Fresse, Joop!

Letzte Woche hat der Modeschöpfer Wolfgang Joop ziemlich für Schlagzeilen gesorgt: In einem Interview mit dem Spiegel über Fashion und die gute alte Zeit bemängelte er den Kleidungsstil des Grünen-Chefs Robert Habeck. Dass er seine Kritik auf die Formel „Wenn einer sich schlampig anzieht, denkt er auch schlampig“ bringt, war allerdings nicht der Aufreger. Vielmehr fragten sich Leser*innen des Interviews, wie der Spiegel mit diesem Zitat über Habeck aufmachen kann, wenn Joop im Interview tatsächlich entlang des Todes von Karl Lagerfeld bedauert, dass heute nicht mehr alles käuflich ist und Models nicht mehr von Modeagenturen genötigt werden, sich für reiche Männer zu prostituieren.

Joop nennt das tatsächlich „Sünde“, ohne die die Modewelt nicht „schön“ wäre.
Und bevor das Thema wieder ganz untergeht, weil Wolfgang Joop sich wenig glaubhaft für seine „deplatzierte Aussage“ entschuldigt hat oder dem bösen, bösen Feminismus vorgeworfen wird, zu übertreiben, …

… wollen wir den Fall zum Anlass nehmen, um über ein grundsätzliches Problem zu sprechen:
Misogynie gibt es auch unter schwulen Männern. Und das ist ein Problem. Nicht nur, weil Frauenfeindlichkeit immer ein Problem ist, sondern weil sie hier aus einer Richtung kommt, aus der man sie nicht zwangsläufig erwartet. Frauen und schwule Männer werden von der gleichen Art toxischer Männlichkeit als Feindbild identifiziert und abgewertet. Beide Gruppen sind viel zu häufig das Ziel von Verächtlichmachung und Übergriffigkeit durch Männer, die ihren Status und ihre Machtansprüche gefährdet sehen. In ihrem Kampf um Sichtbarkeit, Anerkennung und gleiche Rechte sollten diese beiden Gruppen sich eigentlich natürliche Verbündete sein. Sie sind es auch oft. Aber die Tatsache, dass man Teil einer diskriminierten und marginalisierten Gruppe ist, sorgt eben nicht automatisch dafür, dass man davor gefeit ist, andere zu diskriminieren und zu marginalisieren. Wolfgang Joop identifiziert sich nicht (mehr) als schwuler Mann. Er hält Kategorien wie schwul, bisexuell oder hetero für überholt und das ist zu respektieren. Allerdings lebt er seit 40 Jahren mit einem Mann zusammen. Damit qualifiziert er sich in dieser Gesellschaft leider für eine ganz spezifische Form der Diskriminierung und Marginalisierung und könnte es dementsprechend besser wissen. Tut er aber nicht. Die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen nennt es eine „Verherrlichung von Gewalt und Demütigung von Frauen“ und genau das ist der springende Punkt. Denn auf der einen Seite verehren und vergöttern viele schwule Männer Frauen. Sie schauen ihre Filme, sie kaufen ihre Alben, sie gehen in ihre Konzerte und sehen ihre Shows. Sie himmeln Frauen als Gay Icons an. Sie bilden eine Fanbasis, auf deren Loyalität und Kaufkraft Gay Icons auch in schlechten Zeiten zählen können. Auf der anderen Seite nehmen sich zu viele von ihnen zu viel mit zu großer Selbstverständlichkeit heraus, weil sie sich dazu berufen und legitimiert fühlen. Zum Beispiel, indem sie ungefragt das Aussehen von Frauen kommentieren und sie abwerten. Indem sie Frauen begutachten, anfassen und „spielerisch“ Schlampe nennen, weil sie glauben, als Schwule hätten sie dafür eine Art Freibrief. Diese Männer definieren queere Räume als vordringlich schwule Räume, haben eine klare Vorstellung davon, wie Weiblichkeit auszusehen hat und finden es unglaublich witzig und wichtig, bei jeder sich bietenden Gelegenheit klarzustellen, für wie eklig sie Vagina, Vulva und Periode halten.

Dass das umso mehr für die Modewelt gilt, zeigt nicht nur das Beispiel von Wolfgang Joop. Schwule Männer begeistern sich auch hier für schöne Frauen, sie schminken sie, sie lichten sie ab, sie kleiden sie wie Göttinnen ein. Aber sie machen sie auch fertig, sie beschimpfen sie, werten ihre Körper ab und behandeln sie als Gebrauchsgegenstände, wie auch die anderen tonangebenden Menschen der Modebranche. Karl Lagerfeld, über dessen Ära und Tod Wolfgang Joop in dem Interview spricht, war auch einer dieser schwulen Männer. Die Sängerin Adele fand er „ein bisschen zu fett„. Das Gesicht von Pippa Middleton mochte er bei der Hochzeit ihrer Schwester, der Herzogin von Cambridge, nicht. Sie solle besser nur ihren Rücken zeigen. Kritik an dem Diktat der Überschlankheit in der Modewelt verbat er sich mit Verweis auf „dicke Muttis mit der Chips-Tüte vorm Fernseher„, die nur neidisch wären. Von #MeToo hatte er „die Nase voll“ und beschwerte sich darüber, dass Opfer sich erst unter diesem Hashtag an die Öffentlichkeit trauten. Die Berichte mehrerer Models über die Übergriffe von einem seiner Freunde kommentierte er mit den Worten, wenn man nicht die Hose heruntergezogen bekommen wolle, solle man kein Model, sondern Nonne werden. Der Autor Johannes Kram nennt es „eine Frauenfeindlichkeit, die vorgibt, Frauen zu vergöttern, sie aber tatsächlich auf eine Oberfläche reduziert“ und verweist auf ein mögliches Motiv: „Um von der Gesellschaft etwas weniger verachtet zu werden, verachten sie andere, verbünden sich mit dem gemeinsamen Unterdrücker: dem sexistischen Heteromann.“ Man möchte hinzufügen, dass sich der Sexismus schwuler Männer durch eine sehr spezifische Form von Abwertung auszeichnet, die davon geprägt ist, selbst von einer artverwandten Abwertung bedroht zu werden. Die Abwertung von Frauen zeigt sich beispielsweise darin, dass sexistische schwule Männer das Verhalten von Männern wie Lagerfeld mit Verweis auf seinen Charme, seine Ironie und all die Momente, in denen er Frauen ostentativ vergöttert hat, rechtfertigen. Um schlussendlich darauf hinzuweisen, dass „die misogynsten Witze doch immer noch in den Gay-Bars der Stadt fallen. Dort, wo Lagerfeld nie war.
Das ist aber keine Verteidigung. Das ist das Problem.

Schwule Männer sind nicht Schuld an einem frauenfeindlichen, patriarchalen System, in dem sie selbst Diskriminierung erfahren. Misogyne Strukturen wollen wir aber benennen – egal, von wem sie ausgehen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 120.000 Menschen teilen!

Bildquelle: StagiaireMGIMO/wikicommons