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Film ab! Die Macht der Oberweite

Es ist nicht lange her, da wurde nach der Veröffentlichung einer Untersuchung der Uni Rostock über die Präsenz und einseitige Darstellung von Frauen in Film und Fernsehen berichtet. Ein aktueller Kinokassenschlager gibt Anlass, das Thema erneut in den Blick zu nehmen.

Vor ein paar Wochen kam der neue „Tomb Raider“-Film in die Kinos. Wieder basiert der Film auf der erfolgreichen Videospielserie rund um die Abenteuer des weiblichen Charakters Lara Croft, die in den entlegensten Ecke des Planeten Ruinen und Tempel besucht, Artefakte ausgräbt und Bösewichten eine Abreibung verpasst. Neben schier unzähligen Computerspielen, gab es auch bereits zwei Kinofilme Anfang der 2000er Jahre zu der Figur – damals mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. Das ist lange her, folglich hat die filmische Wiederauflage dieses Jahr einiges an Erwartung und Spannung ausgelöst. Und auch wenn man (bzw. frau) gehofft haben mag, dass es dieses Mal nicht dazu kommen würde, so passierte es auch 2018 wieder: Eine der größten Debatten entzündete sich schnell an der (vermeintlich zu geringen) Oberweite der neuen Schauspielerin, Alicia Vikander. Man mag es kaum glauben: In Magazinen, Online-Foren, sozialen Netzwerken und Zeitungen wurde mal wieder über weibliche Oberweite im direkten Zusammenhang mit Jobqualifikation gestritten.

Folgender Beitrag in einem Online-Gamer-Forum zeigt das hohe Maß männlicher Enttäuschung in der Wahl der Hauptdarstellerin:

Quelle: https://gamefaqs.gamespot.com/boards/227-movies-at-the-theater/76003583

Mal ehrlich, wo sollen wir hier anfangen? Bei der Erkenntnis, dass Frauen nur mit großen Brüsten sexy sind? Oder der Verschwörungstheorie, dass Filme heute generell nicht mehr sexy sein dürften? Oder vielleicht dem Hinweis auf andere Charaktereigenschaften, die angeblich ignoriert werden vom progressiven-links-liberalen Hollywood – nur um dann selber aufs nicht weiter zu achten, als die Oberweite? Am besten ist vielleicht die Bemerkung, dass es ja eigentlich Männer sind, die in Filmen sexualisiert werden, weil auf ihre physische Stärke beschränkt. Dieser Punkt ist so kreativ, er hat uns erfreut. Dass es im Gegenteil in den letzten Jahren einen Trend gibt, weg vom muskelbesetzen Prügelhelden der 80er Jahre – Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, usw. – hin zu teilweise schmächtigeren und auch nachdenklicheren männlichen Helden wie zum Beispiel in allen Spiderman-Filme seit 2002, wird ignoriert.

Mit seinem Frust war dieser Gamer aber bei weitem nicht allein auf weiter Flur:

Amazing Atheist Guy hat dann auch gleich einen Castingvorschlag für den nächsten Tomb Raider Film gemacht:

Richtig interessant ist aber dieser Beitrag:

https://twitter.com/CaptainSumi/status/977184154185031680

 

Die großen Brüste von Lara Croft verhalten sich also zu der Abenteuerin wie die Flugfähigkeit von Superman zu seinem Helden. Fehlt die Flugfähigkeit ist Superman kein Superman. Ist die Oberweitengröße zu klein, ist Lara Croft keine Lara Croft. Folgt man dieser Argumentation, sind die Brüste die Superwaffe der Frau, ohne die sie ihre Abenteuer nicht bestehen könnte. Das ist jedoch schon aus reiner Gamer-Perspektive inkorrekt, da in keinem der Videospiele Lara Crofts Oberweite aktiv ins Spielgeschehen eingebracht werden kann – sie dient niemals als Waffe oder Werkzeug, sie ist einfach nur da.

Tatsächlich hat sich die Laras-Oberweite-Diskussion aber nicht nur in Twitter-Beiträgen und Blogs niedergeschlagen, sondern auch in handfesten Filmrezensionen. Ein regelrechtes Feuerwerk hat sich zum Beispiel (zu Recht) an der Bewertung durch Jerome Maida für Philly Voice entzündet, der Vikanders Körper mit dem von Angelina Jolie vergleicht und zu ein paar erstaunlichen Schlüssen kommt. Die kontroverseste Passage seinen Artikels wurde mittlerweile (aus Einsicht oder Angst vor dem Shitstorm?) gelöscht, ist aber nach wie vor zu finden:

Quelle: http://www.phillyvoice.com/tomb-raider-gives-us-lethargic-lara-croft/

Es ist gut zu wissen, dass dieser Beitrag zur Debatte schnell von unzähligen Twitter-Nutzer*innen kommentiert und zerrissen wurde. Das könnten wir hier auch tun. Interessanter ist aber vielleicht, sich anzuschauen, was hinter dieser Kritik steckt. Der Vorwurf hier: Weniger Brüste führen zu weniger Weiblichkeit und damit zu einem durch und durch langweiligen Film. Maidas Hauptargument im gesamten Artikel ist, dass das Skript genauso gut für einen Mann hätte geschrieben werden können. Die Hauptdarstellerin setze demnach nie ihre weiblichen Attribute ein – Attribute, die, wir können es uns denken, rein körperlich und damit rein oberflächlich belegt sind. Die gesamte Figur der Lara Croft wird also auf Zentimeter-Maße beschränkt. Rein theoretisch wäre es auch denkbar, andere Aspekte in der Darstellerinnenwahl in der Tiefe zu kritisieren: Vikanders schwedische Herkunft zum Beispiel (Lara Croft ist Engländerin); die Tatsache, dass Lara Croft ihr Geld als Kurierfahrerin verdient (sie ist dank des Erbes ihres Vaters steinreich); der fehlende Einsatz von Schusswaffen durch Lara (in den Videospielen gehören zwei Pistolen zur Kernmarke der Dame), usw. Das passiert aber wenn überhaupt nur oberflächlich. Bei Maidan, wie auch den anderen frustrierten Kommentatoren, geht es ums Äußerliche. Dabei ist gerade die Tatsache, dass der neue Film einen Fokus auf die charakterliche Entwicklung der jungen Frau, ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen legt, erfrischend und modern – empowering also. Es geht hier nicht um Geschlecht, sondern um ein Abenteuer, fiese Verbrecher und handfeste Action. Könnte die Rolle auch von einem Mann gespielt werden? Auf jeden Fall. Schadet das der (neuen) Weiblichkeit von Lara Croft? Nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Eine Frau, die sich durch Eigenschaften, Talente und antrainierte Fähigkeiten beweist, ist die einzig wirklich moderne und angebrachte Darstellung der Videospielheldin.

Die vor Oberflächlichkeit strotzenden Kommentare vieler Fans, Kinozuschauer und auch Filmkritiker entlarven sich selber als sexistisch und überholt. Gleichzeitig tun uns diese Kommentare aber auch einen Gefallen. Es ist eine Erinnerung an die nach wie vor ungleiche Perspektive auf Frauen und Männer im Jahr 2018. Bei Frauen zählt der Körper, bei Männern die Taten – eine Perspektive, die nicht nur in Videospiel-Verfilmungen ihr Unwesen treibt, sondern Alltäglichkeit in allen Bereichen hat – sei es beim Outfit von Ministerinnen, der Darstellung von Frauen in der BILD Zeitung oder der Repräsentanz von Frauen in Film und Fernsehen im Allgemeinen.

Es bleibt also ein weiter Weg zu gehen, unzählige Twitter-Kämpfe zu führen und gute nicht-sexistische Filme zu drehen. Vielleicht bietet auch hier Lara Croft Inspiration: Sie erleidet Schiffbruch, wird verprügelt, fällt einen Wasserfall runter, wird angestochen, gedemütigt und fast lebendig begraben. Am Ende aber bleibt sie übrig, die Halunken sind besiegt, die Welt ist gerettet – nicht dank ihrer Zentimetermaße, sondern dank ihrer Einsatzes und ihrer Fähigkeiten. Game on!


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