Frauenhass, Spezialausgabe

Deutschland ist empört – und diesmal sogar über die Grenzen politischer Lager hinweg. Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast ist auf Facebook widerlich beschimpft worden und ein Berliner Landesgericht befand, dass Künast sich die Spirale an Menschenverachtung gefallen lassen müsse. Da reagierten nicht nur die taz und der Spiegel, sondern auch die Welt, Bild und Cicero angeekelt und schockiert. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bezog Stellung und erklärte: „Wenn uns an der Demokratie gelegen ist, muss der politische Wettstreit vor Gewalt geschützt werden“. Gewöhnlich gibt es gerade in heutigen Zeiten mehr Dissens. Mehr Relativierung, mehr „naja, vielleicht hat sie es ja auch verdient“. In diesem Fall herrscht jedoch allgemeine Fassungslosigkeit. Zu sinnentleert, zu absurd lesen sich die Begründungen des Landesgerichts, warum sich Renate Künast einen Begriff wie „Drecksfotze“ gefallen lassen muss.

Allerdings machten sich nur wenige die Mühe, die in den Beleidigungen enthaltene Menschenverachtung zu spezifizieren: Denn es geht wie so oft um klar definierbaren Frauenhass. Künast ist zwar auch in einer Weise angegangen worden, die vor allem in der Politik und im Journalismus sowohl Frauen als auch Männer betrifft („Stück Scheiße“ und „Sondermüll“), aber es waren auch die üblichen Vergewaltigungsdrohungen dabei und selbstverständlich die „Schlampe“. Ich schreibe üblich und selbstverständlich, weil es genau das leider ist. Während sich Künast in Berlin Frechheiten vom Landesgericht gefallen lassen muss, steht in Wien die Politikerin Sigi Maurer in der Neuauflage eines Prozesses gegen sie vor Gericht: Sie wollte es nicht hinnehmen, von einem Bierwirt auf Facebook mit übergriffigen Vergewaltigungsfantasien überzogen zu werden, also hatte sie diese öffentlich gemacht. Mit dem Ergebnis, dass der Wirt auf Rufschädigung klagt, weil Maurer schließlich nicht beweisen könne, dass er das übergriffige Zeug geschrieben hat.

Die Nachrichten kamen zwar von seinem Facebookaccount auf seinem Computer in seinem Laden in seiner typischen Diktion. Aber das heißt ja schließlich nichts.
Achso.

Was natürlich auch überhaupt nichts heißt, ist die Tatsache, dass Künast und Maurer beides Politikerinnen der Grünen sind. Und damit als „linksgrün versiffte Gutmenschinnen“ schon seit geraumer Zeit aus sehr braunen Ecken mit sexistischer Scheiße beworfen werden. Schon 2017 befand die Berliner Staatsanwaltschaft, dass Künast den Satz „man sollte dich köpfen“ als Meinungsäußerung aufzufassen habe. Und auch der jetzige Fall gibt die Richtung klar vor: Ein bekannter rechter Aktivist verdreht ein Zitat von Künast, dass sie in den Zusammenhang der Bemühungen einiger Mitlieder der Grünen in den 80ern für die Legalisierung von angeblich einvernehmehmlich Sex mit Minderjährigen stellen soll. Und weil sich die Debatte um so schwierige sexuelle Themen dreht, muss Künast sich verbal erniedrigen lassen:
„Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerungen im Kontext einer Sachauseinandersetzung steht“ lässt das Gericht verlauten und erstaunt damit selbst den Ex-Bundesrichter Thomas Fischer, der nun wirklich keiner antisexistischen Agenda verdächtig ist:
„Charakterisierungen als ,Drecks-Fotze‘ oder ,Stück Scheisse‘ oder Hinweise wie der, eine Person sei ,als Kind wohl ein wenig viel gefickt‘ worden, lösen sich auch bei großzügiger Betrachtung von dem, was man als „sachlichen“ Hintergrund ansehen könnte. Sie dienen erkennbar ausschließlich dazu, möglichst stark herabwürdigende Verletzungen der persönlichen Ehre zu verursachen.“

Zur Einordnung: Die Beleidigung „Sie promovierter Arsch“ hält die deutsche Justiz für so schwerwiegend, dass ein Mietverhältnis fristlos gekündigt werden kann. Wer Vorgesetzte als „soziales Arschloch“ bezeichnet, begeht eine „grobe Beleidigung“ und kann dafür fristlos entlassen werden. Einen Polizisten als „Clown“ zu bezeichnen kostet 225 Euro, weil „die Diffamierung des Beamten im Vordergrund steht“. Aber bei Renate Künast natürlich nicht. Sachbeiträge wie „Drecksfotze“ muss frau sich schon gefallen lassen.

Denn genau darum geht es bei dieser Spezialausgabe des Frauenhasses. Frauen mit obszönen Beleidigungen, Übergriffigkeiten und Drohungen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, reicht offenbar nicht. Sie sollen es auch noch hinnehmen müssen. Akzeptieren, dass sie als Frauen in politischen Debatten nichts verloren haben. Klein beigeben. Sich entfernen. Und es ist viel zu wenig, wenn wir als Gesellschaft „hoffen“, dass Frauen wie Renate Künast und Sigi Maurer nicht aufgeben. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie es nicht müssen.