Vorweg: Ich mag die Arbeiterwohlfahrt (kurz AWO). Die sind immerhin einer der Verbände, die noch das schöne alte Wort „Wohlfahrt“ nicht nur im Namen tragen, sondern auch versuchen, mit ihrer Arbeit umzusetzen.
„Ihre Hauptaufgabe ist es, sozial schlechter gestellte Menschen zu unterstützen. Heutzutage betreut sie hauptsächlich Menschen mit Behinderungen und Senioren, betreibt aber beispielsweise auch Kindergärten, offene Ganztagsschulen, psychiatrische und forensische Kliniken, Einrichtungen für Ferienfreizeit und Beratungsstellen für Migranten, Asylbewerber und Menschen in Notlagen.“
So heißt es in der Wikipedia, und auch Geschlechtergerechtigkeit ist dem Verband grundsätzlich ein Anliegen.
Ihr ahnt es: Jetzt kommt das Aber.
Mindestens 20 Paar Schuhe…
Das Aber betrifft eine Werbekampagne der AWO für Freiwilligendienste. Diese lief mir in Form eines Flyers in einem Berliner Restaurant über den Weg. Ich staunte nicht schlecht, als ich da las:
„18,9 Prozent aller junger Frauen im Alter von 14 bis 24 besitzen mindestens 20 Paar Schuhe“
Das ist einerseits interessant, andererseits habe ich mich gefragt, was diese Zahl soll. Nicht einmal jede fünfte Frau besitzt 20 Schuhe oder mehr. Was schließt man also daraus? Ich drehte den Flyer um und las:
„Zieh‘ einfach ein Paar an und komm vorbei!“
Ich weiß, das ist lustig gemeint. Man erwartet ja irgendeine andere Aussage. Vielleicht, dass diese Frauen eben einen kleinen Knall haben. Oder, dass dies aber nicht sehr vegan sein kann. Vielleicht erwartet man auch die plumpe Werbung eines Schuhladens. Insofern ist die Rückseite des Flyers überraschend und widerspricht zunächst den Erwartungen – nein: bricht sogar mit dem Klischee, dass Frauen die Schuhe nur zum schick aussehen hätten. Die Aufforderung „zieh‘ ein Paar an“ drückt aus: Nutze deine Füße, wozu sie da sind.
Es ist eigentlich ganz nett, nur…
Erstens ist da natürlich die Frage, wie viele Leute die Rückseite lesen. Sie ist in so einem Hängeregal für Flyerpostkaren erst einmal nicht zu sehen. Die Vorderseite, die unverhohlen alte Stereotype über Frauen bemüht, dagegen schon. Die sieht jeder. Und alle werden lachen. Auch im Falle, dass man das Blatt wendet, wird man wieder einmal mit dem Klischee gefüttert worden sein, dass Frauen einen unverbesserlichen Schuhtick haben – egal, wie niedrig die Zahl ist.
Viel mehr aber irritiert mich die Werbung aufgrund eines anderen Problems: Ich selbst habe nach der Schule erst einmal ein freiwilliges Jahr eingelegt. Die Mehrheit der Menschen, die so etwas tun, sind – na? könnt ihr es euch denken? – Frauen! Und gerade im sozialen Bereich haben wir ein immenses Ungleichgewicht. Das unter anderem dazu führt, dass der ganze Bereich Pflege und Kümmern, kurz Care eine Domäne geworden ist, die erstens schlecht bezahlt, weil zweitens eh von Frauen ausgeübt wird.
Antje Schrupp hat erst kürzlich einen wunderbaren Blogpost zu der Angelegenheit geschrieben und hält fest:
Wenn über Care gesprochen wird, werden fast immer im selben Atemzug seine geschlechtsspezifischen Aspekte betont: dass Frauen viel mehr unbezahlte und schlecht bezahlte Carearbeit leisten als Männer, dass sie dadurch auf dem Erwerbsarbeitsmarkt benachteiligt sind, dass sie verarmen und so weiter. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, die Beschäftigung mit Care sei vor allem ein „Frauenthema“, ein Problem der Frauen, das angegangen werden muss, um Frauen zu helfen und sie nicht länger zu diskriminieren.
Genau hier ist mein Problem: Die Karte spricht nur Frauen an. Und reproduziert damit nicht nur, dass diese einen Schuhtick haben, sondern ganz manifeste und blöde Arbeitsteilungen in der Gesellschaft, die Frauen als solche das Thema Care in die – Achtung! – Schuhe schiebt! Deswegen, liebe Arbeiterwohlfahrt: Nächstes Mal bitte alle ansprechen, denn Care geht alle Menschen an! Es geht um nichts weniger, als um „Verantwortung für die Welt“ (Antje Schrupp) und genau das sollte aus euren Flyern auch hervorgehen.
Ansonsten: Klar – als ehemalige FÖJlerin kann ich Freiwilligendienste wärmstens empfehlen! 🙂