Media Streich von Gillette angeschaut haben. Für die Venus Produktreihe wird mit dem Testimonial Anna O’Brien alias Glitter geworben – und damit erstmals mit einer fetten Frau.

Das ist tatsächlich im Vergleich zu früheren Testimonials ein ziemlich radikaler Schritt. Gillette setzt hier nicht nur auf einen angedeuteten Bruch mit unseren Sehgewohnheiten, der die Wahrnehmung von normschlank auf durchschnittlich oder knapp in den sogenannten „Plus-Size“ Bereich verschiebt. Wir reden hier nicht von Paloma Elsesser für She’s Mercedes,

sondern von einem – nach allen gängigen Maßstäben – fetten Model. „Fett“, um das an dieser Stelle nur kurz einzuschieben, ist weder despektierlich noch überhaupt wertend gemeint. Fett ist lediglich eine Beschreibung, die nicht länger mit herabsetzender Übergriffigkeit aufgeladen werden sollte.

Ein fettes Model also. Anna O’Brian ist nicht erst seit gestern im Geschäft.

https://www.instagram.com/p/BvpVwXxgiw5/

Sie schreibt über Mode, Beauty, Sport, Gesundheit und immer wieder über ihr Leben als fette Frau. Auf Instagram folgen ihr dafür über 320.000 Menschen, während sich auf YouTube knapp 200.000 Abonnent*innen darüber informieren, welche Hosen an dicken Beinen richtig gut aussehen.

Diese Aufmerksamkeit hat sich durch die Zusammenarbeit mit Gillette natürlich noch mal gesteigert. Und so kam es wie es offenbar kommen musste:

Ein Shitstorm à la „Iiih, wie eklig, das geht jetzt aber viel zu weit, gesundheitsgefährdend, Propagierung von Fettleibigkeit, die überlebt die nächsten 5 Jahre nicht, zieht den Wal zurück ins Meer.“ Das ganze Programm eben. Von den üblichen Beschimpfungen

bis zum „medizinischen Fachpersonal“ war wieder alles dabei.

Ich will an dieser Stelle nicht noch einmal ausführen, in welchem (Nicht)Zusammenhang Fett und Gesundheit stehen. Dazu hat Pinkstinks schon verschiedentlich sehr ausführlich Stellung bezogen (zum Beispiel hier, hier und hier). Ich möchte nur kurz die Gelegenheit nutzen darauf hinzuweisen, mit welcher verlogenen Bigotterie hier gegen eine fette Frau Front gemacht wird, die es wagt, in der Öffentlichkeit stattzufinden.

1.
Wie schon bei dem Gillette Clip über toxische Maskulinität melden sich plötzlich Menschen mit Bedenken zu Wort, die gegenüber Organisationen wie uns Werbung sonst regelmäßig ihre Wirkmacht absprechen: „Alles nicht so schlimm, wieso – ist doch witzig, der mündige Verbraucher wird’s schon richten, man muss es ja nicht kaufen.“ Aber Kritik an Männlichkeit oder eine fette Frau sind dann zu krass. Dieser moralisch verwerfliche Einfluß auf die Öffentlichkeit muss natürlich gestoppt werden. Ganz plötzlich wirkt Werbung. Studien, EU-Richtlinien, Gesetze – alles vorher egal. Jetzt gilt es.

2.
„Go out and slay the day“ – „Geh raus und hab eine großartigen Tag“! Inwiefern propagiert das Fettleibigkeit? Darf Anna O’Brian etwa keinen großartigen Tag haben, weil sie fett ist? Darf sie als Model kein Geld verdienen, keine Verträge an Land ziehen, keinen Erfolg haben? Können wir fette Menschen wirklich nur „sich ihrer Schuld bewusst“ und Besserung gelobend ertragen:
Ja, ich habe mich an meinem Körper versündigt.
Ja, in meinem Körper steckt eine zarte Elfe, die befreit werden muss.
Ja, ich bin auf Diät.

3.
Körper wie der von Anna existieren. Sie leben, atmen, arbeiten, essen. Anna O’Brian existiert. Sie steckt ihren Körper in Mode, sie schminkt sich, sie macht Sport, sie verdient Geld. Aber egal wie und was sie macht, es ist immer verkehrt. Man beschämt sie, wenn sie Sport macht, und wenn sie keinen Sport macht, beschämt man sie auch. Sie ist entweder die fette Frau, die keine modischen Sachen trägt, weil sie so fett ist, oder die fette Frau, die sich anmaßt, modische Sachen zu tragen, obwohl sie so fett ist. Egal wie, egal wann, egal warum – es geht immer darum, dass Anna O’Brian vielen Leuten zu fett ist und sie darüber bestimmen wollen, wie sie sich deshalb zu fühlen hat. Schlecht. Grundsätzlich und immer schlecht. Weil das nämlich, und darum geht es diesen Leuten ja angeblich, so unglaublich gesundheitsfördernd ist.

Niemand wird aufgefordert, so fett zu werden wie Anna O’Brian. Ihr Körper liegt meilenweit neben der aktuellen Schönheitsnorm. In der Welt, in der Anna O’Brian, in der wir alle leben, ist Fettsein nicht erstrebenswert. Noch nicht einmal toleriert. Fette Menschen gelten als faule, moralisch verkommene Parasiten, die das Gesundheitssystem belasten und das Auge beleidigen. Diese Welt dreht sich immer noch um das Diktum von Kate Moss, wonach nichts so gut schmeckt, wie sich Dünnsein anfühlt.

Anna O’Brian stellt immer wieder klar, worum es wirklich geht. Wir müssen ihr nur zuhören:
Wir werden gesehen werden. Wir verstecken uns nicht länger. Und wir werden bestimmen, was wir tragen und wo wir es tragen.
Die Person, die das verwerflich findet, hat kein Problem mit fetten Menschen. Sie ist ein Problem für fette Menschen.

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Quelle Beitragsbild: Anna O’Brian, Instagram