Frauen können nichts

„Ich möchte Frau Scott-Cato fragen, welchen empirischen Beweis sie dafür hat, dass am Ende der Übergangsperiode ein Erdrutsch-Brexit steht – wo sie doch nach meinen Informationen keinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat. Vielleicht hat sie ja ein paar Erfahrungen in der Geschäftswelt gemacht, die belegen würden, dass dieser Fall eintritt.“

Der Mann, der diese Frage vor gut einem Jahr als Europaabgeordneter der Brexit-Partei an Molly Scott-Cato stellte, heißt Robert Rowland. Er hat einen Bachelor Abschluss und vor seiner politischen Karriere als Manager bei diversen Hedgefonds gearbeitet. Die Universitätszeitung, die über die bemerkenswerte Tatsache, dass er bei einer Wahl ohne Gegenkandidat*in zu einem studentischen Gremium gescheitert ist, nannte er „Teil der faschistischen Linken“. Im Sommer 2019 machte er dadurch auf sich aufmerksam, dass er drohte, zivile Fischkutter mit Militärschiffen zu versenken.

https://twitter.com/RowlandBrexitSE/status/1148987466721964034?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1148987466721964034%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.theguardian.com%2Fpolitics%2F2019%2Fjul%2F12%2Fbrexit-party-mep-criticised-over-belgrano-twitter-comments

Und ein paar Monate später legte er sich in Gestalt von der Grünen-Abgeordneten Molly Scott-Cato mit der Falschen an. Mit einer Professorin für Wirtschaftswissenschaft und Handelsexpertin, die Rowland in allen für die Frage relevanten Kompetenzen an Expertise deutlich übertrifft. Ein Vorgang also, der uninteressant weil gewöhnlich erscheint. Jeden Tag wird die Expertise von Frauen durch mittelmäßige, schlecht informierte, großkotzige Männer in Zweifel gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Und genau deshalb ist es eben nicht uninteressant. Weil es systematisch geschieht, immer wieder, als Mittel zum Machterhalt. Und wo wir schon beim Brexit sind, noch ein anderes Beispiel: An dem gibt der britische Publizist Douglas Murray in einem Kommentar für die britische Tagesszeitung „Daily Mail“ ganz selbstverständlich Angela Merkel die Schuld.

Er entblößt sich dabei einmal mehr als ein Mann, der dem Prototyp des nichtssagenden, uninformierten Schwätzers folgend anderen genau die Arroganz vorwirft, derer er sich selbst befleißigt. Tatsächlich wirft man Deutschland und Merkel innerhalb der EU vor, den Deal womöglich zu sehr zu wollen, weil ein harter Brexit die deutsche Wirtschaft in besonderem Maße betreffen würde. Tatsächlich ist es nicht „überheblich“, dem britischen Premierminister zu misstrauen, der kein Problem damit zu haben scheint, internationale Verträge zu brechen. Die Aussage ist immer dieselbe, der Tonfall stets gleich: „Frauen können nichts, Schätzchen, versuch’s erst gar nicht.“ Für das Handwerk haben wir schon einmal in einem Text festgehalten, warum Frauen keine Profis sein dürfen und wie sich das äußert. Aber das Problem ist viel grundsätzlicher. Frauen wird fachliche Expertise außerhalb eines ihnen zugewiesenen geschlechtsspezifischen Bereich (Haushalt, Kindererziehung, Pflege, Verschönerung) häufig rundweg abgesprochen. Manchmal stellvertretend durch Frauen wie in den Einstiegsfragen zum Spiegel-Interview mit der Virologin Sandra Ciesek:

Aber meistens passiert das von mansplainenden Männern. Als mittlerweile legendäres Beispiel dafür kann Paul Bullen gelten, der der promovierten Gynäkologin Jennifer Gunter 2019 erklären wollte, dass es sich bei 100 Aufnahmen von Vulven eigentlich um die bildliche Darstellung von Vaginen handelt.

Sie erklärte ihm geduldig den Unterschied, er mansplainte weiter, irgendwann sprang ihr sogar ein Lexikon bei.

Es half nichts: Er hörte nicht auf zu mansplainen, sie erklärte ihm, dass er mainsplaine, er mansplainte sie über ihren angeblich falschen Gebrauch des Begriffes Mansplaining, sie erklärte ihm, warum er auch damit falsch lag.

Was hätte eigentlich noch geschehen müssen? Was hätte Gunter tun können, damit Bullen anerkennt, dass er sich irrt und dass er aufhört, seine Überzeugungen über die Kompetenzen einer Expertin zu stellen? Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: nichts. Vielleicht hätte sie mit dem Herbeizitieren männlicher Experten noch etwas erreicht, aber gegen die tief verankerte „Frauen können nichts“-Überzeugung kommt sie nicht an. Dazu genügt und gefällt sich diese Ansicht in Männern viel zu sehr selbst, bleibt unhinterfragt und wird sogar als Ausweis eben jener Expertise gewertet, die Männern in diesen Fällen eigentlich fehlt. Solange es sich zu gut anfühlt, der Welt „mit dem Selbstbewusstsein eines mittelmäßigen heterosexuellen weißen Mannes“ zu begegnen, werden Frauen, die zu Themen gearbeitet, geforscht, veröffentlicht und sich einen exzellenten Ruf erworben haben, von Typen gemansplaint, „die da mal einen Artikel zu gelesen haben, ich schick dir den Link, Süße“. Weil sie es einfach so unglaublich naheliegend finden, dass sie es besser wissen und ihre „Expertise“ gefragt ist.

Wenn die daraus resultierende Anspruchshaltung nicht so gefährlich wäre, dann wäre das Ganze einfach nur lächerlich. So aber ist es eine Bedrohung.

Bild: Pinkstinks Germany e.V.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!