Fiese, geldgeile Mütter

Puh, da habe ich ja wohl gerade noch mal Glück gehabt: An meinem Vorhaben, mich an der Aktion #CoronaElternRechnenAb zu beteiligen, bei der Eltern für ihre durch Corona entstandene Mehrarbeit fiktive Rechnungen an die Regierung stellen,

haben mich lediglich meine Abneigung gegen das Erstellen von Rechnungen gehindert und ironischerweise die Tatsache, dass meine Kinder gerade 1000 Sachen von mir wollten. So ist mir der Shitstorm erspart geblieben, mit dem in den vergangenen Tagen die Initiatorinnen der Kampagne überzogen wurden – inklusive der insbesondere gegen Frauen leider sehr üblichen Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Wobei: Vielleicht fange ich ihn mir ja heute ein. Ich bin nämlich nicht bereit, das Thema einfach so fallen zu lassen und ich hab Bock auf Streit. Also auf geht’s. Die Grundidee der Aktion von Sonja Lehnert und Rona Duwe bestand darin, darauf aufmerksam zu machen, dass Eltern gerade neben ihrer Erwerbstätigkeit ein sehr viel höheres Maß an Betreuungsarbeit und Lehrtätigkeit zu leisten haben als überhaupt zu bewältigen ist. Nicht nur wir meinen daher unseren Appell an die Politik sehr ernst.

https://www.facebook.com/PinkstinksGermany/videos/929225474203021/

In diesem wie auch in vielen anderen Appellen geht es nicht darum, dass wir eine sofortige Schulöffnung fordern oder Ganztagesbetreuung unserer Vorschulkinder in Zeiten der Pandemie. Sondern darum, dass die Politik die Belange derjenigen, die gerade bis zur Erschöpfung und darüber hinaus am Rödeln sind wenig bis gar nicht in Betracht zieht. Weil man es mit uns ja machen kann, wir uns das Kinderhaben selber ausgesucht haben und es aus Liebe tun. Stattdessen produzieren diverse Ministerien zum Muttertag die drölfzigste Version eines warmen „Ja gut gemacht und jetzt haltet gefälligst die Schnauze und macht weiter“ Händedrucks.

Das ist so weit von der Realität entfernt und ein derartiger Schlag ins Gesicht von Betroffenen, dass es nicht verwundert, wenn diese sich ermächtigen darüber zu sprechen, wie es wirklich ist.

Und dazu gehört auch, mal ein Preisschild an all die Dinge zu hängen, die mehrheitlich von Frauen und mit großer Selbstverständlichkeit erwartet werden. Aber das ist schwierig, das tut man nicht. Schließlich geht es ja auch um Liebe, um Fairness und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jetzt eben alle zu stemmen haben. Deshalb gab es neben den Beschimpfungen, über die sich wie so oft der rechtskonservative Blogger Don Alphonso besonders freut, weil er sie nämlich bewusst initiiert hat, auch einiges an durchaus bedenkenswerter Kritik: Was macht es eigentlich mit Kindern, wenn sie lediglich als finanzielle Belastung dargestellt werden?

Ist es wirklich eine gute Idee, die Sache so anzugehen? Sollte man sich nicht aus Liebe kümmern?

Wieso verlangen die Eltern so viel Geld, wenn sie nicht einmal wirklich für den Job qualifiziert sind?

Welche Berechtigung sollte es haben, die eigene Überforderung an Erzieher*innen und Lehrer*innen weiterzugeben, die wirklich genug zu kämpfen haben?

Und ist es nicht einfach schlicht und ergreifend die Aufgabe von Eltern, dass jetzt in dieser Pandemiekrise zu leisten. Die verlangt schließlich allen viel ab und Eltern eben das, wofür sie laut Artikel 6 des Grundgesetzes „zuvörderst verpflichtet sind“.

Wenn ich nicht selber bis zum Hals in dieser Überforderungssituation stecken würde, könnte ich über dieses nahezu perfekte Szenario des „Teile und herrsche!“ Prinzips vielleicht lachen, aber so ersticke ich fast daran. Denn hier läuft gerade so einiges schief. Da wäre zum Beispiel das Ideal der fürsorglichen, aufopferungsvollen Mutterliebe (In der Debatte auch vorhanden, wenn auch seltener: Elternliebe), das den Betroffenen vor den Latz geknallt wird. Aber du musst doch, aber du liebst doch, sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?! Die Diskussion erinnert in geradezu grotesker Weise an die Vorwürfe an angeblich jammernde, kaltherzige Mütter innerhalb der Regretting Motherhood Debatte.

Inklusive der passiv-aggressiven „ich will zwar nicht angeben, aber ich bin selbstverständlich viel, viel besser als ihr“ Kommentare.

Hinzu kommt die nützlichen Einstufungen von Kindern als Privatsache und Care-Arbeit als Liebesdienst: „Wie können Eltern da nur so kaltschnäuzig die Beschäftigung mit ihren Kindern bepreisen?!“ Newsflash, wir haben uns den Kapitalismus nicht ausgesucht. Wir leben nur darin.

Müssen wir ernsthaft wieder erklären, warum das Private politisch ist. Dass wenn diese beiden Sphären nicht zusammengedacht werden alle nach Strich und Faden verarscht werden, vor allem Frauen und Minderheiten?

Es geht also gar nicht darum, dass geldgeile Muttis in Pandemiezeiten mehr als alle anderen für sich rausschlagen wollen. Es geht um Eltern am Limit. Eltern, über die der Wirtschaftsminister von Brandenburg sagt, dass er sich freuen würde, wenn sie durch Corona ihre Kinder auch mal wieder richtig kennengelernt hätten.

Weil das ja schon immer das Problem war. Nicht etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder das Eltern keine Lobby wie die Automobilindustrie und Profifußball haben, um ihre Belange durchzusetzen. Eigentlich sind wir Eltern nur sauer, dass unsere Happy Hour mit Drinks und Cocktailwürstchen ins Wasser fällt, die wir immer abhalten, wenn unsere Kinder fremdbetreut werden.

Eigentlich müssten wir jetzt alle gemeinsam Druck machen. Gerade weil die Coronapandemie auf so eklatante Weise zeigt, wo wir überall gesellschaftspolitisch versagen, wäre es jetzt an der Zeit, die Dinge richtig zu stellen und Zusammenhänge zu erkennen.

Stattdessen fallen wir auf den ältesten Trick der Welt herein, schauen ängstlich zur Seite und blicken herab, anstatt nach oben zu gucken und die Machtfrage zu stellen. Pflege- und Lehrkräfte werden gegen Eltern ausgespielt, während man auf Autogipfeln Abwrackprämien diskutiert. Ich fürchte, wenn wir nicht aufhören aufeinander loszugehen, weil wir uns das Ausmaß der Überforderung von anderen Menschen nicht vorstellen wollen oder können, dann wird die gesellschaftliche Abrechnung, die dieser Tage ansteht, sehr viel deutlicher und schmerzvoller Ausfallen als die fiktiven Rechnungen von Müttern, die sich für ihre Kinder aufreiben und statt echter Unterstützung lustige Bildchen vom zuständigen Ministerium bekommen.

Das reicht einfach nicht.

Foto von katemangostar auf Freepik

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